27.7.2019

Frankfurt, beim Verlassen des klimatisierten Waggons glaube ich zunächst, es handelt sich um die Abwärme des ICE—whatever, die Wärme weicht in Folge nicht aus der Atemluft, «ist so», ich verstehe, so langsam, wovon die letzten Abende über in der Tagesschau die Rede war. Ausserdem gibt es hier Wolken am Himmel (bei uns bloss dieses andere Blau).

Auf der Zeil sitzt der Ex-Punk mit Noch-Frisur vor Karstadt und macht betende (nicht bittende) Gesten. Auf seinem Pappschild steht: «Warum lügen? Brauche Bier.»

Und gleich daneben gibt es eine Art VIP-Bereich, jedenfalls ist das Areal mit einem zarten Gewebe abgespannt. Auf dem steht die Werbung für ein Abbruchunternehmen, die Unterzeile verheisst «The Art of Demolition». Klar, wenn selbst Bäcker und Fusspfleger sich in Manufakturen ummünzen, warum nicht auch aus dem Schwung der Abrissbirne eine Parabel machen? Zumal seit Miley Cyrus Punktpunktpunkt

Auf dem Erzeugermarkt geht es am Stand vom Schoppe Otto schon kurz nach zehn heiter zu: «Einen Zwölfer Bembel, Zwei Flaschen Wasser!» Auf dem Kühlwagen schräg gegenüber steht: «Kaufmanns Wurst aus Rinderbügen ist ein’s der größten Essvergnügen!»

Freilich quert kurz darauf der obdachlose Philosoph in eine Decke gehüllt, barfuss, mit Vollbart und Sonnenbrand, wie Jesus mit der Netto-Tüte den Platz namens Konstabler Wache. 

Und der Typ in meinem Alter, mit Pferdeschwanz und vielen Piercings, im Pantera-T-Shirt fragt nach mehligen Kartoffeln für sein Gratin. Daran kann ich mich noch immer nicht gewöhnen: Dass es Überlebende gibt von einer Jugendkultur, die nie meine war, und bei denen die Insignien dieser Jugendkultur irgendwann zu etwas geworden sind, vergleichbar mit den anderen Handelsmarken, über die man nicht länger nachdenkt; zu denen man bedenkenlos greift. (Notizen für «Bock auf Bock»; eine andere Idee betrifft den an Sasha Frère Jones geschulten, synoptischen Vergleich von «Common People» und «Novocaine»—aber wann soll ich das denn auch noch machen?)

Seit Thom Yorke im Interview mit Christoph Dallach im Zeit Magazin erklärt hat, dass er am Neigungswinkel eines Smartphones erkennen kann, ob ein Tischnachbar tatsächlich bloss eine Nachricht verfassen will, wie er vorzugeben scheint, oder ihn in Wahrheit doch zu fotografieren versucht, mache ich das nicht mehr. Und übe mich in der Kunstform des Beschreibens.Vor dem Café Mozart wird, vom Stuhl aus, nach dem frühen Mittagessen ein Taxi bestellt. Es ist elf Uhr. Die Dame trägt eine Bluse aus einem dieser zeitgenössischen Stoffe, der sowohl geometrisch, aber auch mit Tierfellmustern gestaltet ist.

Um 11 Uhr 18 fängt’s an zu regnen. Petrichor!

Im Mozart muss man reingehen, wenn man bargeldlos zahlen will (aus deren Sicht: muss): «Das Gerät ist nicht transportabel.»

Erstaunlich viele gehen jetzt mit aufgespanntem Schirm einher, sie haben sich gewappnet, hören dem Wetterbericht. Und auf den vom Regen bald überströmten Strassen bildet sich eine Schicht von Schaum. Schaum von was?

Oder um es mit Alfred Döblin zu sagen: Nächstes Jahr, 2019, wird’s noch wärmer.