28.2.2020

Seitdem die Wettervorhersage auf meinem Telefon verlässlich geworden ist, verspüre ich meinen Frischluftdrang ungestümer denn je. Davor blinzelte ich vielleicht in die Sonne, abwägend, hadernd; mittlerweile weiss ich, dass mein Gerät mir eine Wettervorschau zu bieten hat und gehe einfach los.

Ich bin dem Gerät gegenüber insgesamt vertrauensseliger geworden. Als alles dies noch neu war, es ist gerade mal zwölf Jahre her, habe ich beispielsweise noch darauf geachtet, den Ortungsdienst nur für bestimmte Aufgabenstellungen einzuschalten, was sicher auch damit zu tun hatte, dass die Batterien damals noch schlechter waren, aber nicht nur. Heute lasse ich alles andauernd an und lade trotzdem seltener denn je. Neulich hat mir Fritz, da war er gerade aus Los Angeles zurückgekommen, ein Feature von Maps gezeigt, das man hierzulande noch nicht kennt (weil unsere Polizei es noch nicht füttert), da zeigte die Karte in einer Gegend von Los Angeles dieses mir unbekannte rote Symbol. Es bedeutet «Schiesserei».

Und als ich heute vom Spaziergang heim kam, machte Google mir das Angebot, die Verfügung für den Fall meines Ablebens auszufüllen. Nennt sich Plan für Ihr Konto: In der Regel gehen wir davon aus, dass sie tot sind, wenn ihr Konto drei Monate lang inaktiv bleibt. Ich konnte das natürlich noch konfigurieren, beließ es dann aber trotzdem bei den voreingestellten drei Monaten, weil mir das vernünftig erschien als Zeitraum und überhaupt, beziehungsweise, weil ich mir auch keine noch so extreme Spezialsituation vorstellen konnte, aufgrund derer ich drei Monate lang stillhalten könnte, außer halt Tod. 

Währenddessen dachte ich parallel darüber nach, ob Google wohl auf die Idee zu diesem Vorschlag ausgerechnet jetzt gekommen war, weil ich an einer Google wohlbekannten Straßenecke vor dem kleinen Tempel für den dort im vergangenen Sommer verunglückten Radfahrers innegehalten hatte, um die prachtvoll aufgetürmten Gaben und das laminierte Portraitbild des Toten dort auf dem Asphalt des Radweges zu fotografieren. Eine Art Mitgefühl, Roman.

Ich vergess Dich nicht hat eine Frauenhand mit schwarzem Filzstift auf den Asphalt geschrieben. Ich sehe dieses Detail erst jetzt, da ich das Foto auf einem grösseren Bildschirm betrachte. Die Aufnahme ist enorm scharf geworden, auch wegen des Sonnenscheins, so dass ich endlos in die Schrift auf dem Radweg hineinzoomen kann, bis ich schon beinahe das Körperzittern darin erkennen will. Moritz hat mir das neulich erzählt: Der Mensch hat ein Eigenzittern in seinem Skelett und der Muskulatur, das die Fotos im Mikrobereich unscharf werden lässt. Aber die neue Kamera von Sony, ein Consumer Model mit extrem hochauflösendem Sensor, hat jetzt eine Software, die exakt dieses menschliche Eigenzittern aus den Aufnahmen herausrechnet.

Für den Fall, dass ich gestorben bin, löscht Google jetzt nach drei Monaten mein Konto, verschickt aber noch beliebig lange eine von mir zu konfigurierende Nachricht an jeden, der eine EMail an mich schreibt. Ich schaute nach bei Martin Walser: «Gegen Schluss müssen die Sätze, obwohl ja alle Sätze gleich lautlos auf dem Papier stehen, leiser wirken. Und richtungsloser. Wenn noch eine Tendenz, dann die zum Stillstand. Die schönste aller Tendenzen.»

Also habe ich verfügt, dass Google nach der Löschung meines Kontos die folgende Nachricht verschickt: «Dieses Konto verwende ich nicht mehr.»