29.9.

Powerfrühstück morgens um neun Uhr mit Erik im Birdhouse, das, ich musste beinahe um den Block herumgehen, bis ich es endlich als dieses, das unsrige Birdhouse, wiedererkannt hatte, in meiner Abwesenheit einen Besitzerwechsel hatte. Hinter dem Tresen steht nun ein Migrantenpärchen griechischen Ursprungs, aus Athen. Die Küchengeräte wurden gründlich abgeschrubbt, es sah so aus, als sei dort alles neu eingebaut. Auch die Außenwelt des vogelhausförmigen Imbissgebäudes war neu gestaltet worden: Es gibt jetzt Blumen und eine mit Lackstiften gestaltete Tageskarte. Es gibt Croissants.

Dieses gesamte Viertel, gegenüber des Hauptbahnhofs gelegen, und dort hinter dem Museum Hamburger Bahnhof, war jahrzehntelang nicht nur im Grunde nicht, sondern überhaupt gar kein Viertel, sondern eine Brachlandschaft, gesäumt von einer langen Aneinanderreihung, von der Form her in etwa mit der Länge dieses Satzes vergleichbar: ein ehemaliger Lagerschuppen, in denen sich zu einem späten Zeitpunkt der zur Legende gewordene Nachtclub Crackers eingerichtet hatte – daneben, in einem alleinstehenden Bau, die Disko Tape, wo ich im Jahrhundertsommer 2010 ein Konzert von The Whitest Boy Alive erlebte, das bis zum nächsten Tag um acht Uhr morgens ging –, hier entsteht jetzt pilzhaft überschießend, rings um die angeblich größte Tankstelle Deutschlands herum, in deren Nachtshop Erik schon einmal Brad Pitt begegnet war, das, wie es heißen soll, Europaviertel, für das vor allem Max Dudler sehr viele Gebäude vom Band rollen lässt. Professor Dudler, ein Schweizer, der in Moabit derzeit auch für die abartig hässliche Fassadengestaltung einer in Gründung befindlichen Mega-Mall verantwortlich gemacht werden darf, hat in den frühen Neunzigerjahren das Restaurant Sale e Tabacchi sehr schön eingerichtet. Seitdem geht es mit seiner Kunst steil bergab. Das Europaviertel mit seinem sogenannten Kunstcampus jedenfalls unterscheidet sich noch nicht einmal mehr formal von den dahinter gelegenen Plattenbauten aus der Ostberliner Antike. Es ist überhaupt gar kein Wunder, dass die Ostdeutschen sich mehrheitlich als Dissidenten in der Bundesrepublik begreifen, angesichts dieser trostlosen Architektur. Einzig der immense Schornstein des Bundeswehrkrankenhauses steckte seine schmutzige obere Hälfte schamhaft in den Nebel, der über der Großbaustelle hing. Sogar Erik hatte sein Erscheinungsbild auf verblüffende Weise überarbeitet. Er sah jetzt aus wie der junge Lech Walesa.