3.2.

Hinaus aus der Stadt – zumindest war das mein Plan. Schon bei der Einfahrt des sogenannten Sprinters von der Hauptstadt nach Frankfurt, das ja auch eine mögliche Hauptstadt bedeutet hatte, legte die Bahn einen vorbildlichen Zahn vor: Der Zug stand eine Viertelstunde vor Abfahrt auf dem Gleis. Ich finde sämtliche Beschwerden über die Pünktlichkeit et cetera sowieso spießig. Es reist sich mit keinem anderen Verkehrsmittel so angenehm wie mit der Bahn. Und keines hat vergleichbar schön dimensionierte Fenster zum Hinaus-in-die-Landschaft-schauen, das kommt noch dazu. Es gibt, zumindest gleich nach der Stadtgrenze von Berlin, dort sehr viel zu sehen.

Ich mag Deutschland außerhalb seiner Städte. Ich mag die Flächen, die allenfalls von Überlandleitungen strukturiert werden und ansonsten ist da nichts, noch nicht einmal Wälder, bis hin zum Horizont. Der weit ist, sich über unmerkliche Hügel erstreckt, und, weil der Zug aus Berlin heraus über Halle und Erfurt in Thüringen nach Hessen führen sollte, bis dahin beinahe ununterbrochen sich zeigen kann, denn es ist ja fast alles Agrarland, eine Brache (aus architektonischer Sicht).

Autobahnen. Ich saß im Bordrestaurant und schwelgte in den Geschichten, die mir und vielen hunderttausend anderen Lesern von dem Bordmagazin Mobil erzählt wurden, das, seitdem es vor nur wenigen Wochen erst vollkommen neu gestaltet worden war, auch inhaltlich, sich vom Gratisblatt zu einer Zeitschrift entwickelt hatte, die wahrgenommen werden wollte. Und als Herausgeber eines Archivs für literarischen Journalismus ist es für mich selbstverständlich, dann dort ganz genau hinzusehen.

Draußen färbte sich der Bildrand in Kürbistönen ein, dazwischen herrschte das Wetter; in Berlin hatte es noch geregnet, eisig kalt übrigens. Der Kellner des Bordrestaurants war mit seiner Freundin auf Whatsapp. Nach drei, vier raschen Repliken rief er sie an, um sie zu fragen, ob sie sich endlich erbrochen hätte.

Unser Zug hielt an, weit noch vor Erfurt. Wir befanden uns noch nicht einmal auf Thüringer Boden, sondern in Delitzsch. Angeblich, so kam es über die Lautsprecher, war hier eine Fliegerbombe gefunden worden, die jetzt entschärft werden musste. Nach einiger Zeit des Stillstehens stiegen alle aus.

In dem Bahnhofsgebäude gab es einen Aufenthaltsraum ohne Geldautomaten. Auf dem diagonal gefliesten Boden standen eine künstliche Palme, die aus einem ausgedienten Weinfass ragte, sowie ein lackierter Stehtisch im Tikki-Design. Was an diesem Stehtisch verzehrt oder gegluckert werden sollte, blieb fraglich, weil es im Bahnhof von Delitzsch keinerlei Imbissbetriebe, oder sonst irgendetwas dergleichen gab. Hinter dem Fahrkartenschalter saß eine Frau, die professionell auf mich wirkte, die ich fragte, ob es hier in Delitzsch einen Geldautomaten gab. Sie sagte: nein.

Dann fuhr unser Zug weiter. Es hieß, die Bombe sei nun entschärft, aber davon war in der Vorbeifahrt nichts zu erkennen: weder ein Krater, noch ein Roboter, noch Leute oder ein Gefährt.

Genau so schnell, oder eilig, wie die Laune meiner Mitfahrenden wütend und schlecht geworden war, hatte sie sich nun wieder gelegt.
Die in dem Mobil-Heft auf mehr als dreißig Seiten plattgewalzte Mobilfunkinitiative der Bahn, also, dass man jetzt von seinem Zugsessel aus ins Internet kann, während man durch die Landschaft saust, wird in Zukunft nur weitere Anlässe liefern, dass die Passagiere sich beschweren und aufregen wie bei unserem Bombenalarm. Bloß dass es dann halt nicht mehr um Ankunftszeiten gehen wird, sondern um mangelnde Downloadgeschwindigkeiten. Ich jedenfalls war ganz froh, dass die Fliegerbombe entschärft werden konnte, und uns nicht auch noch um die Ohren geflogen war! Tod in Delitzsch: Nein danke. Andererseits ist es ja auch egal, wo und wie.

Draußen zeigte der Planet einen Schattenriss seiner bebauten Kruste vor himmlischen Folien. Alles stand kurz vor dem Verglühen.