4.12.

Freilich habe ich mir dann doch noch einen kleinen Scherz erlaubt mit meinen beiden Schnecken. Und zwar einen practical joke, einen, wie es nicht erst mittlerweile heißt, prank – ich bin mir leider sicher, dass sie ihn nicht verstehen werden. Aber was soll’s! Ich stelle es mir so dermaßen lustig vor, aber leider werde ich ja nicht zugegen sein können, wenn die Sache steigt, die Bombe platzt gewissermaßen und von daher stellt sich jetzt die Frage, ob ein Witz auch witzig sein kann, wenn ihn niemand mitkriegt, also an sich? Daoisten wie Jorge Luis Borges fällt dazu vermutlich der Sound of one Hand clapping ein.

Ich hingegen habe den Schnecken ein rohes Ei unter ihre Kuppel gelegt. Sie sind ja ganz verrückt nach Kalk und fräsen jede Woche den Gipfel einer Frühstückseierschale kurz und klein. Nun, da sie allein zu Hause sind, werden sie sich nach dem Zerschleimen des Gemüsebergs mit Wonne auf das monolithisch umherkullernde Ei stürzen, um dessen Schale wie gewohnt mit ihren unermüdlichen Radulen zu beackern. Dass diese ihre Knochenschaufelräder scharfzackig sind, erwähnte ich ja gestern bereits. Um dann aber, hier kommt der Prank mit dem Arbeitstitel Après nous le Déluge, nach ein paar Tagen durch die Schale zu brechen wie üblich. Gänzlich neu wird ihnen dabei sein, dass ihnen aus dem Raum hinter dem Loch in der Eierschale, aus dem Eiinneren also, eine Riesenmenge zimmerwarmen Schleims entgegenquellen wird (ob Schnecken mit ihren Fühlerpünktchen Farben sehen können, ist noch nicht erforscht). They met their master, so to say. Das ließe sich jetzt ewig weiterspinnen, ob dann die von Eiklar gänzlich verschütteten Schnecken in diesem Ei, aus dessen Schoß quasi die Schleimmassen quollen, ihren Gott und Überschneck erkennen wie einst die Ewoks auf dem Waldplaneten Endor im goldenen Roboter C3PO den Ihrigen et cetera. Aber es wird ja leider, wirklich leider so sein, dass ihnen zur Epiphanie der hierfür nötige Geist fehlt. Schleim zu Schleim gewissermaßen.

Ich finde es trotzdem derart lustig. Also die Vorstellung! Mir hat sie die ganze Bahnfahrt versüßt (und den Rest besorgte der sogenannte Relaunch des Bahnmagazins Mobil), wie ich mir diesen tunnelhaften Moment des Durchbruchs in Makro und unter der Zeitlupe wieder und wieder in Gedanken habe vorspielen lassen: Wie das Eiklar mit monströs gedehnten Quellgeräuschen aus dem Loch lappt und beide Schnecken (mit winzigen golden spiegelnden Bauarbeiterhelmen auf) gurgelnderweise mit sich reißt. Dagegen war die arme Kuh, die neulich auf meiner Rückfahrt auf Stuttgart vom ICE überfahren wurde, geradezu gar nichts. Wobei: ein bisschen halt doch (aber auf der Fahrt zum Bahnhof hatte ich in der S-Bahn neben einem Mann Platz genommen, der eine Augenbrauenprothese auf hautfarbenem Plastik montiert trug (darunter, sie saß nicht ganz perfekt, lag schwarz im Schatten seine Augenhöhle ohne Augapfel drin, das war ganz schön gruselig!)).

Vor dem Fenster draußen, wir hielten in Wolfsburg, stand der Rauch wattehaft über den Schornsteinen des schönen ziegelbraunen Komplexes. Ein Sonnenuntergang in Grün und Gelb durch staubige Scheiben. Die in Orange beleuchteten Outskirts von Hildesheim. Dann Stadt des Wissens. Ich vervollständigte die zarte Silhouette des Mondes mit der Zeigefingerspitze in die Luft malend zu einem in Schreibschrift geschriebenen Z (also nahm er zu und es würde schon bald wieder mal Vollmond sein). Kurz vor Fulda (die Barockstadt hat einen neuen Zusatznamen und nennt sich jetzt auf den Bahnsteigschildern »Voll da! Fulda.« (Abb. Emoji »Face with Medical Mask«) hielten wir ohne erläuternde Lautsprecherdurchsage zehn Minuten lang bei schlechten Lichtverhältnissen auf freier Strecke an. Ich dachte natürlich sofort an die Kuh und musste als einziger lachen im Ruheabteil. Danach ging wieder das mit den Schnecken los. Als wir die Kinzigtalsperre passierten, war es kohlrabenschwarz, still, finster und Nacht.

Hallo, lieber zweiter Advent.