4.9.

Der vorläufige Höhepunkt eines an Höhepunkten wahrlich nicht geizigen Jahres ereignete sich am gestrigen Nachmittag um 15 Uhr 23 an einem Bratwurststand. Wir saßen im Garten des Literarischen Colloquiums unter einer Eiche, ich aß eine Bratwurst, da näherte sich dem Bratwurststand ein einzelner Mann. Wie zögernd war er in einigem Abstand zum Grill stehengeblieben.

»Sie sehen aus, als wollten Sie eine Bratwurst«, rief der Bratwurstmann.

»Ja«, sagte der Zögerliche, »aber nicht jetzt«. Dabei griff er sich mit beiden Händen bedeutsam in den Bauch.

»Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel«, rief der Bratwurstmann.

»Ja, aber ich will nicht noch männlicher werden. Es reicht.«

Wie immer, wenn mir so etwas passiert, hatte ich nichts zu schreiben dabei (also Notizbuch oder überhaupt Papier), also notierte ich den Dialog auf eine Wurstpappe. Beinahe ein mise en abyme!

Kurz darauf fingen in der sogenannten Rotunde am Wasser die Lesungen an. Es war deprimierend. Und Anne, die angeblich an einer durch die Einnahme von Aspirin Complex verkomplizierten Sommergrippe litt, steigerte sich in den Wahn, in dem Gebüsch hinter uns hingen Verwesungsgerüche (was ehrlich gesagt auch gut sein konnte, denn es gibt hier derzeit des Nachts umherschweifende Füchse, die in den stillen Gärten ihre Paarungsspiele aufführen). Nicht einmal Joachim Lottmann war gekommen. Der einzige uns bekannte Schriftsteller war Alban Nikolai Herbst. Anne drängte auf sofortigen Abbruch des Experiments.

Am Tor trafen wir auf Philipp Albers und Holm Friebe, die versuchten eine der Stipendiaten des Hauses telefonisch zu erreichen, um das Eintrittsgeld (8 Euro) zu sparen. Mit Holm Friebes Journalistenausweis hätte es sogar nur 5 Euro gekostet. Ich fachsimpelte mit Luke über mein Holzbein. Bald würde es ja wieder Zeit sein, dass ich diese Hose tragen könnte, und, so Lukes Hoffnung nun seit über einem Jahr, dann wäre auch bald darauf die schöne Erntezeit gekommen, dass Luke die aus meinem Holzbein sprießenden Gemüse endlich ernten dürfte. Dann lockte die Hüpfburg, die als Kinderfang gut sichtbar im Eingangsbereich vor dem Haupthaus aufgepumpt worden war. Schon einige arglos vorbeispazierende Familien waren an diesem Nachmittag von ihren durch die Hüpfburg faszinierten Kinder in die Fänge des Sommerfestes geraten. So auch der nette Unternehmensberater, den wir mittags beim Zitronenkuchen kennengelernt hatten, und dessen freundlichen Söhnen wir arglos von den Freuden des Sommerfestes erzählt hatten. Auch die hielten sich nun schon seit einer Stunde in der Hüpfburg auf. Ihren Vater, der für den Erfinder von Red Bull einen Salzburger Buchverlag aufbaut, hatten wir leider nicht wiedergesehen. Vermutlich networkte der im Gebüsch. Dann kam endlich die Stipendiatin, Philipp und Holm wurden erlöst.

Heute früh: Nebel, Kirchenglocken. Eine Novität. Anscheinend werden die den Sommer über abgeschaltet.