5.5.2019

Am Morgen war der Uetliberg, den ich durch das Fenster in meiner Kammer sehen kann, weiss gepudert. Unter dem Dach war es kalt geworden. Ich verliess das Haus und fuhr mit dem Niederflurbus auf den Züriberg hinauf, um mich im Tropenhaus des Zoos aufzuwärmen. Dort hatte es leuchtend orangefarbene Vögel, die zutraulich waren. Von Nahem betrachtet, schauten sie genau aus wie Spatzen, denen man die karamellfarbenen Teile ihre Gefieders mit Textmarker übermalt hätte. Ich stieg dort auf einen Aussichtsturm, der aus ungefähr zehn Metern Höhe einen majestätischen Blick über die Wipfel des tropischen Waldes unter dem gläsernen Dach möglich machte.

Gestern sass ich mit Michel Comte zusammen, der in einem ringsum verglasten Penthouse wohnt. Gleich hinter dem Haus beginnt ein Wald. Auf seiner Terrasse führten seine Hunde sich auf, als müssten sie dringend hereingelassen werden. Der kleine Braune hielt ein Hinterbein eingezogen und tat so, als könnte er nur noch auf dreien herumhumpeln. Der grössere Weisse zitterte, als hätte es minus dreissig Grad. Unten auf der Wiese ästen die Rehe. Comte hielt einen schwarzen Kater auf dem Schoss, dessen langhaariges Fell sich anfühlte wie Kaschmir. Der Kater heisst Cocteau.

Ich fragte, wie er und seine Frau Ayako sich kennengelernt haben. Ich glaube ja, Kennenlerngeschichten sind die besten von allen. Er sagte: Auf einem Formel-1-Rennen, das war vor elf Jahren. Und seitdem hat sich sein Leben komplett verändert, wie er sagt. Und das zum Besten. Er hat die Fotografie so gut wie aufgegeben, malt viel, seit neuestem macht er Land Art in einer Wüste an der syrischen Grenze. Er ist in den vergangenen elf Jahren einmal beinahe ums Leben gekommen; ein ander Mal riss ein Sicherungsgurt an der Ladefläche seines Rahmenlieferanten und fetzte ihm mitten ins Gesicht. Comte trug eine Brille mit Gläsern. Über einhundert Glassplittern mussten ihm während vieler Operationen aus den Lidern und Augen entfernt werden. Heute trägt er meistens eine Sonnenbrille, deren Gestell er für sich selbst entworfen hat.

Während er mir das erzählte, besprühte Ayako die auf dem Fussboden versammelten Grünpflanzen mit Waserdampf. Die Hunde sassen ihr zugewandt hinter der Scheibe und verfolgten jede auch noch so kleine ihrer Bewegungen. Das Haus macht ziemlich was her. Durch die Scheiben hinter dem Kamin schaut man auf den See. Er scheint nah, aber das ist trügerisch. Zu Fuss geht man bestimmt an die zwanzig Minuten bis ans Ufer bergab.