6.1.2019

Gestern abend ging es ins «Wild Palms» — endlich, wie ich sagen muss. Den Wunsch, dieses, von aussen betrachtet, obskure Restaurant auszuprobieren, haben wir seit dem vergangenen Sommer gehegt, seitdem Martin Mosebach uns damals von seinem Besuch dort in der für ihn typischen Farbigkeit erzählt hatte. Zwar konnten wir seinem Bericht auch entnehmen, dass er nicht unbedingt häufig sich in asiatischen Restaurants hatte bekochen lassen, doch gab es in seinem Redefluss des generellen Staunens schon einige wie bizarr daraus hervorragende Details, die er, Mosebach, noch während er selbst zu uns sprach, an uns, an unseren innerlichen Augen wie es heisst, vorüberschippern liess.

Und gestern dann, wie gesagt: Nichts wie hin. Das «Wild Palms» befindet sich im Souterrain eines Bürogebäudes gegenüber des Hauptbahnhofes. Von dem für diese Gegend typischen Lärm und Gewese kriegt man aber dort unten in dem fensterlosen Kellergeschoss nichts mit. Darüberhinaus ist die weiträumige Fläche geschickt beleuchtet und mit unauffälligem Mobiliar in eine einzige Sitzlandschaft strukturiert, wo Gruppen von zwei, bis gut und gerne zehn Personen eine für sie jeweils wie massgeschneidert wirkende Insel der Abgeschiedenheit finden sollen. In die Tischplatten ist dann jeweils ein unauffälliges Ceranfeld eingelassen, dessen Heizkraft man allerdings nicht unterschätzen sollte. Kaum nämlich dass einer der leis in Tennisschuhen auftretenden Kellner einen Topf mit zwei Brühen diesem Felde aufgestellt und im Kontrolldisplay mit der Fingerspitze die Leuchtziffer 5 aktiviert hat, fangen diese in des Topfes Rund gehegten Brühen auch schon lebhaft an zu sprudeln (Der Topf ist auf seiner Mitte durch eine eiserne Wand in zwei Hälften unterteilt wie diese sprichwörtlich gewordenen Öltanks, oder, platt gesprochen: die deutsche Hauptstadt einst in West- und Ostberlin).

Man geht dann besser rasch hinüber zu dem silbrigen Regal, in dessen kühlen Fächern die von Meister Mosebach bestaunten Meeresbewohner ausgebreitet lagern. Auf gonghaft flachen Blechtellern, die selbst bloss sparsam dekoriert sind, eher schlichten, trägt man dann, wozu man Lust hat es zu munden, zurück zum Topfe, der mittlerweile, auch weil er, gleich wie gross die Gruppe sein mag, gleich wie gross der Tisch, doch stets auf diesem dort im Zentrum steht, zu einer Art Lagerfeuer, zu dessen Abglanz immerhin geworden war in unseren Augen (den äusseren wie innerlichen). Hier liess es sich vortrefflich plaudern. Unablässig steckte man mit den Stäbchen eine Garnele, eine (Wähl-) Scheibe von der Lotusblüte, auch mal ein paar Froschbeine, die speziell auf Fotos danach ausschauten, als läge dort der gehäutete Hinterteil eines muskulösen Menschen, in die würzig brodelnde Suppe. Es schmeckte alles vortrefflich und je mehr und je vielfältigeres Zeugs man in den Brühen garte, desto köstlicher mundete die Brühe, die man freilich am Schluss erst ausschlürfen darf.

Ob Mosebach wohl tatsächlich schon einmal dort gegessen hat? Dafür könnte sprechen, dass das «Wild Palms» zwölf Stunden aufhat, bis tief in die Nacht, und man für einen verblüffend geringen, auch nur einmalig zu entrichtenden Betrag während diesen Stunden nonstop essen und trinken, aber halt auch lediglich in dem Souterrain verweilen darf, ohne dass einem die Kellner dieses Nachtasyls karierte Fragen stellen. Und Mosebach war doch den grössten Teil des vergangenen Jahres als Australier des Herzens so gut wie obdachlos.

So recht konnte ich ihn mir im «Wild Palms» aber doch nicht vorstellen. Vielleicht hatte er ja auch ein ganz anderes Restaurant gemeint.