7.10.

Das Leben auf dem Land, Landlust in der HC-Variante, also hier, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in einer Datschenkolonie, hat wenig bis nichts mit dem von Sue Hubbell beschriebenen gemeinsam (oder gar mit dem von Peter Mayle beschriebenen oder dem von Thoreau; Wolf Rüdiger Marunde war noch gar nie hier, Dörte Hansen dito (nehme ich einfach, aber nicht leichtfertigerweise, an)), wenn überhaupt mit irgendwas von irgendwem beschriebenen, dann allenfalls mit Frühem von Arno Schmidt, Caliban über Setebos. Aber hier gibt’s ja noch nicht einmal Scheunen, geschweige denn Menschen.

Der Ausblick ist derart öde leider, dass ich auch und gerade weil die Wände des Hauses größtenteils aus Fenstern bestehen, bald nach dem Aufstehen bereits wandmüde werde, wie Hermann Lenzens Vater das auszudrücken pflegte. Aber gestern dann, ich saß gerade halb weggenickt am Tisch und ließ mir über den Lautsprecher meines Telefons von einem Mitarbeiter von Phonetastisch in Mitte die Prozedur für einen Displaytausch am iPad Pro erklären – derartiges Heimweh nach den Menschen hatte ich bereits; dermaßen viehisch litt ich schon an meiner selbstverschuldeten Eremitage –, fiel meinem, vom vielen Aus-den-noch-mehr Fenstern-Schauen, müd‘ gewordenen Blick auf:

Ein Mensch, muss ich gerufen haben. So jedenfalls kommt es mir im Nachhinein jetzt vor. Ich blieb sitzen und brüllte hinter meiner Scheibe. Mein Wunsch, diesem Menschen zu begegnen, ihn ansprechen zu dürfen, seine Hand berühren, insofern er sie ausgestreckt’, schütteln sogar: All diese, sich nach Machart einer Partytröte dicht hintereinander entrollenden Wünsche eilten mir schneller noch als der Schall meiner Rufe voraus, bis ich dann endlich selbst aufstand und sozusagen mir hinterherkam, um ihm, der einem altertümlichen Tanklastwagen entstiegen war, bis an das Gartentor heran entgegenzueilen.

Nach der in Brandenburg üblichen Begrüßung erklärte er mir in sachlichen Worten, zu wessen Behufe er gekommen war. 

»Hier«, sagte August Sanders Posterboy 2016 und nahm die Kappe ab von einem kruckenhaft aus dem kargen Erdreich ragenden Rohr, an dessen bloßgelegte Öffnung er einen aus seinem marineblau lackierten Tankwagen über den nassen Mittelstreifen sich wälzenden Schlauch flanschte. 

So unmysteriös also war es in Wirklichkeit: Das zusätzlich auch noch sagenumwobene Geheimnis der DDR-Kanalisation. Es gab sie nämlich gar nicht. Also jedenfalls nicht in einem dem 21. Jahrhundert verwandten Sinn. Die Abwässer der Häuser hier wurden in individuell im Vorgarten vergrabene, im Zweifelsfall  umgewidmete Atombunker aus den Fifties, geleitet und dort so lange unterirdisch zwischengelagert, bis dann am Tag nach der Mülltonnenabholung, gesetzt freilich dem Fall, sie wurde auf der dem Grundstück gegenüberliegenden Seite des Feldweges mit den Griffschalen jedoch auf das besitzangebende Grundstückstor gerichtet, abgestellt, der Tanklastzug vorrollte, um vermittels des sich über den nassen Mittelstreifen wälzenden C-Rohrs, den unterirdisch zwischengelagerten Content (um mich abzulenken, arbeitete ich in einem Subchannel meines Bewusstseins bereits »mit Hochdruck – Hihi!!!« an einer Kampagne für die Brandenburgische Abwasserwirtschaft, BAWW, die es in punkto Humor mit derjenigen der Berliner Verkehrsbetriebe, BVG, aufnehmen können würde und täte), in das mobile Tanklager einzuschlürfen. Tja, tatsächlich. So hörte sich das an. Ich verabschiedete mich und verzog mich hinter das Haus, da ich nicht zugegen zu sein vorhatte, wenn er erst den dicken Schlauch wieder abflanschte. »Die Minute zwischen Flansch und geschlossener Kappe« (Hihihihihi!!!), Untertitel: »Notizen für eine brandenburgische Posse aus dem Ventunesimo, Fäkaler Roman«.

Ruhe und Frieden, mich selbst letzten Endes, fand ich dann schließlich in der Natur. An dem Apfelbaum hingen noch wenige Früchte, doch bei näherem Hinschauen entdeckte ich daran, vor allem auch darin, die Hornissen, die jene am Baum hängenden roten Äpfel bereits ausgehölt hatten wie Kürbisse. Eigentlich ja Fleisch-, auch Aasfresser sind ihnen in dieser Jahreszeit sogar sterbende Früchte recht, deren vergärende Säfte ihnen die für die Winterzehrung notwendigen Kohlenhydrate liefern. Nicht nur Bier ist flüssiges Brot, ein faulender Apfel tut es halt auch. Den Stich der Hornisse braucht übrigens niemand zu fürchten. Entgegen der Horrorgeschichten ist hier im Vergleich zur DDR-Kanalisation genau das Umgekehrte der Fall: Der Hornissenstich tut weniger weh als der einer Biene. Als Grund wird vermutet, dass die Hornisse wie die Wespe mehrfach zustechen kann in ihrem Leben. Im Gegensatz zur Biene, die kamikazemäßig stirbt (ihr Tod ist verschlungen mit dem Sieg).

Auf dem von mir bereits mehrfach erwähnten Schmidt Sting Pain Index, SSPI, des Insektenstichschmerzforschers Justin Schmidt belegt der Hornissenstich eine submediokre Zwei. Mister Schmidts Tasting-Note: »Wie ein abgebrochener Streichholzkopf, der auf deiner Haut abbrennt«.