8.3.

Neulich, es ist bereits wieder eine halbe Woche her, da saß ich vor dem Beginn der ersten Lesung von Ronja von Rönne auf einem schwarz angemalten Podest und lehnte meinen Kopf sozusagen diskursiv an die Schulter meines Freundes Jan. Und gedanklich gab ich ihm zu verstehen: Verstehst Du mich, ich will nicht nur nicht, ich kann eigentlich wirklich nicht noch einmal umziehen. Weder psychisch noch physisch (Helau, alle Kölner: Try this at home), denn mir tut bereits jetzt, beim bloßen Gedanken daran, alles weh. Das nicht Gesagte blieb dabei, natürlich, entscheidend.

Da dies eine gedachte Unterhaltung unter Freunden war, wie sie nur Freunde sich ausdenken können, die beinahe gar nichts mehr vor einander aussprechen müssen, gab mir Jan dazu keine Antwort, sondern schaute, wie ich selbst übrigens auch in diesem Moment: einfach drein.

Seit ich das iPad Pro besitze, frage ich Siri jeden Tag jeweils morgens und dann noch einmal zur blauen Stunde nach dem Sinn des Lebens. Oft zitiert sie Douglas Adams und sagt »42«. Manchmal rät sie mir zu Schokolade. Oder dazu »noch mehr nachzudenken«. Einmal sagte Siri: »Das weiß ich nicht. Aber wenn Du mir etwas Zeit gibst, schreibe ich dir ein sehr langes Theaterstück, in dem nichts passiert.« Ein Umschalten der Stimme von der weiblichen zur männlichen, wie mir die Muse anlässlich dieser Frechheit geraten hatte, bringt qualitativ übrigens, von mir korrekt und empirisch und stochastisch ermittelt: nix.

Schokolade, 42 und nachdenken. Das machte ich also, während die S-Bahn sich allmählich jenem Bannkreis näherte, ab dessen Übertreten es mehr kosten täte. Doch genau auf der Grenze von AB zu ABC stieg ich aus.

Es ist die einzige mir bekannte Station, deren Schild noch in Fraktur beschriftet ist, und allein das machte mir meine neue Behausung sympathisch. Unter S-Bahn-Gourmets, von denen es einige gibt, hat auch die Architektur dieser Station so einiges zu bieten, aber das ficht mich nicht an. Der berüchtigte See zeigte sich werbend, er hatte Sonnenlicht eingefangen, das, untergehenderweise, in dumpfen Nuancen von Purple und Apricot den Philologen zu Denken gibt, weshalb wohl die alten Griechen Farbworte für alles mögliche hatten, nicht aber für Blau. Weswegen Homer die See als »weindunkel« beschrieb. Als das Meer noch Pontus hieß, und als ein Wesen erachtet wurde. Dann sank die Flotte und der Herrscher befahl seinen Soldaten, den Pontus mit elftausend Ruten zu peitschen, bis er die Flotte wieder herausspucken würde.

Auf der anderen Straßenseite wurden die abendlichen Gesänge der Vögel laut.

Das Tor der Klinik war elektrisch betrieben. Man zeigte mir ein Zimmer, das war größer als das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Und von meinem zukünftigen Bett aus sah ich ein Panorama des Sees. Es gab und es gibt eine Waschmaschine. Es gibt einen Herd. Es gibt einen Kühlschrank. Es gibt Treppenstufen. Es gab und es gibt sehr viel mehr von allem dort, als ich gebrauchen könnte. Aber ich will mich nicht beklagen. Ich will mich einfach nur ausruhen. Ich will, das sagte ich der Klinikleiterin auch direkt – nicht bloß, weil sie mich nach meinen Wünschen gefragt hatte: eigentlich nicht mehr weg von hier. Und dass ich nicht will, dass sie das Schild auf dem Klingelknopf austauscht und eins mit meinem Namen dort einschiebt. Ich will nämlich nicht, dass hier jemand klingelt.