9.1.

Anne schickt ein Bild aus dem Leipziger Hauptbahnhof: ein Quadruple-Feature, wie sie es nennt. Zu sehen sind vier Leuchtkästen in der Wandelhalle dicht beieinander, in jedem ist eine Werbung von Elitepartner.de zu sehen. Ich schreibe ihr, dass man mal echt etwas über Bahnhöfe machen müsste, also über den Bahnhof als Ort an sich und sie schreibt zurück »Mach mal«. Aber ich kann nicht.

Ann Scott hat die Playlist gepostet, die sie während des Schreibens benutzt hat. Ein Roman ist ja überfällig, seit etwa einem Jahr wird die Veröffentlichung verschoben, ich bin schon davon ausgegangen, dass da überhaupt nichts mehr kommt. À la folle jeunesse habe ich sehr gern gelesen. Ich habe zig Verlagen angeboten, dass ich es übersetze – keiner wollte es haben. Ihr neues Buch soll noch immer Cortex heißen. Die Playlist ist aber fürchterlich und könnte auch von Sibylle Berg zusammengestellt worden sein: Marilyn Manson, Nine Inch Nails, Hans Zimmer.

Ich kann keine Musik hören, während ich schreibe. Mich stört Musik schon beim Denken, und hier hat meine Wohnung einen echten Vorteil zu bieten: Es ist dort zu jeder Tages- und Nachtzeit vollkommen still. So sehr, dass ich meine Cornflakes ultraleise esse, weil ich vor dem Sonnenaufgang die Vögel zwitschern höre. So laut zwitschern die, beziehungsweise so still ist es um mich herum. In dem Baumgerippe vor dem Plattenbau sitzen sich zwei Elstern gegenüber und krähen, immer abwechselnd. Vor ein paar Monaten diskutierte ich mit Frédéric Schwilden in der Bar der Mädchenschule über die Sprache der Vögel. Er war da gerade noch mit seinem ersten Roman beschäftigt, der garantiert noch vor Cortex erscheinen wird, und darin sollte es auch ausführlich um die Sprache der Vögel gehen. Ich gab zu bedenken, dass Vögel keine Sprache beherrschen, aber das wollte er nicht anerkennen. Ich sagte, dass die Geräusche, die Vögel produzieren, lediglich Signale sind. Dass Vögel, dass selbst Kanarienvögel oder Nachtigallen damit nichts anderes aussagen können als »Fick mich«. Und das eben unermüdlich und tausende Male hintereinander, bis es wieder dunkel wird. Daraufhin fiel ihm zur Abwechslung mal nichts mehr ein. Deshalb fragte ich ihn, ob er denn wüsste, wie Zugvögel eigentlich den Weg finden – die fliegen ja nachweislich in jedem Jahr wieder an dieselbe Stelle in Afrika; selbst wenn es den Ferienbaum inzwischen nicht mehr gibt, weil er gefällt wurde, nehmen sie den Nächstbesten gleich nebenan.

Wusste er aber auch nicht. Vermutlich hatte er noch gar nie darüber nachgedacht. Das war alles überhaupt nicht böse gemeint von mir, aber es kam dann vermutlich doch genau so an.