AN BACHES RANFT

Am Freitag noch standen gleich hinter der Stadtgrenze die Weizenfelder im Wind. Die Halme neigten sich mit der Fahrtrichtung, so als zögen sie mit. Jetzt, kurz nach dem Sonnenaufgang, nur drei Tage später sind alle schon abgemäht. Ballen liegen über den bleichen Flächen verteilt.

Ich kann den Duft der staubenden Süße noch durch die Scheibe des Wagenfensters riechen. Aus der Erinnerung an soundso viele Sommer im Garten am Rand eines Feldweges. Die Felder dort waren freilich geschwungen. Vom Feldweg an, ging es, gefurcht wie Cord, über Hügel hinweg bis an den Waldrand, wo, von Kiefernschatten vor der Sonne beschützt, Wiesen möglich wurden.

So dachte ich eben auch an den lichten Platz an der Bockenheimer Laube, den Friederike mir am Sonntagabend gezeigt hatte: in einem Souterrain im Lofthouse-Stil mit eisernen Sprossenfenstern, der Innenhof überdacht von Geißblatt-Winden und Wein. Es hatte geregnet, am nächsten Morgen würde es wieder regnen: so war das Licht in dem Moment. Kein Strahl der nicht grünte, oder zumindest golden war. Und im Hintergrund, nur wenige Meter entfernt, alles schon dunkel, beinahe schwarz. 

In der Nacht war ich um kurz nach drei Uhr aufgestanden, um die Jalousien herunterzulassen, da war der Himmel eintönig himbeerfarben und es leuchtete einzig die von Neonröhren umrissene Pyramide auf dem Messeturm. Das Dach gegenüber hatte Mickeymouse-Ohren, Silhouetten der Parabolantennen dort auf dem First.

Am darauffolgenden Abend, ich hatte gerade dem Eichhörnchen eine Schale mit Erdnüssen und Pinienkernen gebracht, schallte ein irres Gelächter durch den Hof. Das steigerte sich noch, und als ich oben in der Wohnung angelangt war, hatte das Geräusch schon die Form einer Wehklage angenommen. Weibliche Stimme, wir dachten an einen Verkehrsunfall. Womöglich ward ein Kind überfahren, und die Mutter brüllte den Himmel an. 

Als wir, dem Geräusch folgend, am Spielplatz eintrafen, saß dem dort gegenüber die Mume im Kreis der Leute vom bulgarischen Supermarkt. Die diskutierten etwas und hatten sich von dem nun schon sehr deutlich vernehmbaren Schreien scheinbar nicht aus der sogenannten Ruhe bringen lassen. Es wurde ausgestossen, das konnten wir nun sehen, von einer sehr dicken, weiblich wirkenden Person, die seltsam wulstig deformiert auf dem höchsten Plateau eines Klettergerüstes wie drapiert lag. Direkt vor der Mündung einer von dort oben abführenden Rutschröhre aus Blech, in deren dunkle Mündung sie hineinschrie, was ihrem ohnehin durchdringenden Kreischen noch zusätzliche Resonanz verlieh. Der Eindruck des wulstig Deformierten, dessen wir uns bei ihrem Anblick nicht erwehren konnten, wurde vor allem durch die Beschaffenheit ihrer Lagerstätte bedingt: es handelte sich nämlich um ein Klettergerüst aus Kunststoffseilen, die miteinander verknüpft waren dergestalt, dass sich daraus insgesamt ein Gebilde in Form und auch von der Struktur des Eiffelturmes ergibt. Ich kletterte gemeinsam mit zwei anderen Männern dort hinauf, was gar nicht einfach war. 

Als wir die Schreiende erreicht hatten, zeigte sich diese nicht ansprechbar. Auch nicht, als wir sie mit Wasser aus den zu uns heraufgereichten Flaschen bespritzten. Erst als ich eine dieser Flaschen über ihren Oberkörper entleert hatte, fing sie an, um sich zu schlagen. Dann schlug sie mit einem Mal ihre Augen auf, wurde ganz still und beantwortete unsere Fragen. Mittlerweile war auch der Notarzt eingetroffen. Seiner Aufforderung, zu ihm herunterzusteigen, kam sie nicht nach. Auch als die bald darauf eintreffenden Polizistinnen die noch immer dort in dem Seilgeflecht Liegende aufforderten, nun das Gerüst zu verlassen, rief sie denen zu, sie würde es vorziehen, dort oben zu bleiben. Auf die Frage des Notarztes, was es mit dem Schreien auf sich hatte, antwortete sie: »Klettergerüst, es mußte sein.«

Später, da war es schon dunkel, hörten wir noch einmal ihr Schreien. Dieses Mal aber brach sie ihr befreiendes Ritual schon nach wenigen Minuten ab.