GANZE TAGE IN DEN FELDERN

Nachdem ich ungefähr zwei Drittel (die ersten) meines Experimentes im Dauerfilmeschauen hinter mich gebracht habe, kann ich folgendes Zwischenergebnis, wenn auch vorläufig, zu Protokoll geben: Mein Bewußtsein scheint nach tagelangem, 12 bis zu 15-stündigem Filmeschauen unverändert. Das Bedürfnis allerdings, nach den Sitzungen noch etwas zu schreiben, sei es auch nur eine Art von Gedächtnisprotokoll der Filminhalte, Namen von Schauspielern, Ausstattern oder Komponisten et cetera, ja noch nicht einmal die Filmtitel wollte ich aufschreiben. Mir ist, als hätte ich das Bedürfnis, das alles bloß, wie es heißt, hinter mich zu bringen.

Wobei ich das Schauen selbst nicht unangenehm finde. Doch frage ich mich schon, was mit den Leuten los ist, die vom Binge-Watching schwärmen. Früher nannten die sich noch Couch Potatoes, und ich fand das damals schon blöd.

Ein veritabler Flow, ein Zustand von Zeit und Seinsvergessenheit wie ich ihn vom, wenn es gut läuft, Schreiben im Zustand der Gnade kenne, will sich bislang auch nicht einstellen; nicht auf vergleichbare Weise. Andauernd werde ich von Gedanken herausgerissen. So dachte ich beispielsweise beim frühmorgendlichen Schauen von Caligula—der übrigens auch Cunnilingula heißen könnte—an Fritz J. Raddatz bei jener Szene, in der Peter O‘Toole, der den greisen Kaiser Tiberius spielt, mit einem schwarzen Schleier erdrosselt wird dergestalt, dass sein zum minutenlangen Bühnentod verzerrtes Gesicht unter der dunklen Gaze deutlich zu sehen bleibt. Hatte Raddatz womöglich diesen grottenschlechten Film gesehen und sich diese Szene vor Augen gehalten, als er in sein Tagebuch des Jahres 2011 schrieb, er fühle sich wie eingewickelt (oder -gehüllt?) in einen schwarzen Schleier des Vergangenen, durch den er mit nur noch einem Auge seine Gegenwart wahrnähme?

Robert Smith erzählt von den Aufnahmearbeiten zum Album Blue Sunshine seines Soloprojektes mit The Glove, dass sie seinerzeit um die 600 Filme angeschaut haben werden, um sich in psychedelische Stimmung zu bringen. Es kann also sein, dass sich der Filmgenuß musikalisch ausbeuten läßt, schreiberisch, so scheint es mir zumindest, wird die Transfusion blockiert.

Immerhin spielt das Wetter mit, beziehungsweise: verlockt es mich nicht vom Bildschirm weg und nach draußen. Auf dem See findet die Saisonabschlußregatta statt mit sehr kleinen Booten. In der Mitte des Sees wurde ein Floß verankert, auf dessen Deck eine Dixie-Toilettenhäuschen steht. Vielleicht sogar ein Aschenbecher, ich kann es von hier aus nicht so gut erkennen (und das Fernrohr ist in Frankfurt.)

Na ja, jetzt noch das Farbwerk von Alfred Hitchcock, dafür brauche ich voraussichtlich bis Montag, dann greife ich wieder zum Buch.