Weihnachten und der Weg dorthin

Anstandslos glitt die Harzbahn, ein veritables Bähnele, durch die wie verfault wirkende Landschaft Thüringens. Es regnete stark. Ein Anblick, der übrigens nicht etwa besser wurde, als wir nach einigen Stunden dafür endlich Kassel erreicht hatten. Ein vielleicht noch nicht einmal mehr alkoholisierter Zugführer hatte die vielen Passagiere wiederholt an Bord seines von ihm so genannten »Töff-Töff« willkommen geheißen. Wir gaben uns ungerührt und lasen uns gegenseitig aus dem obenauf liegenden Buche unseres Gabenstapels, einem Reiseführer durch die bulgarischen Rhodopen, vor.

Starkes Bedürfnis nach Salaten, nach Grünem allgemein. Möglichst kühl serviert. Die weihnachtlichen Gefühle waren indes noch längst nicht gänzlich abgebaut. Interessant vor allem die Gebräuche der Bulgaren, bei denen wohl der Heiligabend auch ein Fastenbrechen bedeutet, für dessen Feier man einen von den Wurzeln (durch Abschlagen mit einer Axt) befreiten Baumstumpf die Nacht hindurch verkohlen lässt, währenddessen die Familie auf die Ankunft des Christkindes wartet, das freilich nicht erscheinen wird. Als Gabe wird dort ein bescheiden zu haltenes Bündel an Tannenzweigen überreicht, aus dessen Mitte eine rote (es muss wohl aus symbolischen Gründen unbedingt eine rote sein) Kerze herausragen sollte.

Wohlan! Kaum daheim angelangt, befüllten wir eine mit dem Weihnachtshunde (Snoopy) bedruckte Tüte aus transparentem Plastik mit den überzähligen Cognacbohnen und Kölner Spekulatiusplatten, verstopften die obere Öffnung der Gucke mit Eibenlaub und einer roten Kerze aus unserer Weihnachtsdrehpyramide, die wir anlässlich unseres Besuchens des Esslinger Weihnachtsmarktes eben dort in einer Fachhütte erstanden hatten. Die Google-Translate-Funktion ermöglichte die kyrillische Beschriftung der Grußkarte dergestalt, dass diese für die Mume lesbar ward. Im Bulgarischen wird die Mume баба genannt.

Umgehend wurde mir aufgetan, als ich den ein Stockwerk tiefer angebrachten Klingelknopf an der frisch gestrichenen Wohnungstüre der mumischen Behausung drückte. Vor mir stand eine ihrer zahlreichen Töchter. Ich hatte den auswendig gelernten bulgarischen Segensspruch noch kaum aufgesagt, da ward mir unser Präsent bereits entgegengenommen worden. Von der Mume allerdings war nichts zu sehen. Ihre Stimme aber, die ja stets so tönt, als ob ein Erwachsener bei fest aufeinandergebissenen Zähnen und mit der Fingerklemme dicht verschlossenen Nasenflügeln die Brandenburgischen Konzerte (oder Penny Lane von den Beatles) zu singen versucht, vernahm ich aus dem hintwärts gelegenen Abteil der Wohnung. Dort war auch, insofern war ich schon ein, wie es heißt: stückweit auf mumisches Terrain vorgedrungen, der Weihnachtsbaum aufgestellt. Ein gigantisches Exemplar. Geradezu monströs. Und über und über mit blitzenden Lichtern übersät. Mir wurde beinahe, als schaute ich ein Stroboskop.

Um unsere freundschaftlichen Beziehungen zur Mume für die anstehenden Expedition in ihre Heimat, die für den kommenden Juni angesetzt ist, zu intensivieren, müsste von heute an jeden Abend eine solche Gucke mit Präsenten überreicht werden. Das ward uns glockenklar gemacht.