7.1.

Bei Schneekugeln rieselt es aus einer glasklaren Kuppel, in der Wirklichkeit bleibt es dort oben ja die ganze Zeit über bedeckt. Nachts wird das Firmament vom Licht der Straßenlaternen in einem Grauorange angeleuchtet, die Sterne kann ich jedenfalls nicht erkennen. Auf ismercuryinretrograde.com wird der fatale Tag mit dem 25. Januar angegeben. Im gegenwärtigen Jahr des Hasens soll dann vor allem viel Technik kaputtgehen. Insbesondere Staubsauger sind angeblich besonders gefährdet. Warum gerade die? Ich weiß es nicht.

Gestern allerdings dann schon ein Vorbote: Petra schickt eine E-Mail, beziehungsweise leitet sie eine an die Agentur gerichtete weiter und schreibt darüber bloß »M E G A B E S C H E U E R T #Mercury???«. Ich lese mir durch, was darunter steht, erst von links nach rechts und Wort für Wort, und danach nehme ich den Schriftsatz in seiner Gänze noch einmal in mich auf wie ein Bild, wie eines dieser Telegramme in alten Filmen, die viel zu lange in die Kamera gerückt wurden, damit der Zuschauer sie an der Stelle des Protagonisten in sogenannter Echtzeit entziffern konnte. Till Tolkemitt also, seit kurzem erst Verleger bei Rogner & Bernhard, schreibt, er habe kurz vor Weihnachten mit dem Verlag Insolvenz anmelden müssen. In der Betreffzeile steht »Badd News«. Mit zwei D. Der Insolvenzverwalter heißt angeblich Professor Rattunde. Abschließend zitiert er, Tolkemitt, einen gewissen Gereon Klug. Den kenne ich gar nicht, empfinde auch keine Lust, ihn zu googeln. Was ich empfinde, ist eine allumfassende Erschöpfung Punktpunktpunkt

BEIM TINTENFISCH!

Ziemlich genau ein Jahr lang – also 2015 – habe ich geforscht und geschrieben an einem Manuskript, das in diesem Juni in diesem Verlag hätte erscheinen sollen. Auf dem Schreibtisch meines Computers liegt ein Ordner mit dem Arbeitstitel dieses Buches Wie Wir Werden Was Wir Sind. Darin liegt das Pages-Dokument des Manuskripts und darunter werden 84 PDF-Dateien zu Begriffen und Personen aufgelistet, von denen ich 2014 noch nichts wusste. Drüben am Fenster steht ein Stuhl, darauf liegen sieben Bücher sogenannter Fachliteratur, die ich ansonsten wahrscheinlich nie gelesen hätte. Von Ende März bis in den Juni habe ich in Cagnes-sur-Mer gelebt, um mit der Niederschrift anzufangen. Dazu hätte ich mich ansonsten, also ohne dies Manuskript und vor allem ohne diesen Vertrag mit Rogner & Bernhard, wohl auch nicht entschließen können (dort hinzufahren und dort zu leben, einfach bloß so). Den ganzen Sommer über saß ich tagsüber vor dem Souterrain und manchmal auch vor dem Souterrain IV, um auf diese eine Idee zu kommen, ohne die ich nicht mehr weiterschreiben konnte. Die Idee kam dann aber letztendlich doch nicht. Aber im August hat mich zum ersten Mal die Muse erhört, und das änderte zwar nicht alles, aber fast. Auf jeden Fall viel. Ich verwarf die erste Version und schrieb gewissermaßen auf ihrer Rückseite eine komplett neue, die mir schon viel besser gefiel. Sehr viel besser. Und dieses Hochgefühl hielt sich auch noch ein paar ganze Tage, bis Punktpunktpunkt

Ja. Bis ich den Fehler machte, einer Einladung von Adriano und Ingo Folge zu leisten. Die hatten eine erweiterte Neuausgabe ihres Breiten Wissens erstellt, das ebenfalls von Rogner & Bernhard verlegt wurde. Dafür hatte ich ein paar Einträge verfasst, über Autonomous Sensory Meridian Response, über Aquaponik und Poutine et cetera, die Buchvorstellung fand statt in Roger Bundschuhs Schöneberger Megawohnung, es war bereits dunkel, man nahm Codein, es gab Brezeln und eigentlich war alles genau so, wie es sein sollte, da trat Till Tolkemitt in seiner Funktion als Verleger vor die lauschende Menge und hielt eine Ansprache, für die ich mich heute noch Punktpunktpunkt

Den ganzen Sommer über hatte ich in dem Briefwechsel von Siegfried Unseld und Peter Handke gelesen. Das war in diesen Wochen bevor Die Stunde zwischen Frau und Gitarre herauskam, dieses Hammerbuch, das mich dann für die nachfolgende Zeit okkupieren sollte wie Fieber. Jedenfalls war ich durch die Lektüre des Briefwechsels an diesem Schöneberger Abend noch auf ein nostalgisches Bild des Verlegers gestimmt gewesen. Dann kam die Rede. Ich erinnere mich noch deutlich an Ingos Stirn auf der Tischplatte. Dann las Frédéric Schwilden seinen Eintrag zum Kokain. Ich teilte mir ein Taxi mit Eva, ging nach Hause, setzte mir eine B12-Injektion und spielte drei Tage und Nächte lang Orlando schläft.

In einem Punkt bin ich mit Karl Lagerfeld einer Meinung: Das wichtigste Möbelstück ist der Papierkorb. Ich liebe dieses metallisch federnde Geräusch, wenn ich eine Datei in den Papierkorb verschiebe. Und ich kann es nicht ertragen, wenn das Programmsymbol des Papierkorbs anzeigt, dass sich noch ungelöschte Dateien in seiner Ablage befinden. Auf meinem Computer läuft ein veraltetes Betriebssystem, da wird der Papierkorb noch pseudorealistisch als ein tatsächlicher Korb aus geflochtenem Draht dargestellt.

Möchten Sie die Objekte im Papierkorb wirklich endgültig löschen?

Diese Aktion kann nicht widerrufen werden.

(Abbrechen) (Papierkorb entleeren)

Papierkorb entleeren

Dieses Knistern!!!