3.11.

Zu den alten, dafür zähen Gepflogenheiten der Berliner gehört auch, dass man Gäste in anderer Leute Wohnung einlädt, um dort für sie zu kochen. Ein seltsamer Brauch, von dem ich nicht wüsste, dass er noch in anderen Gesellschaften existiert oder überhaupt bekannt ist. In Stuttgart, nur zum Beispiel, wäre das undenkbar und würde deshalb auch als unmöglich beurteilt (mit einem ô, ohne n und danach zwei, bis drei é). Ebenso unmöglich fänden echte Schwaben es auch, wenn dann der einladende Fremdkoch, eine Köchin in meinem Fall, extrem kurzfristig, also etwa eine Stunde vor dem Eintreffen der Gäste, absagen täte. Zumal ich da gerade mit tütenweise eigens auf die mir telefonisch übermittelte Speisenfolge des anstehenden Abends eingekauften Flaschen des angeblich benötigten kanadischen Weißweines zu Hause angelangt war. Und dies im Wortsinne, denn der solche Weine nur auf schriftliche Vorbestellung hin führende Getränkemarkt war nicht eben nebenan gelegen.

Dann kam Joachim Lottmann.

Ein perfekter Text hätte damit aufgehört, also nach Lottmann. Aber es ging ja noch weiter, weil ich ja auf die von fremder Hand gekochten Speisen mich verlassen hatte und nun, nach der kurzfristigen Absage mit den Früchten des Gartens (Blässhühner et al.) nach dem Kochbuch Alice Schmidts eine mir selbst vollkommen neuartige und von daher fremd vorkommende Suppe anrühren musste. Denn es ging ja nicht allein um Lottmann (.), der allein wäre ja mit Brot und Käse zufrieden zu stellen gewesen. Nach seinem Eintreffen aber klingelte es noch zweimal und das zum Signal für insgesamt noch drei weitere Gäste: Anne, Philomene und Jan.

Zum Glück bin ich nicht mit Klempnern befreundet, denn um diese Suppe genießen zu können, brauchte es ein gewisses Gefühl der Verwurzeltheit in bohemistischer Tradition. Lottmann, nicht ganz wie (auch wieder telefonisch) angekündigt, hatte einen Piccolo, sowie etwas Eierlikör mitgebracht. Wobei ich ja sagen muss, dass meine Stärke recht geschlechtsunüblich bei den Nachspeisen nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden ist (ein wesentlicher Faktor meines tragischen Scheiterns als Resortleiter war nicht allein darin zu suchen und finden, dass ich den Grundgedanken unkonventionell aufgefasst zu haben schien (also mit einem s), sondern überdies meine Redakteurinnen unverholen zur blümerantesten Zeilenschinderei via Adjektivhäufung, Bandwurmsätzen und Ableitungen aller Art angespornt hatte). Der Kuchen blieb dann freilich beinahe unberührt.

Nicht so der Wein. Vom Aufwachgefühl her also ein gelungener Abend. Seltsam, dieser über die ganze Welt verteilte Brauch, sich gemeinsam zu vergiften. Was denn wohl wäre, wenn nun einer mal tatsächlich dabei draufginge, also stürbe, einfach mittendrin, am Tisch?