Brief des Rentiers Buffey an Flitter über Goethes „Torquato Tasso“

Feuilleton
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 80-83.

„Verehrter Freund Wohlgeboren!

Sie entschuldjen, Herr Flitter, deß ich an Ihnen schreibe, des heeßt, einen Brief, nennt man des? Sie fragen natürlich wieso?, weil wir in eine Stadt wohnen, in Berlin, aber ich sehe Ihnen villeicht in de erste Zeit nich, un mir is es mit Tarkwato Tasson in meinen Kopp noch nich janz richtig, un da Hulda mit ihre verheirate Freundin nach Hamburg jereist is, so wende ich mir an Ihnen, ob mein Urteil richtig is, un wieso deß die Leute so sehr nach des Stück sind, wat mir bis uf die Seidenraupenjeschichte jarnich ansteht, nich juttiert, nennt man des!

Jöthe hat mir nämlich nie jefallen können, weil er allens so vonne kalte Seite anfaßt, so mit Jlaceehandschen, nich aus’t Herz raus. Er besitzt Vernunft, des is wahr, aber er is mir zu vornehm und zu stille,er hat keenen Schwunk, Fantarsie heeßt des. Un denn fehltet ihm ooch an Riehrung un an Wahrheit, denn wenn er mal Mensch sind will, denn hängt er sich jedesmal noch drei Mäntel um, damit er sich nich erkältet. Ich habe nämlich darüber jelesen und habe mir immer jedacht: ein Dichter muß en janz anderer Mensch sind, als so wie jeder andre Mensch is, denn sonst is er keen Dichter, natürlich, sondern macht am Ende bloß des in so’ne duse, jlatte Verse, was jeder Hans Narre bei dieses oder jenes fühlt.

Dichter, hab‘ ich mir immer jedacht, des is so: Man hat en jroßes Herz und en jroßen  Jeist, so deß man sich über die Natur fortschwingen und wieder Jott vor sich alleene sind kann. Wie? Oder wie soll ick mir ausdrücken? Man hat die janze Welt in de Tasche und fliegt damit nach de Sonne ruf. Nanu, wat jeschieht mir? Nuh jeh‘ ick den Mittwoch nach Tarkwato Tasson, dem ich noch nich persönlich jekannt habe, uf’n zweeten Rang mit Willemmen, un wollte mir so recht delektieren. Denn Sie wissen, Herr Flitter, ich schmeichle mir mit meine Meinung, mit Urteil, nennt man des, über Kunst. So seh‘ ich des Stück! Tarkwato kommt vor un dut nischt; die andern kommen ooch vor, un duen ooch nischt, un wie Jott den Schaden besieht: is des Stück mit eenmal aus! - -

Ne, hören Se mal, Herr Flitter, des nehmen Sie mir nich übel; ich habe schon viele Stücker jesehen, aber sowas is mir noch nich vorjekommen: vor zwölf jute Jroschen Kurant so ‚ne elende Hofjeschichte, wo weiter nischt vorjeht, als was in den Bürjerstand alle Tage vorkommt un in fünf Minuten wieder verjessen is. Ick sage Ihnen, ick denke, der Willem verschlingt des janze Stück, so hat der Junge des Maul vor Jähnen ufgerissen. Natürlich, ich habe ihm eine jestochen, denn des is keene Bildung, bei Jöthen zu hojappen; aber des heeßt, ich hätte mir eijentlich ooch eine stechen müssen, denn ich habe noch mehr jehojappt als Willem, un ick bin doch en vernünftijer Mensch, Bürjer un Rentier. Nu erklären Sie mir des, wo da die Poesie sitzt?

Un denn, des nehmen Sie mir ooch nich übel: Is denn des en Dichter, der zu einen anderen sagt: „Den Herrn, der mir ernährt, den dien‘ ick“, wie der Tatkwato von Jöthen? Wenn ein Hund so denkt, denn laß ich mir des jefallen, davor is er Hund un läßt sich mit Füßen treten; aber wenn ein Dichter so denkt, denn is er keener! Ein Dichter muß bloß vor Jott und vor der Kunst Respekt haben, der Purpur un de Krone muß ihm akkurat soviel jelten wie ein Bettlerjewand un ‚ne Schlafmütze. Un denn nu jar der Schluß, wo das Trajische drin liejen soll! Als ob des so’n jroßes Verbrechen wäre, daß der berühmteste Dichter so’ne Dischtriktprinzessín von Italien een eenzijes Mal umarmt, un noch dazu, wenn man überzeugt is, deß ihr des unjeheuer wohldut! Ne, of solche Frauenzimmerwitze eine janze Trajedie bauen un darin en Unjlück sehen, daß so’ne dämlige Prinzessin, die immer so weenerlich jämmerlich dünne un vornehm spricht un mir lange nich so lieb is, wie meine frische, lebendije und jeistvolle Hulda, deß die von einen Dichter, den se nich Wert is, die Schuhriemen aufzulösen, umarmt wird, uf so’ne Dummheiten laaße ich mir nich in. Scheckspier hätte das nich jedan, dazu war er zu jesund. Wenn ick Jöthe jewesen wäre, ick würde mir schämen, so kleenlich un erbärmlich zu denken, un so‘n pimpliches Zeug zu schreiben, nennt man des!

Nu, bitte, Herr Flitter, sagen Sie mir Ihr Urteil darüber, damit ich sehe, wie das mit meins übereinstimmt, schriftliche, pro Stadtpost, nicht frankiert. Ich bezahle den Jroschen, ich kann des!“