Das neue Schwarz
Warum versuchen die Ungläubigen auszusehen wie wir?“ Das fragte sich der Tunesier Bader Lanouar vor über einem Jahr in seinem Magazin „SLF“, dem „Magazin für moderne Salafisten“. Der Artikel zeigte Bilder von George Clooney und anderen Stars mit Vollbart und Fotos der Modewochen in Paris: Männer in Pluderhosen, die auf den Knöcheln enden, mit überlangen T-Shirts, die fast so voluminös fallen wie eine Tunika, dazu Sandalen oder weiße Turnschuhe.
„Die Ungläubigen wollen immer noch aussehen wie wir“, schrieb der Salafist Lanouar im Juni dieses Jahres erneut und schloss: „Unterbewusstsein oder Zufall? Jeder hat da seine eigene Theorie. Da läuft es einem eiskalt den Rücken runter.“
Zur selben Zeit tauchen die ersten Bilder der IS-Milizen aus Syrien und dem Irak auf. Von Männern in Schwarz: lange Bärte, Kampfanzüge, die auf den Knöcheln enden, oder Pullover und Pluderhosen, Sturmhauben und Sneaker - sie marschieren durch syrische Ruinen und irakische Dörfer, Waffe in der rechten Hand, Munitionsgürtel über der Schulter. Sie sind nicht zu stoppen. Hissen ihre schwarze Fahne Dorf für Dorf. Köpfen, morden, vertreiben. Schockieren die Weltgemeinschaft. Weil sie keine Gnade kennen und weil ihre Gnadenlosigkeit hochprofessionell ist, mit Millionen auf dem Konto aus dem Ölgeschäft und dem Handel mit geraubten Kunstwerken, mit Pressesprechern und Social-Media-Strategie. Einige der Kämpfer kommen aus Berlin und Dinslaken, Aberdeen und Paris.
Wie der deutsche Denis Cuspert, der früher unter dem Namen Deso Dogg rappte, sich nun Abu Talha al-Almani nennt und in Enthauptungsvideos auftritt und über den wir hier im Feuilleton im Oktober 2013 zum ersten Mal geschrieben haben. Wie der Islamist Erhan A. aus Kempten, der in einem Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt hat, „wenn man für eine gute Sache tötet, ist das legitim“, daraufhin aus Deutschland ausgewiesen wurde und nun in der Türkei festsitzt. Auf den Bildern zum Interview trug Erhan A. Vollbart, Mütze und Kapuzenpulli mit weißem arabischem Schriftzug. Was da stand, ist die schahada, das islamische Glaubensbekenntnis. Übersetzt: Es gibt keinen Gott außer Allah. Und Mohammed ist sein Prophet. Das steht auch auf der IS-Flagge.
Schwarze Kapuzenpullis mit weißem Druck tragen aber nicht nur Islamisten, sondern auch Gymnasiasten in Berlin-Zehlendorf. Nur steht auf ihren Pullis nicht die schahada, sondern irgendein Logo. In Paris und New York haben Modemenschen aus dem neuen Schwarz die Uniform für eine ganze Szene entwickelt: Nach der großen Krise im Jahr 2008 hat der Designer Rick Owens seinen Anhängern Schwarz, Leder, weit geschnittene Hosen und Sneaker verordnet. Dabei ist es geblieben. Man nennt den Stil Street Goth. Auch Rapper wie A$AP Rocky tragen ihn.
Das neue Schwarz ist gleichzeitig im Mainstream des Dschihad und den Einkaufszentren der Welt angekommen. Die Ähnlichkeit stiften ein paar wenige Teile: Bart und Pluderhose kommen aus dem Orient, Hoodie und Turnschuhe aus dem Okzident. Schwarz ist international. Alles vermischt sich. Der Tunesier Ladouer vom Salafisten-Magazin ärgert sich über Ungläubige mit Bärten. Ich wundere mich über IS-Kämpfer in Nike-Turnschuhen. Seit Gangster-Rapper und Maschinenbaustudenten aus Deutschland zu Terroristen werden und syrische IS-Milizen auf Twitter den Tod des amerikanischen Schauspielers Robin Williams bedauern, lässt sich die Frage, wer hier von wem beeinflusst ist, nicht mehr beantworten. Moden sind global. Die Terroristen des IS sind digital natives. Wann das Ineinandergreifen begonnen hat? Von Ost nach West vielleicht, als ein Designer wie Yves Saint Laurent in den Sechzigern anfing, sich in Marokko inspirieren zu lassen. Als eine Magazinmacherin wie Diana Vreeland der amerikanischen „Vogue“ eine Lektion in Weltgewandtheit erteilte: „The eye has to travel“ - Mode habe die Macht, die Menschen in Welten zu entführen, die ihnen sonst für immer verschlossen blieben. Viele Jahre ging das so. Bis zum 11. September 2001.
Plötzlich waren Turbane verdächtig, Pluderhosen ein Grund zur Sorge und lange Bärte ein politisches Statement. Designer, die sich dieser Formensprache bedienten, wurden von der Presse regelrecht davongejagt. Raf Simons (seit 2012 Kreativdirektor von Dior und zuvor sieben Jahre Chefdesigner bei Jil Sander) zitierte die orientalischen Bekleidungstraditionen trotzdem weiter: als kommerzielles Korrektiv gegen den diskriminierenden Generalverdacht. Er kombinierte sie mit den Codes des Hiphop, mit der Ästhetik des Bösen als Pose des Pop. Dafür musste er sein Auge gar nicht weit reisen lassen, sondern einfach in die Pariser Banlieues und die Randbezirke Antwerpens fahren, wo die Jugendlichen diesen Stil bereits pflegten: Sie mischten die Kleidung ihrer eingewanderten Eltern mit der ihrer rappenden Idole. Bomberjacken zu Pluderhosen. Kaftane zu Turnschuhen. Den Kopf versteckt in der Kapuze ihres Pullovers.
So wie auch Denis Cuspert ihn oft in den Propagandavideos des IS trägt. Der Hoodie verbindet: Rap mit Terror, Pop und Politik, Schüler aus Vechta mit Stars wie A$AP Rocky, die Wuppertaler Scharia-Polizei mit einem Designer wie Raf Simons. Der Kapuzenpullover ist in den vergangenen Jahren zum Kleidungsstück einer ganzen Generation junger Menschen geworden, die auf der ganzen Welt verteilt und trotzdem ähnlich sozialisiert sind: mit Musikfernsehen und Blockbuster-Kino, dem Druck amerikanischer Schönheitsideale und dem nachmittäglichen Abhängen in der Eisdiele des örtlichen Einkaufszentrums. Extrem rechts, extrem links, Schuldige und Schuldlose, Islamisten, Stars, Jugendliche und Modedesigner - sie alle schätzen die Kraft der Kapuze. Weil sie Schutz und Geborgenheit bietet, abschottet und Distanz einfordert, weil sie Zugehörigkeit vermittelt, und zwar bei gleichzeitigem Verschwinden. Der Kapuzenpulli ist die ultimative Höhle. Da muss die Welt draußen bleiben. Zutritt verboten.
Und das am liebsten in Schwarz. Denn in keiner anderen Farbe kann man sich besser Respekt verschaffen. Schwarz ist die Farbe der Punks und Goths genauso wie die der gedresscodeten Abendgesellschaft, die des kleinen Schwarzen, der Verführung, die der Geworfenheit in die Welt und des Todes. Doch in einer Zeit, in der alles immer schriller, bunter, lauter, pinker wird, ist Schwarz auch eine Provokation.
Die Terroristen des IS haben sich angeblich für Schwarz entschieden, weil die Heere der Kalifen-Dynastie der Abbasiden im achten Jahrhundert ein ganzes Weltreich in Schwarz erobert hatten. Das neue Schwarz knüpft an eine fast 1300 Jahre alte Tradition an. In den sozialen Netzwerken ist es längst zur Marke geworden. Al Qaida vermarktete sich noch mit Videos aus einer Höhle, in der Usama Bin Ladin mit Turban und goldenem Kaftan seine Ansprachen hielt. Die Clips des „Islamischen Staats“ sehen eher aus wie das letzte Musikvideo der Sängerin M.I.A., ihr Merchandise verkaufen IS-Sympathisanten per Onlineshop in die ganze Welt. Die Bilder der Kämpfer rauschen seit Wochen durch die Timelines. Von Deutschland bis Indonesien posieren Jugendliche auf Twitter und Instagram mit der schwarzen Fahne des IS.
Die Terrormiliz bastelt an ihrer Corporate Identity, an ihrem Image. Dafür braucht sie Bilder. Denn jede Institution, ob Bündnis, Staat oder Terrororganisation, wird erst durch ihre Logos, Flaggen und Uniformen sichtbar. Kein Mensch wird je die „Europäische Union“ gesehen haben, sondern ausschließlich ihre visuellen Repräsentanten. Sie entscheiden, ob und wie man wahrgenommen wird. Schlagen einen Ton an, so wie das geschwungene „España“ von Joan Miró, das der Künstler 1982 zur Fußball-WM entwarf und das seitdem dem spanischen Fremdenverkehrsamt als Visitenkarte dient: lebensfroh, leichtfüßig, bunt.
Die Bildsprache des „Islamischen Staats“ verspricht Unheil und den Blick in den Abgrund des menschlichen Miteinanders. Der Farbcode #000000 steht nun für eine Finsternis, die im Jahr 2014 kaum jemand für möglich gehalten hätte. Ebenso die arabischen Schriftzeichen. Die Verbindung der weißen geschwungenen Buchstaben auf schwarzem Grund mit den Taten des „Islamischen Staats“, mit den Tausenden abgeschnittenen Köpfen, die nun zur Abschreckung der eigenen Leute auf die Zaunpfähle im Irak und in Syrien gesteckt werden, hat die Schrift verdächtig gemacht. Das ist eine Tragödie. Weil das islamische Glaubensbekenntnis für Millionen Muslime Frieden bedeutet. Und weil auf den T-Shirts der Münchner Designerin Ayzit Bostan auf Arabisch „Imagine Peace“ steht.