„Der Geist ist ein Hacker. Er zerstört das System“

von 
Interview
zuerst erschienen im Januar 2017 in Metamorphosen Nr. 16.
Joshua Groß im Gespräch mit Tom McCarthy

We should never forget, as Walter Benjamin put it almost a century ago, that every revolution, if it is an authentic revolution, is not only directed towards the future, but it redeems also the failed past revolutions. All the ghosts, as if they were the living dead of the past revolutions, which are roaming around unsatisfied, will finally find their home in the new freedom. Slavoj Žižek

Eigentlich sollte U., der Protagonist von Tom McCarthys neuem Roman Satin Island, Ulrich heißen; als Reminiszenz an den Mann ohne Eigenschaften. Da Satin Island aber „nur“ 224 Seiten hat, einen Bruchteil von Musils Monumentalwerk, beließ es McCarthy beim Anfangsbuchstaben. Das kommt vermutlich einer Reminiszenz voller britischem Understatement gleich. Denn tatsächlich ist Satin Island ein bemerkenswerter, aus dem Urschlamm der Gegenwart gezogener Roman. McCarthy will, dass Literatur pulp fiction ist; klarsichtig wühlt er im psychopathischen Grauen, das glasfaserartig um die Bürokratie, den Überwachungsstaat, die geisterhaften Strukturen und Netzwerke fließt. Andererseits ist U., der die Geschichte erzählt, vollkommen humorlos und clean. Der Roman wirkt im Nachklang, als wäre er von der Benutzeroberfläche eines Antihelden erzählt, anstatt vom Antihelden selbst (Benutzeroberflächen sind womöglich vergleichbar mit Ritalin früher). Satin Island hinterlässt den Eindruck, dass es erstmals gelungen ist, literarisch ein Gefühl einzufangen, das man vielleicht als data psychic bezeichnen könnte. U. ist Anthropologe. Er arbeitet für die Firma. Das ist so zweifelhaft und undurchsichtig wie es klingt: „Was genau machen eigentlich Anthropologen, die bei Unternehmen angestellt sind? Wir liefern kulturelle Erkenntnisse. […] Ethnografen machen Feldstudien, stellen Fotomontagen aus einzelnen Szenen auf einer Straße oder in einem Café her; oder sie holen sich Durchschnittsbürger heran – Teenager, Angestellte, Mamis – und lassen sie in Videotagebüchern der Kamera ihre Sehnsüchte, Gefühle, Hoffnungen und so weiter anvertrauen, von denen sie heimgesucht werden …“
Weil mein Beitrag keine von diesen dämlichen Homestories werden sollte, die man derzeit überall liest, sondern eine echte Heimsuchungsgeschichte, und weil ich McCarthy in München traf, brachte ich den berühmtesten bayerischen Geist, den Pumuckl, mit in die Kantine der Kammerspiele, wo einen Abend später eine Adaption von McCarthys erstem Roman 8 1/2 Millionen uraufgeführt werden sollte. Der Pumuckl hüpfte während des ganzen Gesprächs umtriebig auf meinem Kopf herum, manchmal flüsterte er mir auch Fragen zu, aber sein Englisch ist noch schlechter als meins. Ich selbst war zwischen den Sprachen nie vollkommen präsent. Alles wird aufgezeichnet und archiviert. Alles ist permanent abrufbar. Vielleicht geht also der Verlust verloren. Vielleicht überdauern deshalb die Pathologien, weil auch die Muster nicht mehr verschwinden. Vielleicht mutieren die Muster und werden zu Geistern, die uns mit der Vergangenheit verknüpfen. Nur ging der Verlust meiner Denkkapazitäten wirklich vonstatten, in München, als ich merkte, wie limitiert ich bin, wenn ich auf Englisch über poststrukturalistische Aprioris nachdenken muss. Aber um hier den Spuk zu beenden, folgt eine seriöse Übersetzung unseres Gesprächs, das am 3. November 2016 geführt wurde. Es gibt nämlich keine Ausnahmen, mal abgesehen von den Geistern.

Was hältst du vom Konzept Geister?

Ich liebe es. Aber Geister haben für mich nichts mit Metaphysik zu tun oder mit Spirit oder so. Sondern a) mit Psychoanalyse; b) mit Technologie; und c) mit Politik. Der Geist in Hamlet repräsentiert das politische Unterbewusstsein, also das Unausgesprochene des dänischen Hofs. Er verkörpert gewissermaßen, was im politischen Narrativ zensiert wurde. Er kommt zurück und stört die politische Ordnung. Ich würde sogar sagen: Der Geist ist ein Hacker. Er zerstört das System. Und auch in meinem Roman K geht es um Spuk, um Hauntologie nach Derrida. Der Spuk tritt über das Radio und andere Telekommunikationssysteme in die Welt. K handelt auch von Trauer, Melancholie; von Geschichten technologisch unterstützter Zerstörung. Nach dem Tod der Schwester wird der Protagonist Funker. Während des 1. Weltkrieges fliegt er über die Schlachtfelder und nutzt das Radio, um zu töten und zu kommunizieren. Das Radio bekommt damit eine Dimension von Haunting, es entsteht ein überdauernder Raum, in dem die Toten sprechen können. Das hat eine lange Tradition in der literarischen Moderne, wenn man z.B. an Wasteland von T.S. Eliot denkt, oder an Finnegans Wake von James Joyce. In diesen Büchern geht es viel um Stimmen, die sich durchs Radio bewegen. Die Toten sprechen, aber eben nicht im metaphysischen Sinn.

Ein wiederkehrendes Moment in deinen Texten sind Loops (in den Manifesten deiner International Necronautical Society, in 8 1/2 Millionen und auch in Satin Island). Führt Wiederholung zum Gefühl, verfolgt zu sein?

Ja, absolut. Wiederholung bedeutet: Die Vergangenheit stört die Gegenwart, die Gegenwart stolpert über die Vergangenheit. In der Psychoanalyse nennt man das Symptom. Irgendwas behindert uns, stört uns. Ich befürworte nicht-lineare Konzepte von Geschichte. Ich bin gegen diese geradlinigen Konzepte von Zeit, die besagen, dass alles immer besser wird, oder dass sich alles der Erleuchtung zuwendet. Das ganze Blabla. Ich bin dafür, Zeit als zirkulierend zu verstehen, nach Marx, Freud, Nietzsche oder auch Giambattista Vico … Das ist die Idee des ricorso: Geschichte ist wie eine Spirale. Es geht aber nicht zwingend um Wiederholung, sondern eher um Reenactment oder Rezitation oder Recycling. Joyce nennt es commodius vicus of recirculation, gleich im ersten Absatz von Finnegans Wake. Die Gegenwart existiert in diesem Sinn als endlose, forensische Ausgrabung der Vergangenheit. Als wäre sie besessen von der Vergangenheit. Das ist nicht unbedingt eine vollkommende Besessenheit. Das alles macht uns nur vollkommen unauthentisch. Die Reenactment-Szene in Hamlet ist sehr, sehr wichtig. Hamlet führt den Tod seines Vaters auf, vor dem neuen König, der ihn umgebracht hat. Das ist ein großartiger Moment. Es ist kein Zufall, dass das Stück im Stück hier endet. Hamlet schafft es, den Kodex der Repräsentation auf radikale Weise komplett zu zerstören. Für mich ist das ein bedeutender Moment in der westlichen Kulturgeschichte. Es ist ein ehrlicher Moment. In diesem Moment ist Hamlet ein großer Künstler. Er macht, was Künstler machen sollten. Und das alles nur wegen dem Geist seines toten Vaters. Der Geist bringt ihn dazu …

Du sagst, in der Literatur geht es darum, die Symptome zu veranschaulichen, dass Literatur von Pathologie handelt. Denkst du, dass wir der Wiederholung entkommen können? Wenn wir verstehen, was wir da wiederholen? Können wir irgendwas „lösen“?

Hier unterscheidet sich Literatur vielleicht von durchdachter Politik. Normalerweise würde ich sagen, dass Wiederholungen gut sind, oder dass politisches Leben pathologisches Reenactment sein sollte. Aber im letzten Jahr hatten wir den Brexit und den Aufstieg von Donald Trump. Das sind eindeutige Wiederholungen faschistischer Geschichte der 1930er-Jahre. Das ist nicht gut. Wirklich nicht. Ich weiß nicht. Ich habe gerade keine Antwort auf deine Frage … Ich denke, es könnte vielleicht einen Weg geben, sich das politische Leben als eine Art freudige Pathologie vorzustellen, und auch Demokratie als freudige Pathologie. Hier liegt vielleicht der Unterschied von Wiederholung und Reenactment: Wir reenacten die 1930er ja nicht, wir wiederholen sie, auf naivste Weise. In einem Vicoschen oder Joyceschen Konzept würde man analysieren und transformieren, während man die Vergangenheit ausgräbt. So würde man sich zwar auch wieder über dieses Terrain bewegen, es aber nicht nur naiv wiederholen. Deshalb ist der Unterschied von Wiederholung und Reenactment sehr wichtig.

Der Gedanke der Wiederholung und der Pathologie kommt von Freud, über den du viel sprichst. Aber in der Psychoanalyse geht es auch um die Lösung und um das Voranschreiten. Gehst du mit Freud mit, wenn es um die Auflösung geht? Oder bleibst du bei der Pathologie?

Ich bleibe bei der Pathologie. Bei K ging es mir vor allem um die Idee der Gruft. Es gibt ein Buch von Maria Torok und Nicolas Abraham: The Wolf’s Man Magic Word: A Cryptonomy. Es basiert auf Fallstudien von Freud. Die Gruft ist ein architektonischer Raum, ein übernatürlicher Raum. Nicht beendete Trauer führt dazu, dass eine Gruft errichtet wird, und diese Gruft existiert dann ein ganzes Leben. Derrida schrieb die Einleitung zu The Wolf’s Man Magic Word, in ihr beschreibt er die Gruft als Ort des Widerstands gegen die Realität. Außerdem ist die Gruft auch ein Ort der linguistischen Verschlüsselung. Die Gruft existiert als andauernder Widerstand gegen die Analyse. Als Künstler bin ich auf der Seite der Gruft. Nicht auf der Seite des Lesers der Gruft. Aber die Gruft braucht natürlich einen Leser.

Hilft es denn, Bücher zu lesen?

Leser von Büchern sind interessant. Denn in der Kunst geht es um Verführung. Man denkt, Don Quijote ist ein schlechter Leser, weil er scheinbar nicht versteht, was er liest. Aber tatsächlich ist er ein guter Leser. Ich bin sehr interessiert an solchen Figuren. Wie Mark David Chapman beispielsweise. Er liest den Fänger im Roggen und tötet. Das ist schrecklich für John Lennon, aber als Konzept ist es sehr spannend. Das Konzept des wortgetreuen Lesers, der pathologisch wiederholt, was im Buch geschrieben steht. Darum geht es auch in der Religion.

Bolaño wurde einmal gefragt, wer der perfekte Leser ist. Und er sagte, es sei der Leser, der Goethes Werther liest und sich anschließend umbringt.

Exakt. Ich warte darauf, dass einer meiner Leser ein Flugzeug kidnappt und dann Achten fliegt, also mit einer Ausgabe von 8 1/2 Millionen in der Hand. Dann werde ich wissen, dass ich den perfekten Leser gefunden habe … Das können Metaphern schaffen, im Extremen. Einen Raum, der Handlungen möglich macht …

… und Wiederholungen …

Nein, Reenactment.

Hast du Cortázar gelesen? In Rayuela stößt man auf die Frage: „Wiederholen wir jeden Tag in jeder Geste das ungelöste Chaos?“ Was würdest du antworten? Ja?

Ja [lacht] …

Wenn es nur um Wiederholung geht; oder darum, im Loop zu sein – wir selbst sind ja auch Teil des Loops –, ist Rebellion dann überhaupt möglich?

In Satin Island wollte ich die Möglichkeiten der Rebellion ausloten, innerhalb unserer politischen und technologischen Gegenwart. Es gibt diesen Rückblick, in dem Madison die Proteste beschreibt, die 2001 in Genua stattfanden, kurz vor 9/11. Es war vielleicht der letzte „altmodische“ Protest. Und er wurde brutal zerschlagen. Ich denke, das ist wie ein Abschied von einem alten, überholten Modell von Politik. Nimm den Todesstern in Star Wars: Wenn du die Bombe in den winzigen Ventilatorschacht wirfst, trifft sie das Zentrum und alles geht in die Luft. Aber in der Hypermoderne gibt es diesen wunden Punkt nicht. Da ist nur ein Netzwerk. Kafka hat das verstanden. Macht ist nicht an einen Ort gebunden. Du gehst in einen Raum, um den Richter zu sehen, aber es ist kein Raum, sondern ein Anti-Raum, nur ein Korridor, der zu einem anderen Raum führt, der zu einem anderen Gebäude führt, zu einem Telefon, zu einem anderen Gebäude … Macht ist ein Netzwerk. Es gibt kein Zentrum. Und das muss man kartografieren, darstellen. Das ist anders als ein heroischer Kampf mit dem Drachen oder so. Am Ende von Satin Island entwickelt der Protagonist U. die Sehnsucht, alles in die Luft gehen zu lassen. Vergleichbar mit Burroughs Fantasien, das System zu sprengen. Aber U. macht es nicht. Er ahnt, dass er das System nicht zum Einsturz bringen kann. Also geht er zurück in die Maschine, zurück in die Stadt. Hier kann man wieder an Kafka denken. Mein Protagonist ist ein Bug, im doppelten Sinne: einerseits ein Insekt, aber auch ein Glitch in einem Softwaresystem. Er hat das Potenzial, alles zu zerstören. Nur nicht sofort, nicht jetzt.

Denkst du denn, dass er es machen würde? U. träumt von der »Allesvernichtung«. Aber Madison, seine Geliebte, antwortet ihm nur spöttisch, dass die Explosion, nach der er sich sehnt, immer schon stattfinden würde: „Ihr habt es nur nicht gemerkt.“

Als U. zurück ins System geht, macht er das mit einem ungelösten, ruhelosen Unbehagen. Und dieses Unbehagen existiert weiter. Es bleibt bestehen. Das ist interessant. In 8 1/2 Millionen ist es anders: Da glaubt der Erzähler so sehr ans System, dass er zum perfekten Konsumenten wird. Es gibt doch diese Zehnerkarten im Coffeeshop. Der Erzähler kauft zehn Kaffees, nur um einen elften umsonst zu bekommen … Žižek hat mal gesagt, dass, wenn wir den ganzen Scheiß wirklich glauben würden, der Kapitalismus morgen kollabieren würde. – Mein Erzähler in 8 1/2 Millionen glaubt alles. Er erschießt Leute aus der Logik der Wiederholung heraus. Ein Zustand, wie wenn das Immunsystem so aktiv ist, dass es sich selbst schadet. Der perfekte Kapitalist ist fatal. Das wäre eine andere Art von Widerstand: der pathologische Gehorsam.

U. sagt einmal, dass momentan überall Narrative genutzt werden, aber nicht unbedingt in der Literatur. Sondern in der Unternehmenskommunikation, in der Öffentlichkeitsarbeit, um Marken zu etablieren etc. Um auf’s Narrativ von Satin Island zu kommen: Würdest du sagen, dass die Erzählweise klassisch ist?

Satin Island ist chronologisch erzählt: Irgendwas passiert, man kann problemlos folgen. Meine Vorbilder waren Die Dämonen von Dostojewski und eben Der Mann ohne Eigenschaften. In der Firma kommen Leute zusammen, um irgendwas in Gang zu bringen. Obwohl sie eigentlich nicht verstehen, worum es geht oder wie sie es überhaupt anstellen sollen. Ulrich ist wie mein Erzähler U. Er ist ein Analyst. Ich denke schon, dass Satin Island einem klassischen Motiv folgt, obwohl letztendlich nichts passiert. – Die Avantgarde hingegen ist für mich vor allem in kulturgeschichtlicher Perspektive interessant, also Dada und Surrealismus. Beide wurden komplett in das dominierende, kulturelle System integriert, die visuellen Collagen oder die Textcollagen zum Beispiel „sind“ heute die Sprache der Werbung. Salvador Dalís Technik der kritischen Paranoia „ist“ heute die Funktionsweise des Thinktanks. Es wirkt fast nostalgisch, wenn Romanciers versuchen, avantgardistisch zu sein; wenn sie nicht-lineare, fragmentarische Narrative nutzen. Das ist Kitsch. Es ist nur die Wiederholung, aber nicht das Reenactment eines kulturellen Momentums, das seit 100 Jahren vorbei ist. Was würde es noch bedeuten, jetzt wie Joyce in Finnegans Wake zu schreiben, 100 Jahre nach dem Erscheinen des Buchs? Cage hat 4’33 Minuten Stille gemacht, es hätte keinen Sinn, jetzt mit 5’33 Minuten Stille um die Ecke zu kommen. Klar, wir müssen über die gleichen Sachen nachdenken wie John Cage, nur dürfen wir nicht seinen Stil kopieren. In letzter Zeit wurden in Großbritannien einige konservative Romane veröffentlicht, die avantgardistisch anmuten, so als würde man Beckett lesen. Aber sie waren sentimental und banal. Und die Kritiker meinten, dass das die Zukunft des Romans sei, weil es radikal wäre. Das Problem ist: Diese Romane stören gar nichts. Sie sind instant bekömmlich, sofort zu kapieren. Sie wirken eben cool, das ist alles. Aber das ist ein Problem. In 8 1/2 Millionen und Satin Island habe ich sehr einfache, unkomplizierte Formen des Erzählens gewählt. Satin Island ist wie ein Report oder ein Benutzerhandbuch aufgebaut.

Es gibt also keine Interferenz, wenn Unternehmen die gleichen Narrative nutzen wie Schriftsteller …?

Doch, da gibt es viel Interferenz. Ich bin daran interessiert, gefundene Formate zu nutzen. Ich will die dominanten, kulturellen Formate unserer Zeit nutzen, um einen Roman zu schreiben. Wie das Benutzerhandbuch zum Beispiel. Wie den Bericht. Ich will nicht unbedingt eine radikal neue Form finden. Und noch weniger bin ich daran interessiert, Formen zu nutzen, die vor 100 Jahren neu und radikal waren. Wir brauchen Neues von heute. Eigentlich bin ich am radikal Unoriginellen interessiert. U. sagt, dass es kein originelles Event gibt. Es gibt Serialität, Wiederholung, Morphologien und Überlagerung. Das ist mein Montageplan, um ein Buch zu schreiben.

Einmal hast du gesagt, dass der Roman mit seinen eigenen Bedingungen kämpfen muss. Genau das macht U. Er kämpft damit, den großen Bericht zu schreiben. Und erzählt von diesem Kampf.

Ja. Das ist aber nichts Neues im 21. Jahrhundert. Das hatte man schon bei Miguel de Cervantes, Daniel Defoe oder Laurence Sterne. Oder auch in der deutschen Literatur. Es geht immer nur um Ironie und Selbsterkenntnis … wie in Thomas Manns Tonio Kröger.

Ich finde deine Romane überhaupt nicht ironisch. Das mag ich an ihnen. Die Charaktere sind opak und haben keine Distanz zum Geschehen …

Nein, nein. Mein Schreiben ist sehr ironisch. Ironie, wie sie Friedrich Schlegel [„Sinn (für eine besondere Kunst, Wissenschaft, einen Menschen, u.s.w.) ist dividierter Geist; Selbstbeschränkung, also ein Resultat von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung.“] oder Paul De Man verstanden haben. Es gibt immer eine Trennung zwischen Erfahrung und Bewusstsein. Und diese Trennung ist nicht überbrückbar. Ich glaube, Maurice Blanchot hat einmal gesagt, dass Literatur beginnt, wenn Sprache ein Problem wird. Und das ist der Punkt. Sprache ist in der Literatur immer ein Problem. Wenn Sprache kein Problem ist, dann ist es nicht mehr Literatur, sondern Unterhaltung. Und deshalb besteht immer eine Verknüpfung mit der Ironie … und natürlich auch mit Geistern … [lacht].