Der Traum in der Maschine
Im letzten Herbst lagen mein Freund Eric und ich entspannt in zwei Liegestühlen auf der Terrasse unseres Hauses in Kalifornien und betrachteten den Sonnenuntergang, der sich in unseren Rotweingläsern spiegelte. Eric erzählte von dem Phänomen der Sprachmanipulation mithilfe von zwei Marantz-Tonbandgeräten. Mit träger Stimme flüsterte er ein paar Sätze von James Joyce in sein Glas hinein, seine Stimme klang, als sei sie unter Wasser:
If you see kay – tell him he may – see you in tea – tell him from me.
Er setzte sein Glas vorsichtig auf den Holzbohlen unserer Veranda ab und lehnte sich wieder bequem zurück in den Liegestuhl. Wenn er dieses Joyce-Zitat also in ein linkes Marantzgerät sprechen und dann auf ein rechtes Marantzgerät überspielen würde, dann seine Aufnahme wiederum auf das linke Marantzgerät übertragen und dieses hin und her für einige Minuten wiederholte, würde sich seine eigene Stimme an einem Punkt auflösen und es entstünde eine Melodie. Diese Melodie erinnere an das Zwitschern von [41] Vögeln, und ergäbe sogar eine spiralförmige, musikalische Harmonie, die in ihrer verblüffenden Einfachheit an frühe Beatles-Harmonien erinnere. Seine Zeigefinger malten dabei zwei konzentrische Kreise in die Luft, er schloß zufrieden die Augen und trank einen Schluck Rotwein.
Vor ein paar Tagen hatte mir Eric eine Website gezeigt, auf der das Abbild seiner Lieblingsversion der dream machine zu sehen war, dem bohemian model. Ein Komponist namens David Woodard bot auf seiner Site den Nachbau des Originals von 1959 an. Die dream machine ist eine Erfindung des kanadisch-islamischen Poeten Brion Gysin, deren Prototyp er mit dem Mathematiker Ian Sommerville konstruiert hatte; ein sonderbar geformter Zylinder mit ausgeschnittenen ovalen Mustern, der sich auf Knopfdruck dreht, leuchtet und in verschiedenen Frequenzen flackert.
Wenn man sich in einem abgedunkelten Raum vor das Gerät setzt und darauf starrt, die Augen zu Schlitzen verengt und den Kopf dabei leicht nach oben und unten bewegt, soll die Traummaschine ihren Benutzer in einen tranceähnlichen Zustand versetzen. Das erste, zitternde Bildschema, das dabei vor den Augen entsteht, erinnert an das Muster eines nordpersischen Teppichs, der Effekt wird oft mit dem von LSD beschrieben; zwei einfache, gegeneinander rotierende Zylinder, die sich um eine Glühlampe drehen, projizieren, ganz ähnlich einem alten Filmprojektor, Muster und Schatten in einen Raum oder auf die Netzhaut. William S. Burroughs hat die Maschine seines Freundes Gysin fast täglich als Inspirationsquelle benutzt.
Das Lockfoto auf der Website von David Woodard zeigte ein wunderschönes Kästchen aus Tropenholz, das der Dream Machine als Sockel diente, vergleichbar mit dem antiken Schatzkästlein, in dem Opi Warbucks seine Rolex aufbewahrt hatte, die Rolex, die einst mit den Blutstropfen seines bei Gallipoli gefallenen besten Freundes benetzt wurde. Der Drehzylinder ruhte, als sei er von Courreges entworfen, auf diesem bourgeoisen Sockel und war mit feinem, weißen Fell bezogen. Das bohemian model erschien mir so stolz und und so begehrenswert wie Lara, die Geliebte Dr. Schiwagos.
Ich dachte damals an Weihnachten, es war schon Ende Oktober, ich hörte raschelndes Seidenpapier und stellte mir meinen Freund Eric vor, wie er mit leuchtenden, ozeanblauen Augen die Dream Machine auspacken und unter dem Christbaum seine weiße, 1962er Fendergitarre spielen würde, beleuchtet nur vom roten Flackerlicht der Maschine. Ich mußte sie ihm bestellen, noch heute, im Internet.
Eric ist aus Seattle. Kurt Cobain war auch aus Seattle, und erwiesen ist, daß David Woodard dem fragilen Genie ebenfalls eine dream machine nachgebaut hatte. Cobain hat sie oft benutzt, und nach seinem Tode tauchte ihr Foto in den Untersuchungsakten des FBI auf. Es gab Demonstrationen aufgebrachter Christen, die vor Galerien in Seattle aufmarschierten und die Ausstellung dieser teuflischen Maschine verbieten lassen wollten - auf einigen Bannern war zu lesen, wer hineinblicke werde homosexuell und würde sich dann sofort umbringen.
Mein Herz war warm an diesem lauen Oktoberabend und ich schlich beseelt mit meinem Glas Rotwein zu Erics Computer, wo ich unter seinen abgespeicherten favorites die Site David Woodards fand, das Portal zur Traummaschine. Ich klickte auf das kleine Kreditkartensymbol unter den Worten:
The popular $500 bohemian model (which includes priority shipping within the continental United States) Sports preter-arabic calligraphy and remains the Standard device by which modern christendom is transmogrified. BUY NOW Town Council, Juniper Hills, California. [42]
Ich wurde automatisch zum unkomplizierten Formular der Paypal-Website weitergeleitet, die als sicherstes Zahlungsmittel im Internet gilt. Dort gab ich mein Kennwort und meine Lieferadresse an und nach wenigen Sekunden erschien meine Auffragsbestätigung in freundlichen hellblauen Lettern auf dem Bildschirm:
Dear customer, your transaction was successful. Thank you!
Am 21. Oktober 2003 wurden fünfhundert Dollar von meinem Konto bei der Bank of America abgebucht und ich erhielt am nächsten Tag ein Bestätigungsmail der dreammachine company:
Date: Oct 21, 2003
From: David Woodard
To: Nika
Subject: dreammachine order
Nika, thank you for your order! Your dream machine is under construction.
best regards, David Woodard
Eric hält nicht viel von Überraschungen, so erzählte ich ihm von dem Geschenk, das er bald erhalten würde. Er griff liebevoll meine Hand und wir eilten die Treppen zu seinem Musikstudio hinab, das sich im Erdgeschoß unseres Hauses befindet und auf unseren verwunschenen Garten sieht. Dort suchten wir den perfekten Platz für die Traummaschine und schoben einige wuchtige Verstärker aus dem Weg und an die Wand, um eine respektvolle Zen-Zone für das bohemian model zu erschaffen. Gemeinsam freuten wir uns auf die Ankunft der Traummaschine, die bald unser Leben neu beleuchten würde, und wir gedachten still unserer Zukunft; endlich drogenfreie Halluzinationen und endlose Inspiration. Drei Wochen später war unsere Traummaschine bereits fertig. Ich erhielt folgendes Mail:
Date: Nov 14, 2003
From: David Woodard
To: Nika
Subject: Re: dreammachine order
Nika! Great news! It is completed and wonderful.
However, I regret that I cannot ship your machine until I’ve returned from San Francisco - where I was compelled by emergency to take a train on monday. In the meantime, as a conciliatory gesture, please find enclosed links to a Wagner-related sister city project and a wagnerian musical piece that I am working on. Since you seem to be at least part German, this might be of interest for you. A recording of the anthem will be uploaded presently, though I have not tested it with the dream machine yet. Best regards, DW
In den beigefügten Links erfuhr ich, daß der Komponist Richard Wagner seinerzeit einige Monate in einer Siedlung im Dschungel namens Nueva Germania in Paraguay verbracht hatte, und daß David Woodard eine Städtepartnerschaft zwischen seinem Heimatort Juniper Hills, Kalifornien und der Siedlung Nueva Germania, Paraguay plante. Im Anhang des Mails erhielt ich einige Notenblätter inklusive eines Librettos, die der Entwurf der wagneranischen Komposition von David Woodard zu sein schienen, die er mit mir teilen wollte. Hier ein kurzer Auszug:
NUEVA GERMANIA
OUR JUNGLE HOLY LAND.
LET US DEFEND HER SKIES.
LONG LIVE ELISABETH –
MOTHER OF THE JUNGLE
HOLY LAND.
ELISABETH IS OURS
LIKE THE STARS.
NOTHING IS ALIEN TO US NOW.
OH WHAT A DREAM
BEAUTIFUL SKIES.
NO MORE LIES.
EVERYTHING IS HOLY AND
GERMAN AND GOOD.
SATELLITE CELLPHONE JUST
LIKE OSAMA. [43]
ELISABETH BIN LADEN – QUITE
POSSIBLY A NIETZSCHEAN.
WE GROW YERBA MATE.
HEALTH IS OUR WEALTH.
BONGO, I DON’T WANT TO
LEAVE THE CONGO…
Ein weiterer Link führte mich zu einem Brief mit dem Briefkopf des Weißen Hauses in Washington, der offensichtlich persönlich an David Woodard gerichtet war.
THE WHITE HOUSE
Washington
Dear Dr. Woodard: On behalf of the President, thank you for your letter regarding the sister city relationship between Juniper Hills, California and Nueva Germania, Paraguay. The President understands that the relationship between local governments are important in securing our homeland and fighting the war on terrorism around the world. Thank you again for your letter. If I can be of further assistance, please do not hesitate to contact me at the phone numbers below.
Sincerely, R.B.
Deputy to the President and Director of Intergovernmental Affairs
Ich schrieb David Woodard sofort zurück, bedankte mich für sein Mail und bekundete unsere Freude über das baldige Eintreffen der Traummaschine. Nach etwa einem Monat – ich schrieb wöchentliche, freundliche Mails und ragte nach dem Verbleib meiner Bestellung – begann ich zu recherchieren. Ich erfuhr, daß Nueva Germania, der Ort, den David Woodard als die geeignete Partnerstadt für Juniper Hills in Kalifornien gewählt hatte, eine arische Siedlung war.
Nueva Germania wurde 1886 von Elisabeth Nietzsche und ihrem Ehemann, dem Diplomaten Bernhard Forster gegründet, als deutsche Kolonie, als eine antisemitische, vegetarische Utopie, die heute noch existiert, am Aguaraya-Fluß im Nordosten Paraguays. Forster selbst brachte sich kurze Zeit nach der Gründung der Siedlung um, da sein Projekt unzulängliche finanzielle Unterstützung bekam und er den Berg seiner Schulden nicht mehr abtragen konnte. Hitler schickte 48 Jahre später ein Kästchen deutsche Muttererde an Bord eines Dampfers zu Forsters Grab, um seinen Heldentod zu ehren. Etwa zur gleichen Zeit schrieb Nietzsches Schwester Elisabeth, Forsters Witwe, die Werke ihres Bruders mit einem soliden reichsdeutschen Touch um. Als Elisabeth Nietzsche im Jahr 1935 starb, ordnete Hitler ein Staatsbegräbnis für sie an.
Meine Recherchen hatten mir David Woodards Nueva-Germania-Hymne mit seinem Chorus ELISABETH BIN LADEN - MOTHER OF THE JUNGLE zwar etwas zugänglicher gemacht, aber ich hatte Schwierigkeiten ihn zu erreichen, denn seine Telefonnummern waren alle abgemeldet, und ich bekam ja schon seit einiger Zeit keine Rückantworten auf meine an ihn gerichteten Mails. Ein Juniper Hills, Kalifornien, das er als seine Postadresse angegeben hatte, war im Telefonbuch nicht aufgeführt.
Eric beschloß die Sache zu übernehmen und schrieb David ein Mail.
Date: Dec 15, 2003
From: Eric
To: David
Subject: Dream machine
Dear David, Can you give us any indication of when our dream machine might amve? We will have guests from Bangkok here over christmas and would love to share the dream machine experience with them. Thank you and best regards, Eric and Nika
Eric bekam bereits zwei Tage später eine Antwort. [44]
Date: Dec 17, 2003
From: David Woodard
To: Eric
Subject: Dreammachine info
Dear Eric, thanks for writing. I imagine it would be easy co worry about a dreammachine order that is taking so long to arrive. Completion of your dream machine has coincided with new design and material concepts, making yours the FIRST of a likely series that will fall somewhere between the bohemian model and the museum archive model. I am confident you will be pleased and find the upgrade compensates for the delay – I am shooting for x-mas. Is this feasible? I am still awaiting two parts – a special halogen socket and cocobolo, or similar peruvian rosewood. It will arrive in two large parcels. There is also the possibility that it will be privately delivered. Best, David
Weihnachten also. Weihnachten kam und ging, es kam aber keine dream machine, weder mit der Post, noch wurde etwas persönlich vorbeigebracht. Die Festtage mit unseren lieben Freunden aus Bangkok vergingen im Flackern des Lichts der Traummaschine unserer Freundschaft. Die Tage vor Neujahr verbrachten wir gemeinsam im Beat Hotel in Desert Hot Springs in der kalifornischen Wüste. Das dortige Hotel ist eine Hommage an das ehemalige Beat Hotel in Paris, in dem Ginsberg, Kerouac, Burroughs und Brion Gysin nächtliche, im Schein der Flackerlampe geflüsterte Diskussionen abhielten, begleitet von dem Trapsen französischer Kakerlaken.
Das neue Beat Hotel ist ein modernistisches, klinisch weißes Gebäude mitten in einer kargen Wüstenlandschaft, unweit von Palm Springs, die von heißen Mineralquellen umgeben ist. Der Architekt und Besitzer, Steve Lowe, hatte die Zimmer und die Lobby liebevoll mit Burroughs-Memorabilia ausgestattet; mit sehr raren schwarzweiß-Fotografien des Schriftstellers, Erstausgaben seiner Bücher, den sechs Schreibmaschinen, auf denen er seine Manuskripte abgetippt hatte; im Foyer waren in Glaskästen die Manuskripte selbst zu sehen, daneben Burroughs‘ Bullet Art, und in einer Ecke, neben der Rezeption, stand die dream machine, das bohemian model.
Erics Augen bekamen bei dem Anblick der Maschine einen entrückten und traurigen Ausdruck, der mich sehr berührte. Die Worte OURS LIKE THE STARS – GODFLOWER, begleitet von einem Thema Wagners, erfaßten meine Sinne für einen unhörbaren Moment, für mich jedoch laut und durchdringend wie eine Hupe. In diesem Augenblick vermieden wir alle, über die Traummaschine zu sprechen, und ich nahm mir fest vor, ab jetzt systematischer vorzugehen.
Nach unserer Rückkehr in Los Angeles rief ich also bei der Firma Paypal an, dort hatte ich ja bei der Internetbestellung meine Kredit-kartendetails hinterlassen - ich wollte meine fünfhundert Dollar zurückbuchen, bis ich mehr über den Verbleib des verschwundenen David Woodard wußte. Die Dame am Telefon erklärte mir, die Garantie auf Rücküberweisung gelte nur drei Wochen lang. Ich hatte die Traummaschine aber bereits vor beinahe vier Monaten bestellt.
Die Rufnummer, die Paypal von David Woodard in den Akten hatte, war dummerweise auch nicht mehr vergeben. In der folgenden Woche kontaktierte ich alle Kuratoren, Organisationen und Freunde von David Woodard, die er auf seiner Webseite angab. Ich schrieb Mails an Menschen wie Aes-Nihil, der einen Todeskult-Videovertrieb leitet, hinterließ zahlreiche Nachrichten auf dem Anrufbeantworter des Neon Art Museums, verlor mich in digitalen Stammbäumen David Woodards möglicher Vorfahren, sprach etwas aufgebracht und vielleicht zu rüde mit einem eingeschüchterten Professor in Cam-[45] bridge, der zufällig auch Woodard hieß und atmete geduldig in die Warteschleife des FBI. Ich kam in diesem Irrgarten virtueller David-Woodard-Verflechtungen trotzdem nicht recht voran. Im Februar schließlich schrieb ich ihm folgendes Mail, das vorgab, mehr über ihn zu wissen als meine erfolglosen Recherchen ergeben hatten:
Date: Feb 15, 2004
From: Nika
To : David
Subject: Nobody’s fool but mine
David, I know where you live, who your parents are – and were – and I wish we could communicate and settle the matter of the dream machine. Please send me a phone number where you want to be reached at. The amazing tool that you offer for sale was a huge inspiration for some of the most renowned artists, but it was only PASSED ON to you by Brion Gysin, who inspired me and my husband Eric with his wisdom — that goes way beyond inspiration. I went to an open air show of Ravi Shankar once and a flock of birds decided to stay in the sky above the theatre and scattered up in the most heavenly patterns and godly formations. It seemed as if they were guided by the ancient strings of Ravi’s Sitar. This was no coincidence but the power of art and sound and true devotion, which to me is a simple equasion. I am truly tired of tracking you down. What a waste of precious time. Make yourself visible, don’t feel guilty. That has been taken care of by your ancestors. Keep on shining and creating and get out of your self pity. I don’t buy it — but I paid for your magnificence! Nika
Ich war mit meinem Brief sehr zufrieden und bekam auch gleich am nächsten Tag eine Antwort. Sein letztes Mail lag immerhin bereits zwei Monate zurück.
Date: Feb 25, 2004
From: David Woodard
To: Nika
Subject: Re: nobodys fool but mine
Dear Nika, a present is on it’s way in the mail, but in the meantime call me IMMEDIATELY at (phone number) in Napa Valley, where I am paying a requisite visit to another David. I am always nervous about shipping a dream machine. I was briefly in LA last week to personally deliver your machine, regrettably, the time factor was prohibitive….Yet I loathe to consider selfpity!!!! Of course, whatever else you say is right, in light of your relationship with birds. They hover
and confer around me as well – which is why I so look forward to the welcoming jungles of south america.
Sincerely, Mr. Haney
Green Acres
Zwei Tage später erhielten wir per Expreßpost einen wattierten Umschlag. Darin waren erneut die Notenblätter der wagnerianischen Hymne NUEVA GERMANIA, eine unbeschriftete CD mit dem fertiggestellten Musikwerk und ein Stück goldlackierte, ausgerissene Pappe in Form eines Dreieckes, die mit roten, arabischen Schriftzeichen bepinselt war.
Eric verbrannte alle Schriftstücke in unserem Kamin, während wir uns die CD anhörten. Ich empfand das Werk als etwas zu lang und monoton, und die weibliche Operettenstimme erschien mir in den Übertönen recht disharmonisch. Das Libretto war wieder sehr kryptisch und ich verstand den Zusammenhang zwischen einer arischen Siedlung im Dschungel, islamischen Terroristen und dem Verbleib unserer Traummaschine nicht.
ELISABETH GREAT MATRIARCH
OF TRUTH – GREAT LEADER
GLORIOUS O’ER OUR HIDEAWAY.
OH WHAT A CHANCE –
BEAUTIFUL SKIES –
NO MORE LIES.
NOTHING IS ALIEN –
EVERYTHING IS GERMAN.
SATELLITE CELLPHONE JUST
LIKE OSAMA. [47]
David Woodard hatte sein letztes Mail mit Mr. Haney, Green Acres unterzeichnet. Green Acres ist eine CBS TV-Serie, die in den 60er Jahren entstand und bis in die 70er erfolgreich ausgestrahlt wurde: Mr. Haney, ein eleganter Rechtsanwalt aus New York, beschließt, sein Luxusleben aufzugeben, um sich mit seiner Familie in einen verwahrlosten Farmerort zurückzuziehen.
Er tauscht den Komfort der Upper Zistside gegen einen heruntergekommenen, resourcenlosen Alptraum ein, einen Farmerort namens Hootersville. Mr. Haney, mit dem sich David Woodard ganz offensichtlich identifizierte, wurde von einem Schauspieler namens Pat Buttram gespielt. Pat Buttram war einige Zeit mit der B-Schauspielerin Sheila Ryan verheiratet. Ich beschloß also, mein nächstes Mail mit Sheila Ryan zu signieren, denn offensichtlich wollte sich David in character begeben, bevor er uns endlich z:z Traummaschine schickte.
Date: Feb 26, 2004
From: Sheila To: David
Subject: Los Angeles
I will be in town on friday, FREITAG, call me, don’t be afraid you can call me. Call me and I’ll be around.
Sheila Ryan
Am nächsten Tag erhielt ich folgende Antwort:
Date: Feb 27, 2004
From David
To: Nika
Subject: Re: Los Angeles
Es ist Freitag und ich habe nicht Angst. Wenn Sie ihre Dreammachine in der Person sammeln erstatte ich entweder $75 zurueck oder gebe ihnen eine Wuenschenmaschine ($560 Wert), gratis. Ich hasse dreammachines zu den merkwuerdigen Namen und zu den Adressen auf dem Internet verpacken und versenden. David
Das klang gar nicht gut. Das letzte was ich jetzt wollte, war David zu verärgern. Wir saßen abends zuhause und tranken Rotwein. Um mich aufzuheitern spielte mir Eric einige Tonaufnahmen vor, die er während unseres Andalusien-Urlaubs mit seinem Marantzgerät aufgenommen hatte. Schon erschienen die Bilder:
Wir saßen in Liegestühlen auf der Terrasse der Finca meiner Mutter. Der Mond stand bereits hoch am Himmel, das weiße Treppendorf auf den Hügeln gegenüber war mit Neonlampen verschiedener Wattqualitäten beleuchtet und erinnerte an ein kubistisches Konglomerat aus Zuckerwürfeln, die sich an irgendeinem Winkel berühren müßten, um nicht auseinanderzufallen und die Hügel hinunterzupurzeln.
Flackernde blaue Lichter in einigen quadratischen Fenstern sendeten stolz den Luxus der andalusischen Arbeiterklasse in die Nacht hinaus, den Fernsehempfang per Satellit. Wir lauschten stumm und ergriffen einer kleinen Trompetenprozession in der Ferne, einer Fraternidad, einer katholischen Burschenschaft, die für die Semana Santa, das andalusische Osterfest, probten. Im Laufe der Nacht verstimmten sich die Trompetenklänge immer mehr, und der Marschrhythmus verstreute sich dissonant über die Hügel. Schließlich, es war schon sehr spät, war nur noch ein einzelner Trompeter zu hören, der sich offensichtlich verirrt hatte. Seine Trompete klang wie ein Nebelhorn auf hoher See und seine kläglich rufenden Töne waren nun nur [47] noch in immer größer werdenden Abständen wahrzunehmen.
Dann hörten wir das auf dem Tonband aufgezeichnete, metallische Echo einer Trompete, die wohl seinen Händen entglitten war und die Treppen des weißen Dorfes hinabsprang - eine Xylophonmelodie des menschlichen Versagens, kreiert von hochprozentigem spanischem Kognak und dem Wankelmut einer verlorenen Seele, die noch nicht nach Hause will. Das hijo de puta des Trompeters hallte durch die Gassen und auf den Aufnahmen ist unser fröhliches Prusten im Vordergrund zu hören. Anstatt mich aber dieser Aufnahmen zu erfreuen, deren Schönheit im Gigantismus der kleinen Momente lag, wanderten meine Gedanken wieder zu David Woodard, der meine Sinne inzwischen wie ein lästiger Tinnitus besetzte:
David Woodard komponierte im Mai 2001 eine zwölfeinhalbminütige Trompetenfanfare für Timothy McVeigh, welche am Morgen seiner Exekution von einer lokalen Radiostation in seine Todeszelle übertragen wurde, kurz bevor das Urteil verlesen wurde. Diese Komposition war das Tribut David Woodards an die Person, die 1995 das Alfred P. Niurrah Federal Building in Oklahoma in die Luft sprengte, wobei 168 Menschen ums Leben kamen. Der Titel des Requiems lautete Ave Atque Vale, eine klassische Todeshymne, die das respektvolle Abschiednehmen von einem geschätzten Menschen bezeichnet.
David Woodard hatte den spirituellen Zustand Timothy McVeighs vor seiner Todesstrafe per Injektion mit der Resignation Jesu Christi vor seiner Kreuzigung verglichen, ja, Jesus und Timothy McVeigh waren beide 33 Jahre alt, als sie starben. Woodard bezeichnete McVeighs Tat als leidenschaftlichen Ruf an ein betäubtes Mensch-Sein. Das Requiem für McVeigh nahm er am Tage vor seiner Hinrichtung in einer katholischen Kirche nahe des Gefängnisses auf. Er sagte, sein Ave Atque Vale würde den Wunden der betroffenen Familien ebenso als Heilpflaster dienen wie den Seelen ihrer ermordeten Familienangehörigen, sie seien alle Opfer einer verlorenen Gesellschaft.
Einige Tage später antwortete mir David Woodard auf mein Sheila Ryan-Mail. Er sei, so schrieb er, vor einigen Wochen nach San Francisco umgezogen, beim Beladen des Umzugstrucks in Kalifornien habe ein schlampiger Umzugsgehilfe zwei Traummaschinen nicht richtig gepackt, so daß sie vom Laster gefallen waren. Jetzt sei er gerade damit beschäftigt, die beschädigten Maschinen in einer dunklen Garage neben seiner neuen Wohnung wiederherzustellen, einige Teile müsse er nun neu bestellen, zum Beispiel das peruanische Rosenholz. Er bat mich um etwas Geduld und zeichnete mit: Mr. Haney, Green Acres. Jenes Mail hatte zusätzlich einen Anhang, diesmal ein Dokument der Firma Plastikos-Foundation:
Date: March 11, 2004
To Whom It May Concern at the White House
The Plasticos Foundation is delighted to support and and join Juniper Hills sister city project with Nueva Germania, Paraguay, for three reasons. First, as a volunteer Organisation dedi-cated to drastically improving the life of Third World Residents afflicted with cleft lips, facial tumors, severe burns and other deformities, we are concerned with severe phenotypic mutations accrued over 125 years of inbreeding and the profound effects these are likely to have on the daily life of Nueva Germania’s inhabitants. Secondly, Nueva Germania’s populace promises invaluable material for research into the effects of sustained inbreeding amongst Caucasians. Finally it is an honor for us to participate in Juniper Hills Town Councils bold effort to secure friendly international des in the midst of relative global turmoil. [48] In addition to his councilman duties, Dr. David Woodard has agreed to assess Nueva Germania’s plastic surgery needs, determining the Status of area medical facilities and generally paving the way for a visit by Plasticos‘ team of 15 medical volunteers in the near future. In light of Plasticos‘ protocol to train regional surgeons, nurses and other physicians and to establish seif-sustaining surgical facilities, Wbodard’s efforts are likely to yield the first ever surgical resource for tens of thousands of Paraguayans residing in the Southwest quadrant of San Pedro State.
Plasticos Foundation herby endorses Dr. David Woodard’s trip to Nueva Germania and strongly recommends White House sponsorship. Sincerely, L.S. Nichter, MD, FACS, FAAP President and Founder Plasticos Foundation
Am Mittwoch, den 17. März 2004, verlor ich meine Geduld. Ich schrieb:
From: Nika
To: David
Subject: the last of sheila ryan
David, all I want is my money back. The dream machine has turned into my worst nightmare. I would even rent a truck and personally pick IT or the money up in San Francisco. Tell me where and when. I feel utterly insulted and want to bring our communication to a clean end now. Nika
Date: Mar 20, 2004
From: David Woodard
To: Nika
Subject: Re: the last of sheila ryan
Hello there Nika, please don’t get accustomed to the otherworldly pleasure of being insulted. I hired a guest from Los Angeles to drive back and deliver your and Erics dream machine. He is an important dignitary in his early fifties, who has helped to run our government properly. I need to know how this might work out for you logistically. This could be a perfect delivery situation. He arrives in SF friday, then departs on monday the 29th. I assume he’ll trundle into LA on tuesday. Would it be feasible for him to entrust the machine to you, Eric, a doorman, chopped-up cauliflower in burlap? I’m really gonna miss you and Eric both. Would you like to go to Nueva Germania? A german friend, Marc Fischer, a renowned german novelist, has agreed to come as well. David
Am 29. März hatte ich keine Zeit, ich mußte rasch nach New York, also leitete ich an David Woodard die Anschrift meiner Produktionsfirma in Santa Monica weiter, denn dort war immer jemand da. Am 31. März rief mich ein Produktionsassistent der Firma an, um mir zu berichten, daß ihn gerade ein Mann namens Tom angerufen habe, der gerne am nächsten Tag eine Traummaschine zustellen würde. Am nächsten Tag, dem 1. April, wurde die Traummaschine von dem Produktionsassistenten Brian in Empfang genommen. Das Datum, der 1. April, verunsicherte mich ein wenig, deshalb ließ ich mir ein Digitalphoto nach New York senden. Auf dem unscharfen Photo war ein sonderbar geformter Zylinder zu sehen, der per Lichtschalter zu bedienen ist.
Ich flog am 3. April von New York nach Los Angeles und fuhr direkt vom Flughafen in die Wüste, um dort einige Filmaufnahmen zu machen und quality time mit meiner Freundin Liliane zu verbringen, die dort eine herrliche Ranch besitzt. David Woodard schrieb mir am 4. April ein Mail und bat um Bestätigung hinsichtlich des Erhalts und der Funktionalität der Traummaschine. Ich bedauerte in meiner Antwort, daß ich in der Hektik der letzten Tage noch keine Gelegenheit gehabt hatte, die Traummaschine abzuholen, geschweige denn zu testen [49] und ich schrieb ihm, ich sei in der high desert, in der Nähe von Joshua Tree.
Date: Apr 6, 2004
From: David Woodard
To: Nika Subject: Juniper Hills
…wait a minute, maybe you should visit my old house in Juniper Hills, which is right next to Little Rock on Joshua road…(es folgt eine Beschreibung zu seinem ehemaligen Wohnsitz)
Ich druckte mir seine Wegbeschreibung aus und fuhr mit meinem weißen Kia Sportage auf den Weg nach Juniper Hills, das laut seinen Anweisungen über den 29 Palms Highway zu erreichen ist. Ich fuhr links auf die Joshua road, bog rechts auf eine holprige Sandstraße und hielt vor einem leerstehenden Haus auf einem kleinen Hügel inmitten der kargen, fast spirituellen Wüstenlandschaft. Das war also Juniper Hills, die zukünftige Partnerstadt Nueva Germanias. Es war nur ein einziges Haus.
Der Briefkasten am Straßenrand war mit Filzstift beschriftet. Ich bediente das elektrische Fenster meines Kia Sportage und entfernte den Staub auf dem Briefkasten mit dem Finger, und das Wort Town Council kam zum Vorschein. Das Kläffen eines Hundes verhallte in der Ferne.
Ich wendete den Kia Sportage und fuhr die drei Stunden zurück nach Santa Monica. Brian, der Produktionsassistent, öffnete mir das schmiedeeiserne Tor der Filmproduktion und endlich stand ich, sieben ereignisreiche Monate später, vor unserer Traummaschine, die dort an der Rezeption aufgebaut war. Die Traummaschine war komplett aus schwarzer Pappe, der Sockel aus Sperrholz war mit schwarzer Farbe gestrichen. Kein peruanisches Tropenholz, kein Courreges. Nur eine altbackene Borte, die mich an die Vorhänge meiner polnischen Großtante Agnieska erinnerte, zierte den unteren Teil des Zylinders. Auf dem Drehteller, der den Zylinder rotieren läßt, waren einige Dreiecke gemalt, die einen Stern ergaben. Die Spitzen der Dreiecke waren mit bunten Glasstückchen beklebt.
Ich hatte ganz kurz die Vision eines betrunkenen Zauberers, der auf einer Drehscheibe hockt und grinsend ein fettes, zerzaustes Kaninchen an den Ohren hochhält, während ein rotes Flackerlicht psychedelische Schatten auf den verschlissenen roten Samtvorhang seiner Vorstadtbühne wirft. Seine wässrigen, rheumatischen Augen blitzen müde auf und er nimmt seinen löchrigen Zylinder ab und verbeugt sich tief vor einem imaginären Publikum, während in der Ferne ein Kinderchor zu hören ist. Ich legte die Traummaschine behutsam auf den Rücksitz meines Kia Sportage und chauffierte sie in ihr neues Zuhause.
Aber die Traummaschine funktionierte! Eric und ich sahen nach einigen Minuten persische Teppichmuster, und das rote Licht der Traummaschine tauchte sein Studio in ein festliches Licht. Ich schrieb David ein letztes Mail, um ihm meine leichte Enttäuschung über das schlichte Design unserer Fünfhundert-Dollar-Traummaschine mitzuteilen, die nichtsdestotrotz wunderbar zu funktionieren scheine. Er schrieb zurück, daß er unter dem Zeitdruck, dem er ja ausgesetzt gewesen war, beschlossen hatte, uns ein Rohmodell zuzustellen. Er würde aber gern in Kontakt bleiben, damit wir über ein mögliches Upgrade sprechen könnten. Vielleicht schickt er mir ja einen wagnerianischen Voucher.
Auf dem Weg zu meinem Freund Nib Geebles manövrierte ich meinen weißen Kia Sportage eine hügelige Straße hinauf und fuhr auf den Sonnenuntergang zu. Es begann ganz leicht zu regnen, die Wassertropfen spielten einen kleinen Rhythmus auf meinem Autodach, meine Gedanken waren klar und ich fühlte mich frei wie nach einer kühlen, traumlosen Nacht.