Die Geheimnisse der Kavallerie

Feuilleton
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 58-62.

Wenn sich jetzt zwei Feuilletonisten auf der Straße begegnen, lachen sie wie die Auguren übereinander, sobald sie aber ihre beiderseitigen humoristischen Feuilletons lesen, hören sie auf, übereinander zu lachen. Das öffentliche Leben ist bis auf das bißchen Reiterei, welches noch immer im Zirkus Beust zum besten gegeben wird, langweilig geworden; in den Theatern hat sich zwischen dem Souffleur und den Schauspielern, welche in dieser Einöde nur aufeinander angewiesen sind, ein intimeres Verhältnis herausgebildet, und der Direktor des Carltheaters hat sich in Berücksichtigung des Umstandes, daß die Mäuse jetzt die alleinigen Habitués seines Kunsttempels bilden, veranlaßt gesehen, eine Hauskatze zu einem größeren Gastspiele einzuladen. Wir Unglücklichen, für welche die Freuden des Sommers nur in sauren Gurken bestehen, geben uns im Stadtparke ein abendliches Rendezvous. Dort starren wir, wenn die Sonne untergeht, in ein Glas Bier, wie Lebensüberdrüssige, welche mit Selbstmordgedanken umgehen, in einen Teich. Erscheint dann der Mond, das lüsterne Schiefmaul, welcher der Erde, obwohl sie an den beiden Polen leider abgeplattet ist, schon eine Ewigkeit nachläuft, dann läßt uns die Wehmut des Alleinseins tiefer aufseufzen, so daß der in schläfrige Nachtgedanken versunkene Zahlkellner an uns mit der Frage hertritt:  Bitte, haben Sie „zahlen!“ gerufen. Und ohnehin elegisch gestimmt, denkt man bitter lächelnd: Was bin ich dem Egoisten? Eine Quelle, die drei Kreuzer Trinkgeld sprudelt.

Doch der Feuilletonist soll wie die Nürnberger, die keinen hängen, den sie nicht haben, nicht den Kopf hängen lassen. Er halte sich stets das geflügelte Wort gegenwärtig, mit welchem Se. Exzellenz der Herr Reichs-Kriegsminister Baron Kuhn neulich der Delegation eine so angenehme Zerstreuung geboten hat. „Das Kavalleriepferd muß springen können!“

Es kann allerdings nur wünschenswert erscheinen, wenn das Pferd, welches die militärische Karriere gewählt hat, neben seinen anderen Tugenden auch die des Springens besitzt: Wir haben uns selbst zu oft überzeugt, wie bei großen Feierlichkeiten, bei welchen, um Unglücksfälle zu verhüten, Kavallerie gegen die Zuschauer ausgerückt war, ein springendes Pferd Hunderten von Frauen und Kindern einen panischen Schrecken eingejagt hat, als daß wir die strategischen Vorteile springender Pferde irgendwie zu verkleinern dächten. Da jedoch der Herr Kriegsminister die Behauptung, das Kavalleriepferd müsse springen können, aufstellte, um sich jenen gegenüber zu entschuldigen, welche, wie er erklärte, der Kriegsverwaltung den Vorwurf gemacht hätten, „die Pferde gingen vor der Zeit zugrunde“, so scheint es, daß diese gymnastische Übung unseren Kavalleriepferden nicht ganz gut bekommt. Unsere Kavallerie hat daher einen ähnlichen Unfall zu beklagen wie jener rationelle Pferdezüchter, dessen Roß gerade in dem Augenblicke zugrunde ging, wo es, wie der trostlose Hinterbliebene erzählte, sich schon daran gewöhnt hatte, nichts mehr zu fressen, indem die Kavalleriepferde bedauerlicherweise dann zugrunde gehen, wenn sie eben daran sind, springen zu können.

Ich glaube meine Schuldigkeit als Patriot getan zu haben, indem ich den Pferden, die für das Vaterland im tiefsten Frieden in den Tod gesprungen sind, dies kleine Nachwort gewidmet habe. Ich sehe mich dagegen zu einer ernsten Interpellation an den Herrn Reichs-Kriegsminister verpflichtet, und zwar in Ansehung einer anderen tragischen Enthüllung, welche er über die Reiter der unglücklichen Pferde in der Delegation gemacht hat. Damen, welche in der Lektüre meines Feuilletons bis hieher gelangt sein sollten, muß ich, wenn sie nicht über besonders starke Nerven zu verfügen haben, dringendst ersuchen, hier abzubrechen, da es sich in dem Folgenden um nichts weniger handeln wird als um - Hosen, und zwar (ich hoffe, die Damen haben sich schon aus dem Staube gemacht) um die Hosen unserer Kavalleristen, ja, da alle Hosen gerissen sind, um noch Ärgeres als Hosen, um Ohnehosen.

In der Verwirrung des Schmerzes darüber, daß dem Kavalleristen gegenwärtig nur eine, wenn auch eine rote Hose zur Verfügung stehe, entschlüpfte nämlich Sr. Exzellenz das unglückselige Bekenntnis, welches wir, um dem Gewichte desselben keinen Abbruch zu tun, hier wörtlich mitteilen wollen: „Ich war daher bemüßigt, die Tragzeit der Hosen von zwölf Monaten auf acht Monate herabzusetzen.“

Der gewandte Mathematiker wird hienach sogleich eine unbedeckte Lücke von vier Monaten entdeckt haben, während welcher also der achtmonatliche berittene Hosenträger mit dem Tragen von Hosen pausieren mußte. Es muß daher für den Militärfreund die Frage entstehen, wie der Kavallerist während der vier hosenlosen Monate den Unbilden der Witterung vom Rocke abwärts zu trotzen imstande war, und wie es ihm, ohne die Gebote der unumgänglichsten Schamhaftigkeit zu verletzen, über die sich ja auch der geübtere Reiter nicht hinwegsetzen sollte, möglich war, seinen Pflichten als Dragoner, Mensch und Gebieter nachzukommen.

Wie manche sanguinisch-cholerische Mehlspeisköchin mochte nicht der Bürgerschen Lenore gleich aus schweren Träumen emporfahrend gerufen haben: „Bist untreu, Wilhelm, oder tot?“, da auch ihr geliebter Kavallerist, wohl nicht „in die PragerSchlacht“ gezogen, jedoch zur Parade ausgerückt war, „und hatte nicht geschrieben, ob er gesund geblieben“, während doch der Wilhelm jun. weder untreu war noch tot, sondern für ihn ganz einfach „die Tragzeit der Hose“ abgelaufen war, so daß er nicht in der Lage sich befand, bei Leonoren vorzusprechen. Ich frage nun ganz im Ernste, gibt es für einen vaterländischen Balladendichter einen schöneren Stoff, als: der Kavallerist und sein Pferd? Das poetische Wasser läuft einem ordentlich im Mund zusammen, wenn man all das Unglück unserer Rosse und Reiter denkt!