Die Schriftstellerinnen

Feuilleton
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 156-158.

Die Sache wurde schon auf dem» Korridor des Gerichtsgebäudes interessant durch ein Strumpfband, offenbar weiblichen Geschlechts, das dort herrenlos herumlag.

Angeklagt und durch einen überaus fröhlichen Schutzmann dem Gericht zugeführt wurde eine Schriftstellerin, deren Name die Vorstellung an die wonnigste Zeit des Jahres wachruft. Der Name Äquinoktialsturm wäre angesichts dieser Dame eine unangebrachte Schmeichelei, nennen wir sie Fräulein November. Die Anklage lautete auf Nötigung, Hausfriedensbruch, Beleidigung und Diebstahl.

Wie sie nun dastand, mit den kleinen bösen Augen in dem massigen Gesicht, den kraftvollen Unterkiefer beim unausgesetzten Reden auf- und niederklappend, glich sie einem jener grotesken Fische, die im Aquarium an den Glaswänden ihre tropischen Schnauzen kühlen.

Indessen - als sie nun dastand, sah man aus dem auf alle Fälle etwas zu kurzen Rocke das andere zerfranste Ende jenes herrenlosen Strumpfbandes weiblichen Geschlechts, wodurch wenigstens die auf diesem Gebiete aufgescheuchte Sucherseele ihre Beruhigung fand.

Fräulein November hatte, sich selbst mit einem Kämmerchen begnügend, ihre Zweizimmerwohnung an eine andere Schriftstellerin mit Kind vermietet. Es war zu Differenzen gekommen. Fräulein November war in Abwesenheit ihrer Mieterin in deren Räume eingedrungen, hatte zur Sicherstellung ihrer Forderungen Habseligkeiten der Mieterin an sich gebracht und sie angeblich auch dem nachforschenden Gerichtsvollzieher nicht in vollem Umfange ausgeliefert. Dann aber hatte sie auch sehr häßliche Reden über das Liebesleben der Mieterin geführt und ihre Behauptungen in einem Schreibmaschinenbrief wiederholt. Der Vorsitzende möchte gern wissen, was nun eigentlich Fräulein November für eine Schriftstellerin sei.

„Ich bin Redakteurin.“

„Wo?“

„Das sage ich erst in der Berufungsinstanz.“

Im übrigen ist es bei der Angeklagten nicht leicht, den Tatbestand festzustellen, da sie immer wieder von dem Liebesleben ihrer Mieterin spricht.

„Und mit einem verheirateten Manne!“

„Das soll schon mal vorgekommen sein“, sagt der Richter mild.

Nun huscht die Mieterin als Hauptzeugin in den Saal: die Schriftstellerin - hier vor Gericht natürlich ohne Kind. Nein, auch sie ist nicht mehr in erster Jugend und eigentlich kaum hübsch. Ein schweres und leidvolles Leben ist in ihr Gesicht geschrieben, aber es hat die Anmut einer schwebenden Seele nicht verwischt.

„Was schreiben Sie denn?“

„Ich bin Lyrikerin.“

„Sind Ihre Gedichte schon in Büchern gedruckt?“

„Nein - nur in Zeitschriften.“

Lieb und leise klingt die Stimme durch den Raum. Aber Fräulein November läßt nicht locker:

„Und Gesellschaften hat sie gegeben, bei denen das Licht ausgedreht wurde -“

„Aber Fräulein November -“ mahnt der Richter. „Wenn jemand bei mir ist, wird nie das Licht ausgedreht!“

Was wahr sein mag, aber schrecklich. Am Ende wird Fräulein November zu 150 Mark Geldstrafe wegen Nötigung, Hausfriedensbruch und Beleidigung bestraft. Sofort will sie Berufung einlegen.

„Überlegen Sie sich‘s -“ meint der Richter.

„Nein -“ sagt Fräulein November, fegt davon, und Frühlingssonne flutet in den Saal.

Der neugierige Chronist konnte es nicht unterlassen, nachzuforschen, auf welchem Gebiet der Literatur die Besitzerin des abgerissenen Strumpfbandes sich bewegt.

Nach glaubhaften Mitteilungen ist Fräulein November - Modeschriftstellerin.