Gewalt und Begehren

Interview
unveröffentlicht
Mai 2001, London. Ich treffe Dennis Cooper (*1953) vor der Eröffnung der von ihm kuratierten Gruppenausstellung „Smallish“ in der Galerie greengrassi. In insgesamt fünf Romanen hat er das Schicksal seines engsten Freundes George Miles verarbeitet, der zu schön war, um mehr als nur begehrt zu werden. In verschiedenen Mutationen setzt Cooper ihn der Brutalität, den Drogen und der Mißachtung meist älterer Liebhaber aus. Immer wieder heißt es, Bret Easton Ellis habe bei ihm abgeschrieben, und einige Zeit hielt sich das Gerücht, der Jungautor JT Leroy existiere gar nicht, sondern sei ein Pseudonym Coopers.

Was raten Sie einem Jungen, der erkennt, daß er homosexuell ist?

Nimm es nicht wichtig. Akzeptiere, daß du schwul bist, aber beschränke deine Interessen und Freundschaften nicht auf diese eine Sache. Es ist wichtig, Freunde zu haben, denen es egal ist, ob du schwul bist oder nicht. So viele werden homozentrisch. In den USA, ganz besonders in L. A., wo ich wohne, ist die schwule Kultur beherrscht von Konsum und Körperkult. Ständig Sex zu haben, vernarrt in hübsche Jungs zu sein und all der Scheiß. Die homosexuelle Identität ist ein groteskes Konstrukt, eine Verrücktheit des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich bin ein Individuum, ein Anarchist und kann mit solchen Konstrukten nichts anfangen.

Sie schenkten Ihre große Zuneigung George Miles, einem heterosexuellem Jungen.

Ich war fünfzehn, spielte in einer Band und sammelte Erfahrungen mit Drogen. Auf einer Schulparty sagte ein Freund: „Mein kleiner Bruder hat LSD genommen, er flippt aus.“ George war zwölf, und ich redete sieben Stunden lang mit ihm, bis er runterkam. Er beeindruckte mich und wir wurden sehr enge Freunde. Später bekam er eine schwere manische Depression, ich war nun sein einziger Freund. Er wurde so katatonisch, daß er nicht aus dem Bett konnte, dann so manisch, daß er nur bibberte. Er war interessiert an mir, aber da es ihm so schlecht ging, konnte ich nur noch versuchen, ihn zu beruhigen, ihn etwas glücklicher zu machen und davon abzuhalten, sich umzubringen. Ich lernte, was Freundschaft bedeutet – und wo ihre Grenzen liegen. Ich zog nach Amsterdam, wir verloren den Kontakt, weil ich kein Telefon hatte, und er brachte sich um. Ich denke, das war unausweichlich. Sicher, ich wünschte, ich hätte ihm geholfen, etwas länger am Leben zu bleiben, und vielleicht hätte man in der Zeit die richtige Medikamentation für ihn gefunden. Seit ich George kennenlernte, tendiere ich dazu, jüngere Freunde zu haben und helfen zu wollen.

Wußte George, daß Sie über ihn schreiben?

Eines der letzten Male, als ich ihn sah, erzählte ich ihm von den geplanten Büchern, und er sagte: „Sicher.“ Beim Schreiben stellte ich mir dann vor, er sei irgendwo, würde es lesen und mich anrufen: „Wow, das ist seltsam. Warum tust du mir das an?“ Aber es geschah nicht. Mehrmals im Jahr versuchte ich herauszufinden, wo er war. Zehn Jahre lang wußte ich nicht, daß er sich umgebracht hatte.

Warum tun Sie George in Ihren Büchern Grausamkeiten und Gemeinheiten an, wo Sie ihn doch real nur beschützen wollten?

Er war süß und hatte eine Menge Freundinnen. Er wurde nur nach seinem Aussehen beurteilt. Niemand sah hinter seine Schönheit, niemand kümmerte sich um ihn. Ich machte ihn zur zentralen Figur meiner Romane, um selbst human zu bleiben, während ich all den Horror beschrieb. Ich hätte nie erlaubt, daß ihm etwas Schreckliches passiert.

Sie verurteilen Gewalt, aber fühlen sich von ihr angezogen.

Ich habe mich immer gefragt, warum das so ist. Aber ich weiß nur, wann es mir klar wurde. Ich war dreizehn und las in der Zeitung, daß ein Mann in den Bergen hinter unserem Haus drei Jungen meines Alters ermordet hatte. Das war das Faszinierendste, was ich jemals gehört hatte. Ich dachte nicht, es sei sexy. Mit einem Freund stieg ich in die Berge und wir zelteten am Tatort. Es war eine Wallfahrt. Dann las ich de Sade, ich war zu jung dafür, und dachte: Ah, man kann darüber schreiben.

De Sade beschreibt Gewalt als sexuell stimulierend.

Der Mörder war schwul, es gab da sicherlich auch einen sexuellen Drang in mir, aber er ist unglaublich kompliziert. Diese Morde sind für mich unglaublich aufregend und zugleich das Erschreckendste auf der Welt. Ich bin völlig schizo. Ich identifiziere mich gleichermaßen mit den Tätern und den Opfern.

Wie Larry Clark lassen Sie Ihre jungen Helden durch ein Überangebot an Sex und Drogen irren. Was halten Sie von ihm?

Larry Clark ist ein gruseliges, ausbeuterisches Monster. Seine Arbeit ist sehr stark, aber er mißbraucht diese Kinder. Er gibt ihnen Drogen, und es schert ihn nicht, daß sie heroinabhängig werden. Er verlangt Sex von ihnen und ist auch so unehrlich zu behaupten, nicht schwul zu sein. Er lebt in einer Phantasiewelt und schöpft daraus wirklich phantastische Bilder. Dafür ist er der elendste, depressivste Mensch auf der Welt, das ist seine Strafe.

Gibt es Psychopathen, die an Sie herantreten?

Ja, nach Lesungen. Sie wirken nie gefährlich, aber fragen mich: „So, wo kann ich einen zwölfjährigen Jungen finden?“ oder: „Wo kann ich ein Snuff-Video bekommen?“ Ja, es gab einige Psychos, doch es sind weniger geworden. Jetzt verstehen die Leute meine Bücher besser. Es sind viel mehr Kinder als Psychos, die sagen: „Du verstehst mich.“

Hatten Sie als Teenager selbst das Gefühl, nicht verstanden zu werden?

Ich hasse meine Eltern, es sind schreckliche Menschen. Jeder, der den Wunsch hat, seine Eltern zu töten, findet mein Verständnis. Das hat nichts damit zu tun, daß ich schwul bin. Mein Coming-out machte mir nicht zu schaffen. Mit vierzehn hatte ich eine unschuldige Liebesaffäre mit einem anderen Jungen. Meine Mutter fand mein Tagebuch und schickte mich zu einem Psychiater, der sagte: Du bist in Ordnung, aber du solltest deiner Mutter sagen, daß du es nicht mehr tust. Es war nie ein Problem für mich. Es kümmert mich einfach nicht, was andere denken. Ich fühle mich nicht sehr schwul.