Leise, unsichtbar und autonom
„Die Welt ist gefährlich – deswegen sind wir hier bei der IDEX.“ William Cohen ist ehemaliger Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten und leitete die Offensiven im Irak und Kosovo Ende der 90er Jahre. Jetzt ist er Leiter einer einflussreichen Unternehmensberatungsfirma mit Verbindungen in der Golfregion. Er spricht zu einem gut gefüllten Auditorium in Abu Dhabis luxuriösem Armed Forces Officers Club, als Festredner bei der Eröffnungskonferenz der IDEX, der größten Waffenmesse der Welt. Aber von Waffen ist auf der Konferenz kaum die Rede, man spricht hier von Verteidigungstechnologien. Das Publikum besteht aus hochdekorierten Militärs in Uniform, die aus allen Teilen der Welt angereist sind, einige Sitzreihen sind gefüllt mit Männern im traditionellen Gewandt der Vereinigten Emirate, der Rest trägt schwarze Anzüge. Die internationale Uniform der Geschäftsmänner ist hier nicht weniger Folklore als die blinkenden bunten Orden und Mützen der Offiziere und die Bommeln und feinen Tücher der emiratischen Scheichs. In den Pausen trifft man sich bei Häppchen, arabischem Kaffee und zur „networking hour“ beim Lunch, umgeben von spiegelndem Marmor und blitzendem Chrom. Der Officers Club ist eine der besten Adressen der Stadt, zwischen Palmen plätschern Wasserfälle, darüber erhebt sich die metallische Kuppel der seltsam aus der Zeit gefallenen postmodernen Prunkanlage, die der französische Architekten Roger Taillibert in den 90er Jahren im Auftrag von Scheich Khalifa bauen ließ.
Wer im Cockpit des Eurofighters „Typhoon“ am Stand von British Aerospace Platz genommen hat, fühlt sich eingeklemmt. Es gilt, gleich zwei durchsichtige Bildschirme im Blick zu haben. Einer ist in das Visier des Helms eingelassen, der andere liegt über dem Sichtfenster des Flugzeugs. Auf ihnen werden unablässig Zahlen und Piktogramme eingeblendet. Sie sollen es dem Piloten ermöglichen, schnell und intuitiv eine möglichst große Menge von Informationen zu verarbeiten: Flughöhe und Fluggeschwindigkeit, GPS-Daten, Zielerkennung. Ein Spracherkennungssystem ermöglicht es, das System per Zuruf zu steuern. In der letzten Generation der Kampfjets wird der Mensch auf die wesentlichen Funktionen reduziert – Atmen und Schießen. Aber dass in diesem Flugzeug überhaupt noch jemand sitzt, lässt den Eurofighter auf der IDEX schon wie in die Jahre gekommenes Kriegsgerät erscheinen. Denn die neuesten Technologien, die auf der International Defence Exhibition and Conference, kurz IDEX, präsentiert werden, steuern sich selbst.
Kein anderes Land der Welt verfügt über so viele Zollfreigebiete wie die Vereinigten Arabischen Emirate. Das mag den Erfolg der IDEX befördert haben, die 2015 bereits zum zwölften Mal stattfindet. 56 Nationen sind in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Emirate vertreten. Mehr als 1.200 Unternehmen präsentieren Verteidigungstechnologien der Zukunft. Im Angebot ist fast das gesamte Spektrum moderner Waffen, vom automatischen Sturmgewehr bis zur Lenkrakete, vom gepanzerten Geländefahrzeug bis zum unbemannten U-Boot.
Beim Gang über die Messe überraschen die ausgesuchten Details, die angenehme Farbauswahl, die hochwertigen Teppiche, die polierten Oberflächen und Blumenbouquets, hinter denen die brachialen Tötungsinstrumente fast verschwinden. Ein Tresen am Rand des Bereichs von Tawazun, einer emiratischen Dachgesellschaft der Rüstungsindustrie, hat die Aufschrift „Caracal Leichte Munition“. Der junge Mann dahinter trägt die traditionelle weiße Kandora mit Kopftuch und lächelt freundlich. „Where are you from? - Germany!“ All dies würde es ohne Hilfe aus Deutschland nicht geben, verkündet er, und zeigt mit einer ausladenden Armbewegung auf das in Gold und Grau gehaltene Messedisplay hinter sich. Lange Glaskästen mit automatischen Waffen und modernen Jagdgewehren sind darin ausgestellt. Eine hell ausgeleuchtete Vitrine präsentiert blinkende Munition wie das Schaufenster eines Juwelierladens. Der Aufdruck der braunen Tragetaschen, die die Munitionsbroschüren enthalten, erinnert an das Muster der Luxusmarke Louis Vuitton.
Als er mein fragendes Gesicht sieht, zückt der Mann am Messestand einen Notizblock und schreibt darauf die Namen der zwei deutschen Firmen, denen sein Unternehmen angeblich so viel verdankt: Merkel und Haenel. „Jagd- und Präzisionsgewehre“, strahlt er, „you should be proud of that!“
Shoppen, Töten und internationale Politik – das beschreibt die Logik einer Waffenmesse und die IDEX wirkt dabei wie die erweiterte Version einer der zahlreichen, in die Wüste gebauten Malls, die den Geltungskonsum zur Hauptachse des öffentlichen Lebens in den Ölmonarchien erheben, um in ausgepolsterten, gekühlten Innenräumen eine sanfte Alternative zum Wüstenklima anzubieten.
VIPs aus allen Ländern schlendern durch die Ausstellung, die erst ab dem zweiten Tag der Öffentlichkeit zugänglich ist. Darunter drei emiratische Scheichs in ihren Rollen als Staatspräsident und Heerführer der Streitkräfte, Herrscher von Dubai und Kronprinz von Abu Dhabi. Sie lassen sich beim Berühren von Satellitenanlagen und schnittigen Fluggeräten fotografieren. In dieser Region stammen Monarchen, Minister, hohe Regierungsbeamte und die CEOs wichtiger Unternehmen meist aus derselben Familie, was Verhandlungen der Politik mit der ansässigen Industrie vereinfacht. Auch eine deutsche Delegation mit Vertretern des Bundesministeriums für Verteidigung besucht die Messe. „Man informiert sich dort über neueste technologische Entwicklungen und gibt Rückmeldung über die Bedürfnisse der eigenen Streitkräfte. Davon profitieren auch die Industrie und Interessenverbände“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Kaufverträge würde das Ministerium dort nicht abschließen, aber die Messe sei ein wichtiger Anlass zur Verständigung mit Nato-Partnern und Vertretern der Industrie. 62 Unternehmen aus Deutschland sind in diesem Jahr auf der Messe vertreten.
Am Stand von Rheinmetall steht Dirk Niebel, ehemaliger Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und nun Cheflobbyist des größten deutschen Rüstungskonzerns, und macht Smalltalk. Neben Niebel erhebt sich ein unförmiger Koloss. Ein großer Container, darauf ein Gerät mit einem eckigen Kopf und drei dunklen Öffnungen. Das sieht nicht gerade nach Science-Fiction aus. Dennoch handelt es sich bei diesem Klotz um das vielleicht futuristischste Gerät, das auf der Messe zu sehen ist. Die Laserwaffe bündelt Laserstrahlen so auf ein Ziel, dass dieses durch Überhitzung explodiert. Der Laser kann aber auch auf sanftere Weise zuschlagen: Seine Strahlen sind in der Lage, Kameras und andere Sensoren zu blenden und damit außer Gefecht zu setzen. Zusammen mit dem von Boeing im Auftrag der US-Regierung entwickelten Konkurrenzprodukt „Beam Control“ gilt diese neuartige munitionslose Waffe als Hoffnungsträger für die Abwehr von illegalen Drohnen. Zuletzt beunruhigten Sichtungen unbekannter Drohnen über dem Weißen Haus in Washington und der Innenstadt von Paris die Öffentlichkeit. Großevents wie Fußballspiele könnten nach der Vision der Waffenentwickler bald von in den Himmel gerichteten Laserstrahlen überwacht werden.
Neben der Produktmesse findet in diesem Jahr zum ersten Mal eine Konferenz zum Thema „Unbemannte Systeme“ statt. Drohnen bilden den Zukunftsmarkt der Rüstungsindustrie. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft ermöglichen sie eine neue Art der Kriegführung aus der Distanz. Das wirft ethische Fragen auf. Die stetig wachsende Autonomie der Systeme macht manchen Angst. Auf der Konferenz zeigt ein Ingenieur der US-amerikanischen Firma Oshkosh, die auf Militärfahrzeuge spezialisiert ist, per Video die Fähigkeiten eines unbemannten Lkws namens Terra-Max. Mit großer Geschwindigkeit rast das Gefährt durch unwegsames Gelände, die Nahaufnahme zeigt das Lenkrad in der Fahrzeugkabine, das sich wie von Geisterhand bewegt. „Dieser Lkw ist ein Roboter“, erklärt der Ingenieur. „Von unbemannten Systemen, die ferngesteuert werden, unterscheidet er sich dadurch, dass man ihm nur eine bestimmte Mission und geografische Zieldaten eingibt. Den Rest erledigt das Fahrzeug selbst.“
Zwei große Ausstellungsbereiche der IDEX sind den robotischen Systemen gewidmet. Jeder, der im internationalen Waffengeschäft etwas auf sich hält, möchte hier dabei sein. Die Vereinigten Arabischen Emirate, die durch den Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie unabhängiger von der Ölförderung werden wollen, feiern auf der Messe eine Firmenneugründung: „Adasi“ steht für Abu Dhabi Autonomous Systems. Das Unternehmen soll das Marktpotenzial unbemannter Technologien in der Region ausschöpfen.
Unweit vom Adasi-Stand zeigt die chinesische Firma Catic verschiedene Modelle ihrer bewaffneten und unbewaffneten Drohnen. „Wing Loong-1“ etwa trägt eine Waffenladung von 200 Kilogramm und könnte bald den bekannten Namen aus Amerika Konkurrenz machen. Am Messestand von Saudi-Arabien hängt eine Luna–Drohne der bayerischen Firma EMT Prenzberg, die jetzt in der staatseigenen Waffenschmiede Al Kharj produziert wird. Dort stellt man schon seit Längerem die Sturmgewehre von Heckler & Koch her, weshalb sich die deutsche Firma auf der Messe anscheinend von der saudi-arabischen Military Industries Corporation vertreten lässt. Einen eigenen Stand hat Heckler & Koch nicht.
Drohnen sind auf der IDEX in diesem Jahr auch erstmals in einer groß angekündigten Live-Vorführung zu sehen. Eine Stunde dauert die Fahrt im klimatisierten Reisebus über die Autobahn, die von mühselig bewässerten Palmen gesäumt ist. Sie bringt ein ausgewähltes Publikum nach Tarif, an einen Ort in der Wüste, an dem nichts zu sehen ist außer einem großen Hangar und einem Rollfeld, schwer bewacht und umgeben von hohen Zäunen. Heute sind hier weiße Zelte und Pavillons aufgebaut, eine abgeschirmte Tribüne für die anwesenden Scheichs, und auf einem Stückchen Kunstrasen kann man die neuesten Flugroboter aus der Nähe betrachten. Auf den beschirmten Tischen liegen kleine Päckchen mit Sonnencreme bereit. Man blinzelt in den Himmel und sieht den kleinen, überraschend klapprig daherkommenden Geräten bei Start und Landung zu. Al-Sabr heißt ein kleiner unbemannter Helikopter, der von der emiratischen Regierung gemeinsam mit der österreichischen Firma Schiebel entwickelt wurde. Er soll vollständig autonom sein und zu Luftaufklärungszwecken eingesetzt werden. Mit lautem Krach erhebt sich das Gerät senkrecht über das Rollfeld und bleibt für einige Zeit über den Köpfen der Zuschauer stehen.
Das Modell Insitu RQ-21 Blackjack der Firma Boeing fliegt dagegen fast lautlos, ist aber nach wenigen Augenblicken aus dem Sichtfeld verschwunden und zirkelt so leise wie unsichtbar in einigen Kilometer Entfernung am Himmel. Auch Insitu RQ-21 Blackjack dient allein der taktischen Luftaufklärung. Bewaffnete Systeme werden nicht gezeigt.
In einem der Zelte zeigt ein norwegischer Anbieter die Black Hornet, einen sogenannten Nanohelikopter, der auf einer Handfläche Platz hat. Winzige Drohnen, die durch Fensteröffnungen eindringen können – das klingt bedrohlich. Für die Black Hornet war es draußen allerdings zu windig.
Ein Vertreter der US-amerikanischen Firma General Atomics gibt zu verstehen, dass sie ihre Teilnahme absagen mussten, weil die Start-und-Lande-Bahn für die von ihnen entwickelten Systeme zu klein sei. General Atomics produziert den Predator. Seit um das Jahr 2001 Militärs immer häufiger Drohnen einsetzten, ist der Predator das am häufigsten verkaufte „unmanned aerial vehicle“. Der Predator war die erste bewaffnete
Drohne und ist berüchtigt für ihren Einsatz bei den CIA-Kriegen in Afghanistan und Pakistan. Seit Barack Obama eine Woche vor Beginn der IDEX eine Auflockerung der Exportbestimmungen für bewaffnete Drohnen bekannt gab, herrscht am Messestand von General Atomics Feierlaune. Sie haben den neuen Predator XP mitgebracht und eine gerade neu entwickelte Konsole, das Advanced Cockpit GCS, über die das Flugsystem navigiert wird. Auf sechs Bildschirmen wird die Wahrnehmung durch die nicht vorhandenen Fenster der Drohne simuliert, werden Karten und 3-D-Ansichten der Landschaft angezeigt. Einer der Bildschirme ist der Kommunikation mit den anderen an der Steuerung des Predators beteiligten Personen vorbehalten. In einem Chatfenster kann man sich mit dem Team verständigen. Gesteuert werden kann das System mittels eines Joysticks und einer in der Hand zu haltenden Konsole, mit Knöpfen für rechts/links und oben/unten. „So ist die Steuerung von Hand für die jungen Piloten intuitiver“, erklärt der ehemalige Drohnenpilot, der das neue Cockpit vorführt. „Sie lehnt sich an die bekannten Produkte von Nintendo an.“
Zurück auf der Messe, kommt man vorbei an Microsoft Defence Solutions und diversen Firmen, die sich auf Simulationen und Programme zur Vernetzung der Informationsebenen spezialisiert haben. Der Schaukasten eines italienischen Unternehmens mit dem Namen „Hacking Team“ wirbt mit einer „Hacking Suite für Regierungsspionage“. Die Slogans sind erstaunlich eindeutig: „Erfassen Sie relevante Daten, egal ob sie übermittelt werden oder nicht. Dringen Sie in PCs und mobile Geräte ein, um sie zu überwachen. Bleiben Sie unsichtbar und unauffindbar.“ Ver- und Entschlüsselung von Informationen waren schon immer kriegsentscheidende Techniken. Aber seit die Steuerung fast aller großen Waffensysteme über Satelliten- oder Internetverbindung läuft, ist Kryptografie zu einer Schlüsseltechnologie geworden. Bei der Übermittlung von Daten sind alle Systeme angreifbar. Es erstaunt daher nicht, dass auch die Regierungen von kleineren Ländern neuerdings in eigene Satellitenanlagen investieren. Der größte bekannt gewordene Deal, der während der IDEX abgeschlossen wurde, betrifft den Verkauf von zwei Satellitensystemen von Airbus Defence und Thales Alenia an die emiratischen Streitkräfte für eine Milliarde Euro. Eine Konferenz zum Thema „Cyber Warfare“ ist nicht öffentlich angekündigt. Man findet sie auch nicht im Pressematerial der IDEX. Sie tagt nur mit geladenen Gästen im Ritz Carlton.
Die existierenden Technologien sammeln große Mengen von Daten, Terabyte von nicht mehr zu überblickenden Informationen. Chris Day von der Firma Schiebel Elektronische Geräte GmbH warnt daher auf der Konferenz für Drohnentechnologien, dass trotz der Rede von „unbemannten Technologien“ immer mehr menschliche Arbeitskraft erforderlich sei, um aus den gesammelten Daten tatsächliche Informationen zu destillieren. Hier setzen neue Verfahren der Automation und künstlichen Intelligenz an, die verdeckt unter den Oberflächen und Interfaces operieren. Sie bestimmen, was auf den Monitorbildern zu sehen ist, und treffen eigenständig Entscheidungen. Die Menschen an den Konsolen bekommen davon oft nichts mehr mit.