DJ Koze – Harmonie bleibt das Feindbild

Interview
zuerst erschienen im März 2013 in De:Bug Nr. 171, S. 8-11
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Angst gebiert die schönste Musik, glaubt zumindest DJ Koze - und setzt auf „Amygdala“ seinem Mandelkern ein musikalisches Denkmal. Bianca Heuser hat sich mit dem Hamburger Musiker getroffen und ganz offen über die Last des Humors, den Retter Hass und Ü30-Pop gesprochen. Trotzdem: Koze bleibt ein Phantom der guten Laune. Weil Swahimi vorerst auf einem Workshop für Lach-Yoga seine Seele reinigt, treffen wir an einem grauen Dienstag den unerleuchteten DJ Koze in den Pampa-Offices in Berlin-Kreuzberg. Anlass ist das Ende März erscheinende „Amygdala“ , Kozes erstes Album seit acht Jahren, es erscheint natürlich auf dem eigenem Label Pampa Records. Wie spätestens sein Remix-Album „Reincarnations“ von 2009 ankündigte, bringt „Amygdala“ großen Pop-Appeal für das Ende der Clubnacht. Mit Features von Apparat, Matthew Dear, Dirk von Lowtzow und sogar Hildegard Knef. Der Albumtitel verweist auf den Teil des menschlichen Gehirns, der Furcht und Erregung kontrolliert - und maßgeblich an der Entstehung von Angst beteiligt ist. Davon hat Stefan Kozalla nämlich eine Menge. Unter anderem scheint er sich auch vor schlechter Durchblutung zu fürchten, denn während unseres Interviews kippt er sich konstant Franzbranntwein auf die Stirn, in den Nacken, die Hände und irgendwann auch auf die Leinenhose. „Oah, das brennt. Aber ich liebe das ja. Das ist wie bei einem anstrengenden Lied und am Ende kommt so eine warme Melodie rein. Aber vorher musst du erst durch die harte Hölle gehen. Wenn der Schmerz nachlässt: ah, total durchblutet. Ich kann kaum gucken“, brummt Koze unter dem Zwicken der Alkohol-Menthol-Mischung

Wovor hast du denn Angst, Stefan?

Da hab ich mir ja richtig was eingebrockt. Da fragt jetzt erstmal jeder nach. Eigentlich könnte man mich eher fragen, wovor ich keine Angst habe.

Und wovor fürchtest du dich nicht?

Vor der Zukunft. Vor dem mächtigsten Ding habe ich irgendwie keine Angst. In irgendeiner Form bin ich da fatalistisch. Aber ansonsten fürchte ich mich vor vielem.

Vor Dunkelheit, zum Beispiel?

Ein bisschen, ja. Ich habe konstant Angst vor Mördern in der Dunkelheit. Igitt, diese Chips schmecken furchtbar. Füge Angst vor Chips mit Crème-Fraîche-Geschmack hinzu.

Und vor verformten Möhrchen zum Beispiel. Vor denen habe ich nämlich Angst. Aber das sind ja eher Kleinigkeiten, nicht?

Ich fürchte mich auch vor den großen Sachen! Also zum Beispiel habe ich permanent Angst vor Herzinfarkten und Schlaganfällen, und dass ich umkippe. So ein bisschen wie Tony Soprano: Alphatier verliert Kontrolle. Außerdem fürchte ich mich vor Menschen, gerade zum Beispiel vor dir. Ich stehe mit meiner Amygdala auf jeden Fall in regem Austausch. Das kann sich aber auch befruchten: Beim Musikmachen steigere ich mich gerne in diesen Zustand hinein, indem ich viel Kaffee trinke. Wenn ich Angst vor einem Herzinfarkt bekomme, mache ich meist ganz gute Musik. Ich finde es spannend, im Überlebenskampf noch zu komponieren.

Wichtig ist ja nur, dass man sich von der Angst nicht lähmen lässt.

Selbst wenn das passiert, ist das auch gar nicht schlimm. Dann kann man ja Tavor (ein angstlösendes Arzneimittel, Anm. d. Red.) einnehmen. Hat Uwe Barschel auch so gemacht. Dieses Medikament finde ich ganz gut, es schaltet die Angst einfach aus. Und wenn du willst, kannst du ja auch noch Rotwein drüber gießen. Dann hast du wieder richtig Oberwasser. Daran sollte sich jeder frühzeitig gewöhnen, auch ohne Angst. Ein Langzeitmodell, das ich verfolge, besteht aus Tavor und autogenem Training. Zusammen geht das sehr gut.

Kannst du dann auch gut schlafen?

Gutes Thema. Schlafstörungen habe ich, seit ich mit Sieben das erste Mal „Aktenzeichen XY“  gesehen habe. In letzter Zeit ist es etwas besser geworden. Aber weil wir gestern Abend noch auf die bescheuerte Idee gekommen sind, Rotwein und Old-Monk-Rum im Wechselspiel zu trinken, war das wieder mal keine gute Nacht. Mehr als ein oder zwei Gläser Wein sind bei mir echt nur Öl ins Feuer, dann werde ich erst richtig wach. Bisher habe ich ja ramadan-mäßig dieses Jahr gar nicht getrunken. Wenn man drei Wochen nicht getrunken hat, weiß man dann auch gar nicht, warum man am 22. Tag ein Bier trinken sollte. Außer man muss auf eine Party oder ein soziales Happening, dann geht’s ja nicht anders. Sonst darf man wie Benjamin von Stuckrad-Barre jeden Abend auf die ätzende Frage „Och, du trinkst nichts?“  antworten. Total anstrengend.

Der Trick liegt wahrscheinlich darin, den Leuten nicht zu erzählen, dass man nüchtern bleibt.

Das ist eine gute Idee. Aber mich nervt ja auch der Mangel an Alternativgetränken. In Phasen, in denen ich nicht trinke, weiß ich gar nicht, was ich zu mir nehmen soll, ohne noch mehr Zucker in mich hinein zu schütten. Man müsste sich eine Thermoskanne mit Tee mitbringen und sagen, man trinkt Grog. Oder Lumumba, Kakao mit Rum. Es ist eigentlich ziemlich sinnlos, rauszugehen und sich das ganze Gelaber und den Wahnsinn anzutun, ohne sich zu besaufen.

Dann lieber in die Brigitte StyleNotes? Da wird ja auch über dein neues Album berichtet.

Genau, raus aus dem geschmäcklerischen poptheoretischen Diskurs, rein in die Mittvierziger-Frauen-Szene. Das ist genau mein Ding, da will ich hin. Monokultur finde ich total öde. Ich würde mich freuen, mit ganz unterschiedlichen Leuten über die Platte zu sprechen. Das hatte ich auch so im Hinterkopf. Dass man die Musik verstehen können muss, ohne dass man sich großartig für elektronische Musik interessiert. Die Platte sollte sich auch so erschließen und im Bestfall sollte auch der Nerd noch mitbekommen, wie viel Liebe in den Sound-Feinheiten und -Ideen steckt. Ich habe das Album zum Großteil in Spanien aufgenommen. Da war ich von Leuten umgeben, die null Ahnung von elektronischer Musik hatten. Ich war der Weirdo-Nerd, der immer wieder erklären musste, dass er Musik macht, ja, aber kein Instrument spielt. Dann sagen die: „Ach so, Techno“.  Das klingt sehr hässlich. Und wenn man da in seiner Hütte sitzt und an Musik schraubt, ist klar, dass da nicht die versponnenste, separatistischste, ausgrenzendste Musik rauskommt. Man spricht ja mit einer imaginären Zielgruppe. Die beinhaltete bei mir dann eben auch den Tischler im Dorf. Und also gerne auch Brigitte-Leserinnen! Das ist doch toll, wenn die nicht nur Clueso oder Cafe del Mar hören. Und weil ich so Angst vor Pathos und Kitsch habe, kann ich auch diesen Pop-Appeal bringen ohne cheesy zu wirken. An dieser Grenze herum zu navigieren gefällt mir. Vielleicht werde ich aber auch einfach alt.

Diesen direkten, emotionalen Zugang gibt es ja auch in keiner anderen Kunstform als der Musik.

Das ist sogar empirisch belegbar. Man könnte die Wirkung von Musik praktisch in Laboren an Menschen testen. Dass sie sich bewegen, lachen müssen oder traurig werden. Wie ein unsichtbares, flüchtiges Gas, das man über dem Hörer auskippt. Vielleicht sind die Gase die Massen – oh, da haben wir auch schon die Überschrift! Diese Gase sind oft richtig schrecklich. Und darum haben wir auch so Angst vor Pop. Weil man das Schöne nicht für sich allein hat, sondern mit ganz vielen doofen Menschen teilen muss. Aber manchmal trifft es einen einfach!

Was hat dich denn zuletzt so getroffen?

Wenn ich ganz ehrlich bin, hat mich dieses „Video Games“  von Lana del Rey schon tief beeindruckt, als ich es mal im Auto gehört habe. Dass das so ein tierischer Welt-Hit war, habe ich erst später mitbekommen. Mir gefiel dieses Stevie-Nicks-mäßig Verrauchte und wie geil konsequent das Lied ist: Es gibt keinen Rhythmus, es ist so langsam und dann noch die Streicher. Nur warum das so ein Hit geworden ist, verstehe ich nicht. Es klingt so, als wäre es eine dieser Boxer-Hymnen. Etwas, das bei der Olympiade lief, oder das Lied aus „Wetten, dass..!?“ . Sonst verstehe ich gar nicht, wie so etwas zwischen dem ganzen Geballere im Radio laufen kann. Dieses „Du“  von Cro fand ich auch ganz gut, zumindest die Melodie. Auf Albumlänge würde mich das wahrscheinlich unterfordern, so harmlos wie das ist. Aber dass man mit dem einfachen Trick, mal nicht die ganze Zeit abzuhaten, den Schlüssel zu den Massen in den Händen hält, fand ich ganz sympathisch. Da haben ja alle drauf gewartet.

Das ist aber auch ein Ü30-Ding.

Ein totales Phänomen, oder? Phänomenal ist auf jeden Fall, dass man nur statt einem Minus ein Plus setzen muss und plötzlich eine ganz neue Welle entsteht. Außerdem finde ich sympathisch, wenn junge Leute lieb und nett und gut sind. Julius von Smallville zum Beispiel. Was für ein feiner Kerl, wie entspannt. Wir waren in diesem Alter so anstrengend. Voll aggressiv und nur auf Krawall und Competition gebürstet. Ich finde das toll an der jüngeren Generation, dass die einfach cooler und entspannter sind. Deutscher Rap muss ja gar nicht immer dieses „Deine Mutter”-Quatschgerede sein. Aber vielleicht heißt das auch einfach nur, dass heute alle total langweilig sind.

Das ist die Kehrseite der Medaille. Und für Leute unter 30 auch frustrierend.

Ja, dass Harmonie das einzige Feindbild bleibt. Ha, schon wieder eine Überschrift. Aber das ist ja nicht mein Problem, ich habe für die Feindbild-Szene schon genug abgeliefert. Ich möchte jetzt einfach ungestört meine Musik machen und nicht noch ständig gegen etwas kämpfen müssen. Da bin ich wahrscheinlich altersmilde geworden. Auf jeden Fall geben mir Feindbilder keinen Antrieb mehr. Ich glaube, man sollte sich eher auf das Gegenteil konzentrieren.

Das erklärt auch „Homesick“ , das Kings-of-Convenience-Cover mit Ada.

Das war ihre Idee, sie ist auch so harmoniesüchtig. Und gefühlsduselig, die alte Schnalle. Das ging ganz schnell. Eigentlich will ich ja nie so viel Text, so einen virtuosen Song. Es geht mir da eher darum, im oberen Spektrum noch etwas zu haben, ein Dach auf dem Haus. Sonst fühlen sich meine Lieder manchmal so nach Wüste an. Plus, es bringt auch mehr Spaß, wenn man nicht so ganz allein an Musik schraubt, sondern auch mal ein halbfertiges Lied zur Diskussion stellt und zusammen daran arbeitet. Zumindest solange ich die Kontrolle habe. Da eröffnet sich dann noch eine Vielzahl gestalterischer Möglichkeiten. Zum Glück sind meine Gäste auch so uneitel. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit Musikern zu arbeiten, die etwas dagegen haben, wenn man ihre Stimme mit einem Micky-Maus-Effekt verpitcht. Meine Gastmusiker vertrauen mir. Aber etwas einfach durch Effekte kaputt zu machen, finde ich öde. Ich möchte doch eher Schönheit darstellen! Darum ist das Album auch kein Peaktime-House: Ich bin immer entweder im Tour- oder im Musikmodus. Und wenn ich Mittwoch nach dem Auflegen Musik mache, kann ich nicht schon wieder Techno für die nächste Party machen. Das wäre so stumpfsinnig. Darum findet sich auf der Platte eine ganz andere Welt, in der die gerade Bassdrum und diese trackige Denke noch nachhallt. Aber der Wunsch, aus dieser Prügelhölle zu entkommen, dominiert.

Wo wir gerade bei Micky Maus sind: Abgesehen von diesem Vocal-Schnipsel in „Das Wort“ ist das Album ziemlich ernst.

Meine Musik ist nie albern. Ich reg mich jetzt schon richtig auf! Mich nervt es schnell, wenn man mich auf humoristische Sachen reduziert. Ich finde nichts schlimmer, als witzig sein zu müssen. Wenn man nicht gerade Helge Schneider oder Studio Braun ist, ist es super schwer, als Comedian seine Würde zu behalten. Das ist der absolute Horror. Ich würde lieber bei Rewe an der Kasse stehen, als Leute zum Lachen bringen zu müssen. Mich interessieren auch weniger Gags als Irritation und Verwirrung, Psychedelik und Störung.

Nennen wir es doch lieber „verspielt“  und nicht „albern“. Verspielt wie ein International-Pony-Wortwitz.

Das klingt schon viel besser. Albern klingt für mich immer ein bisschen abwertend. Auch wenn ich weiß, dass du es nicht so meinst. Aber ich habe wirklich das Gefühl, die Platte ist total humor- und ironiefrei. Auch das „Uh!“  in dem angesprochenen Stück mit Dirk von Lowtzow finde ich eher soulig. Wie so kleine Wesen, die in die Luft springen. Ironische Musik finde ich total trist. Da habe ich keine Zeit für. Man kann die Zeit ja auch nutzen, um einfach richtig gute, nachhaltige Musik zu spenden.

Und wie schafft man es, witzig zu sein und ernstgenommen zu werden?

Mit Hass. Die Brücke ist Strenge. Das glaube ich wirklich. Fällt mir auch gerade zum ersten Mal auf. Aber genau darum nimmt man auch Helge Schneider ernst. Weil er sich nicht zum Deppen machen lässt. Da schwebt, genau wie bei Jacques Palminger, im Publikum eine gewisse Angst mit. Dass man selbst von dem Pfeil getroffen wird, wenn man zu doll auf die Schenkel klopft. Aber ganz grundlegend muss man auch einfach seinen Output etwas regulieren. Humor ist bei mir eher ein Abfallprodukt, was hier und da eingewoben wird. Das ist für mich eigentlich die schönste Mischung. Wenn ich nicht so viel Liebe und Passion in meine Musik stecken würde, nähme man mich vielleicht auch nicht ernst. Aber wenn man zuhört, merkt man ja, worum es geht.