»The Life Naija«

»The Life
Ghanatic«
Tagebuch

23.10.

Der lustige Haufen fällt mir auf, weil einer von ihnen Dave Eggers‘ Porträt von Chimamanda Ngozi Adichie aus dem aktuellen T Magazine liest. Er ist es auch, der mich an ihren Tisch auf der Terrasse einlädt. Eghosa Imasuen hat in Lagos jahrelang als Arzt gearbeitet, Sabata-mpho Mokae lehrt an einer südafrikanischen Universität Kreatives Schreiben und Niq Mhlongo schaut im Auftrag desselben Staates in Kapstadt vier Mal wöchentlich Filme und bewertet sie hinsichtlich ihrer Altersfreigabe. Bei Pornos, erzählt er, gibt er in Absprache mit seinen Kolleginnen an, welche Körperöffnungen penetriert werden und ob damit zum Beispiel eine Herabwürdigung von Frauen vorliegt.

Zum Literaturfestival wurden die drei aber als die Schriftsteller eingeladen, die sie auch sind. Nachdem geklärt ist, warum in Nigeria keine Raubüberfälle mehr stattfinden, sondern man sich auf Kidnappings verlegt hat (so gut wie alles wird mittlerweile per Kreditkarte bezahlt, Bargeldverkehr gibt es praktisch nicht mehr, deswegen wird der Kopf der Familie zum Geldabheben geschickt, während die Entführer mit den anderen Familienmitgliedern im Haus warten) und die Japaner Südafrikas neuerdings genauso als Schwarze gelten wollen, wie die alteingesessenen Chinesen es schon seit Jahren tun (um von den Gesetzen für die Apartheitssopfer zu profitieren), wird diskutiert, ob sich über kurz oder lang Pidgin als die dominierende Sprache in Afrika durchsetzen wird. Nicht ganz unwahrscheinlich. Pidgin hat fast keine Regeln, ist dafür ultraknapp und noch wendiger als das amerikanische Englisch: bellefull ersetzt den Satz My belly is full, das relativ neue dumsor meint das ständige On-off der Stromversorgung.

Während seiner Lesung sagt Eghosa: »Vor Chimamanda gab es nur die Bücher, die wir selbst in der Schule lasen und die nichts mit uns zu tun hatten. Sie hat uns die Erlaubnis gegeben, zu schreiben«.

22.10.

Hallo

Hallo, sage ich und schaue wieder auf mein Handy. Dann wie immer: Geht gut, dankeDeutschland. Dann das beliebte Städte-Ratespiel: Meist fragen sie: Stuttgart? München? Hamburg?  Bonn, das wird Joachim freuen zu hören, wird auch gern genommen. Berlin nie. 

Frankfurt?, fragt er.

Berlin, sage ich und schaue wieder auf mein Handy. Er erzählt dann etwas unvermittelt, dass er gerade aus Ruanda käme und dass sein Vater vor vier Tagen gestorben sei. Ich kucke ihn ein paar Sekunden lang verwirrt an, bevor mir einfällt:

Das tut mir leid. Er nickt, so als wäre er zufrieden mit der Antwort. Ob er sich zu mir an den Tisch setzen dürfe.

Hm, ich würde hier gern ein paar Mails beantworten.

Ich kann auch mit dir reden, während du Mails beantwortest.

Ich glaube, du sitzt ganz gut da

Die Sache ist die: Mein Vater hat mir eine große Summe Geld vererbt und ich will es anlegen, in Deutschland. Er spricht undeutlich. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil es so viele abstruse Informationen auf einmal sind. Ich suche jemanden, mit dem ich in dieser Sache zusammenarbeiten kann.

Dankeaber ich bin an dieser Art Geschäft nicht interessiert. Schon nicht schlecht: Frankfurt verweist in Richtung Geld, Ruanda auf unsichere Verhältnisse, die man ändern muss, der Vater bringt ein vertrauenswürdiges Element hinein. Er versucht es noch einmal, wieder murmelnd, mit den gleichen Stichworten: Geld, Investment, Deutschland. Als ich erneut ablehne, steht er auf und sagt leichthin:

Okay, man sieht sich!

- Cool, bye!

Analog-Scam-Spam. Viel unterhaltsamer als so eine E-Mail im Posteingang.

21.10.

Der Ventilator verteilt den Geruch von verbranntem Plastik im Zimmer. Irgendwo glimmt immer ein Feuer, nur im besten Fall brennt Papier. Auf dem unbefestigten, buckligen Weg entlang Richtung Hauptstraße, vorbei an der Schule. Sie heißt Royal Heritage, da unterscheidet sich Accra durch nichts von, sagen wir, New York: Schulnamen sind aspirational: Little Angels Academy, The Coming King Nursery, Model Leaders School, Obama College. Nach fast drei Wochen haben die Schulkinder aufgehört, mir »Obruni, obruni!« hinterherzurufen. Sehr kleine Kinder bringt mein Anblick manchmal zum Weinen. Ich sehe halt aus wie ein Geist.

Aus der Fahrradwerkstatt mit dem verrosteten, sorgfältig angeketteten Haufen Rahmen dröhnt I Like To Move It, was mir sofort sehr gute Laune macht. Im Käfig vor dem Gemischtwarenlädchen hockt jeden Tag eine andere Anzahl von weißen Hühnchen, heute sind es drei, am Abend werden es immer noch drei sein. Trotro anhalten, einsteigen, vorbei an dem Laden namens Keks; an dem Platz, der Area Mama K heißt und auf dem am Wochenende auf Bänken unter palmwedelgedeckten Pavillons Palmwein mit Guiness serviert wird. Unter einem bunt bemalten und mit Bush Taxi Union beschriebenen Holzdach liegen die Taxifahrer und warten auf Kundschaft. Kurz vor der Brücke, die über die Lagune führt, kündigt ein Riesenplakat immer noch den African Business & Kingdom Leadership Summit im September an. Auf einem Streifen zwischen Straße und Meer steht eine 17-stöckige Bauruine, Teil dessen, was mal die Labadi Beach Towers werden sollten, eine Wohnanlage mit Penthouses und Concierge. Ein paar Wohnungen waren angeblich schon verkauft. Ich glaube, das wird nichts mehr.

An der Ampel verkaufen Frauen aus den Trögen auf ihren Köpfen heraus die hiesige Standard-Darreichungsform von Wasser: chemisch gereinigt, in blau und rot bedruckten Halbliterplastiktüten für umgerechnet vier Cent das Stück. Die kompakte Verpackung hat den Vorteil, dass man sie einhändig öffnen und trinken kann, indem man eine Ecke mit den Zähnen abreißt und den Inhalt aussaugt. Praktisch beim Auto- oder Fahrradfahren oder, denke ich immer, für Janne, die, seit der kleine Vampir auf der Welt ist, auch nur noch höchstens eine Hand frei hat. Vielleicht bringe ich ihr eine 30er-Packung mit. Meine Forschungen haben ergeben, dass das aspirational benannte Voltic und die Sorte Cool Pac besser schmecken als das papierne Ice Drop. Ice Beck mit dem Delphin-Logo geht aber auch.

19.10.

Kurz nach meinem Besuch beim Fantasy-Sargbauer in Teshie, er hieß Reginald und lächelte die ganze Zeit, entweder weil er mich und meine ganzen Fragen (»Welche Gestalt hatte der komplizierteste Sarg, den Sie je gebaut haben?« – »Eine Schlange, für die Königin eines Stammes«. »Können Sie Särge in jeder Form herstellen?« – »In jeder Form« ) wunderlich fand oder aus Schüchternheit, gerate ich unversehens mitten in einen Trauergesellschaft. Mehr als hundert Menschen in traditionellen Kleidern, alle weiß mit feinen schwarzen Mustern, die Frauen mit weißem Kopfputz, laufen einem von sechs Männern eiernd und in erstaunlichem Tempo quer über die Straße getragenen quaderförmigen Sarg hinterher. Vorne singen und trommeln sie, einer gießt aus einer Flasche kleine Mengen Schnapps auf die Straße, die meisten Teilnehmer am Schwanzende der Prozession sind recht ausgelassener Stimmung und unterhalten sich im Gehen miteinander, während sie mit den Augen dem Sarg folgen. Nur zwei Frau weinen, schütteln ihre Körper in Verzweiflung und schlagen sich Taschentücher vors Gesicht – mutmaßlich die allernächsten Angehörigen. Es ist früher Nachmittag, aber der sonst unerbittliche Verkehr auf der La Road steht kurz still. Für einen Moment hupt mal niemand, dabei hupt sonst immer wer.

17.10.

Was überall gleich ist:

Beschwerden über Benzinpreise (auch in einem Ölland wie Ghana, wo der Liter umgerechnet keine 70 Cent kostet)

Beschwerden von Expats über Einheimische (»Der Ghanaer an sich ist rassistisch«, sagt U. Dass das eine rassistische Aussage ist, bleibt von ihr selbst unbemerkt.)

Beyoncé

***

Während ein Pfau ja schreit wie ein Frau, die man an ein Bahngleis gekettet hat, klingen Ziegen einfach nur wie Menschen, die sich über Ziegen lustig machen.

***

Marcel Odenbach und Carsten Höller erzählten mal, dass es in ihrem Cliffhanger-Betonhaus in Biriwa unmöglich sei, Bücher aufzubewahren, weil der Schimmel innerhalb kürzester Zeit alles befiele. Meinen Büchern geht es hervorragend, aber alle zwei Tage vergammelt mir ein Brot. Auch schlimm.

16.10.

Den halben Tag mit Naomi Uno gespielt, Memory und Scrabble. Abends schauen wir ihren Lieblingsfilm, eine aktualisierte Version von Bodyguard. Als ich dann einen aussuchen soll, stelle ich fest, dass meine beiden Lieblingsfilme eher schwer vermittelbar sind: Badlands: zu gewalttätig. Paul und Paula: zu fremd. Vor gut einem Jahr hatte ich F. Paul und Paula gezeigt und damals noch einmal ganz anders gesehen, durch seine Augen, die in dem Film, den ich so liebe, wiederum mich sahen und die Welt, in der ich aufwuchs.

Wir schauen dann Pretty in Pink und ich versuche mich zu erinnern, wie ich als Zwölf-, fast Dreizehnjährige war. Was ich noch genau weiß, ist, dass ich das, was die Erwachsenen über die Pubertät erzählten, für eine fiese Verleumdungskampagne gegenüber Jugendlichen hielt. Da war doch nichts. Aber ich fand ja auch, dass dieses knallsüße Vanille-Deo, mit dem wir uns einsprühten, gut roch.

Es war die Zeit des Spiels, das wir Wegdrücken nannten. Der Werken-Raum im Keller der Schule war unübersichtlich und der Lehrer beschäftigt genug, dass drei Mädchen wir für eine Weile unbeobachtet in irgendeiner Ecke verschwinden konnten. Es brauchte drei: eine, die erst ein paar sehr tiefe Atemzüge nahn, sich dann aufrecht mit dem Rücken an eine Wand stellte und die Augen schloss. Eine andere, die der ersten mit ineinander verschränkten Händen entschieden auf den Brustkorb drückte, und diese in eine kitzelnde Ohnmacht fiel. Damit die Ohnmächtige eben nicht fiel, sondern gestützt werden konnte, sollte sie wegrutschen, brauchte es die Dritte. Das Ganze dauerte immer nur ein paar Sekunden, es war immer herrlich. Legal Highs.

Ich wüsste gern, woher das Spiel damals kam. Eben nicht aus dem Internet, soviel ist sicher. Aus einem Buch doch aber auch nicht. Als ich es einmal gegenüber Trevor erwähnte, sagte er, in Kanada hätten sie es damals auch gespielt. Bei ihnen hieß es The Choking Game. Seitdem stelle ich mir vor, dass es sich unter Dreizehnjährigen weiterverbreitete wie ein geflüstertes Wort bei Stille Post.

14.10.

Um 5.20 Uhr vom inbrünstigen Morgengesang der Catholic Jubilee Boys School geweckt worden, fast geheult.

Am Morgen zuvor hatte ich am Markt einer der klapprigen Fords bestiegen und die halbe Stunde, bis er voll war und abfuhr, den umherlaufenden Händlern zugeschaut: dem mit den Parfüm-Flakons, dem mit den Fake-Fur-Badelatschen, dem mit den Schmerztabletten, die Ibuglo heißen; dem mit den Taschenbüchern von Donald Trump und Ben Carson; dem, der eine zugeknöpfte und umgedrehte Jeansjacke zur Tasche gemacht hat, aus der heraus er Jeansjacken verkauft; der Frau, die zwei Dutzend rosafarbene Styroporbehälter mit Mittagessen auf dem Kopf trägt; der Frau, die eine Pyramide aus Eiern mit Salzkruste auf dem Kopf trägt. Kauft man eins, pellt sie es und gibt scharfe Soße und ein wenig kleingeschnittene Zwiebel darauf. Dass Eier sich hervorragend als Wegzehrung eignen, weiß man ja aus den Zügen der Deutschen Bahn. Einer mit einem antik aussehenden Buch hält die rechte Hand eines zweiten Mannes. Der erste betet eine Zeile hinuntern, der zweite spricht sie mit geschlossenen Augen leise lächelnd nach.

Hat man den urban sprawl Accras einmal hinter sich gelassen, ist es vor allem grün: Bananen, Bambus, Palmen. Dazwischen Dörfer, darin: Penecostal Church, Seven Day Adventists, New Apostolic Church, Muslim Mosque, Mega Church, Presbyterian Church, Methodist Church, Anglican Church. Der Mann neben mir auf der hintersten Bank hat abwechselnd mit seinen beiden Handys (und auf einem davon whatsappend mit seiner Geliebten, Irene) zu tun und mit einem Stapel Geschäftsbücher, auf deren oberen Schnitt er mit blauem Marker NIXON schreibt. Das Radio spielt gefällige Uptempo-Nummern, ich verstehe nur »Jesus«, »Lord« und »Africa«. Ist mir lieber als Reggae, der hier auch viel läuft. Ingo wollte immer nach Jamaica, aber ich konnte nicht, wegen Reggae.

Cape Coast war mal Hauptstadt und steht voller von der Salzluft angefressener viktorianischer Wohnhäuser mit fleckigen pastellfarbenen Fassaden. Einer der Steinlöwen vor dem Kumasi House ist umgekippt. Im Mighty Victory Hotel mit seinen blassgelb und altrosa lackierten Wänden, dem Neonlicht und den eiernden Deckenventilatoren muss es in den Siebzigern exakt so ausgesehen haben wie heute. Bis auf das staubige Office-97-Handbuch unter dem Fernseher in der Lobby, auf dem außer einem Lokalsender nichts läuft. Ein älteres Paar verlässt sein Zimmer, grüßt sehr freundlich. Sie trägt ein enges buntes Kleid, er ein flatterndes schwarzes Stehkragenhemd, eine Hose aus demselben Stoff, auf dem Kopf eine Samt-Kufi, in die kleine Spiegel eingenäht sind. In der Hand einen massiven geschnitzten Stab aus Ebenholz.

Vom Hotelbesitzer erfahre ich, dass das, was ich für eine ausgelassene Feier mit lautem Gesang gehalten habe, der Abend-Gottesdienst ist.

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