Die Barbie-Feministinnen
Vor drei Wochen fuhr ich nach Friedrichshain, um dort zwei Sessel einzusammeln, die ich auf eBay ersteigert hatte. Eine Frau, ungefähr so alt wie ich, öffnete die Tür zu ihrer ziemlich, nun ja, unaufgeräumten Wohnung, während sich ihr kleines Kind hinter ihren Beinen versteckte. Charlotte war Anfang der Nullerjahre aus Baden-Württemberg nach Berlin gezogen und so, als bekäme sie selten Besuch, begann sie von ihrem Leben zu erzählen. Sie hatte ein bisschen Afrikanistik studiert, weil ihr erster Freund aus dem Senegal stammte und nachdem die Beziehung zu Ende war, brach sie das Studium ab, um daraufhin alle zwei Jahre das Fach zu wechseln. Nun stand sie kurz vor ihrem ersten Abschluss in Grafikdesign.
In allen Einzelheiten beschrieb sie ihren harten Alltag: Die Professoren behandelten sie nicht gleichberechtigt; die affektierten Kommilitoninnen waren alle anorektisch und den Vater ihrer Tochter hatte sie aus der Wohnung werfen müssen, weil der nicht aufräumen wollte. Dieses chauvinistische Arschloch. Dabei fehlte es Charlotte doch selbst ein wenig an Ordnungssinn. Sie fand, ihr Leben war das Ergebnis der Jahrtausende alten männlichen Vorherrschaft. Sie wohnt ja auch in einem Mietshaus, das ihrem Vater gehörte. Dass ihr Exmann, ein Schriftsteller, sie finanziell nicht unterstützen könne und dass sie deswegen arbeiten müsse, sich um ihr Kind kümmern und nicht mehr frei war, sah sie als Beweis für die fundamentale Unterdrückung der Frau in unserer heutigen Gesellschaft.
Charlottes Sicht auf die Welt ist mir fremd. Auch wenn sie mich an viele westdeutsche Frauen erinnert, die ich kenne. Sie halten sich für Vorzeigefeministinnen und führen dennoch Debatten, die mich an die achtziger Jahre erinnern. Ich nenne sie Barbie-Feministinnen: außen Feministin, innen Barbie. Meine Sozialisation ist anders als ihre. Ich komme aus Ost-Berlin, einer Realität, in der Dreiviertel aller Mütter Vollzeit arbeiten. Aus Ostdeutschland, in der der sogenannte Pay Gap zwischen Mann und Frau gerade einmal acht Prozent beträgt. Auch, wenn seit dem Mauerfall mittlerweile 25 Jahre vergangen sind, gibt es noch immer viele offensichtliche Unterschiede. Verständlich. Schließlich ist die Realität ostdeutscher und westdeutscher Frauen nach wie vor nicht gleich.
Doch die Diskussionen hierzulande blenden das vollständig aus. So als hätte es nie etwas anderes gegeben als die Erfahrung, in einem Reihenhaus in der Vorstadt aufzuwachsen, wo der Vater als Alleinverdiener seine Frau und die drei Kinder unterstützt, die in einem gesunden Abstand von zwei Jahren aus der Gebärmutter gepresst wurden. Aber da gab es etwas anderes! Es gab ein Land, in dem die Gleichstellung von Mann und Frau ernsthaft gelebt wurde. Aus diesem Land komme ich und die aktuellen Debatten, die sich mit Kindererziehung oder Sexismus beschäftigen, rufen in mir ein tiefes Unwohlsein hervor.
Ein neuer Typus Frau
Warum? Weil sie Fragen aufwerfen und Rechte diskutieren, die in meiner Welt längst beantwortet und ausgehandelt sind. Sie kämpfen einen Kampf, den ich als gewonnen betrachte. Viele weibliche Heroinen haben diesen Kampf um Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung für Charlotte und alle anderen Frauen dieser Welt gekämpft. Dass diese errungenen Rechte nicht als selbstverständlich gelebt werden können, ist das eigentliche Problem. Dabei wird einem völlig unmächtigen Gegner Macht verliehen, die ihm doch eigentlich schon längst entzogen wurde.
Für mich steht Charlotte für einen neuen Typus Frau, der zwar glaubt, in die Fußstapfen Alice Schwarzers zu treten, dabei aber scheinbar völlig unwissend dem eigentlich verhassten Patriarchat zuarbeitet. Mit einem lilafarbenen Emma-T-Shirt bekleidet, polemisieren diese Frauen wild im konservativen Feuilleton herum und behaupten so Unglaubliches, wie, dass Familie und Beruf, Kinder und Karriere nicht zu vereinbaren seien, anstatt es einfach zu tun.
Zum Beispiel Antonia Baum. In einem in der FAS erschienenen Artikel erörtert sie, warum sie weder Vollzeitmutti noch Karrierefrau werden kann: „Ich sehe die Frauen, die Kinder und Karriere unter den sogenannten einen Hut zu bekommen versuchen: ihre müde Haut und der darauf abgedruckte Terminkalender. Ich sehe das und möchte in die „Komfort-Zone“ desertieren, … wenngleich der Wille zum Flüchten ein Wunsch bleibt, denn irgendwoher muss ja das bescheuerte Geld kommen, und irgendwie muss man sich ja erhalten.“ Oder Silke Burmester, die in einem Text mit der kämpferischen Überschrift „Frauen vereinigt euch!“ schreibt: „Als Journalistin Karriere zu machen, ist ganz einfach: Man darf keine Kinder bekommen. Jedenfalls nicht solche, um die man sich zu kümmern braucht.“ Wenn ich das lese, habe ich das Gefühl, Antonia Baum und Silke Burmester stehen sich vor allem selbst im Weg.
Weil man als moderne Frau heute feministisch zu sein hat, wird alles, was in Wirklichkeit nichts anderes als die Denkfehler der westdeutschen Sozialisation sind, als moderner Feminismus verkauft. Bei genauerer Betrachtung erkennt man allerdings, dass patriarchalische Denkmuster sehr stark verinnerlicht wurden. Ähnliches gilt für Kristina Schröder, die ihr Amt als Familienministerin nicht mehr weiterführen wollte, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Für ihre Nachfolgerin Manuela Schwesig ist Mutter und Ministerin zu sein kein Problem. Ihr Mann arbeitet zu Hause in Schwerin halbtags und kümmert sich um das Kind. Schwesig ist eine von vielen Frauen, die ohne müde Haut Beruf und Familie vereinbaren können; die nicht arbeiten gehen, um sich teure Sache zu kaufen, sondern weil sie lieben, was sie tun. Sie sind Mutter, Business-Frau und Partnerin. Und dieses Zusammenspiel macht sie überhaupt erst glücklich und vollkommen.
Unemanzipiertes Geplänkel
Alles, was aktuell unter dem Deckmantel einer Feminismusdebatte erörtert wird, ist für mich unemanzipiertes Geplänkel. Dazu gehört zum Beispiel auch das #Aufschrei-Spektakel. Ich hätte Herrn Brüderle eine Äußerung zu meinen Brüsten durchaus zugestanden. Ich hätte ihm liebevoll über sein lichtes Haupthaar gestreichelt und freundlich gesagt: „So wird das doch nichts, Schnuppi!“
Ich sehe mich als Subjekt. Und dazu gehören ein Leib und eine Seele. Wer mein Äußeres begutachtet, entwertet nicht im selben Moment mein Inneres. Wer sich aber selbst als Objekt begreift, der erlebt jede Äußerung bezüglich der eigenen Körperlichkeit selbstverständlich als Beweis für das Fehlen einer Seele. Die vermeintliche Reduktion beginnt im eigenen Kopf. Ein Subjekt weiß um die Komplexität des eigenen Seins. Ein Subjekt hätte in dem berühmten #Aufschrei-Augenblick lediglich den tumben Versuch einer Annäherung von einem jenseits der Midlife-Crisis stehenden Mann erkannt.
Ich komme aus einem Land, in dem die Frau ein weitaus größeres Recht auf Selbstbestimmung hatte. Während die Anti-Babypille, die wie kein anderes Medikament für die sexuelle Freiheit der Frau steht, 1956 in der DDR kostenlos verteilt wurde, ließ die Vermarktung in Westdeutschland noch weitere fünf Jahre auf sich warten. Dazu kommt, dass Ost-Frauen durch ihre Erwerbstätigkeit nicht vom Mann abhängig waren. Eine alleinerziehende Mutter – ob das nun eine ideale Situation ist, sei dahin gestellt – konnte sich selbst und ihr Kind ernähren.
Bis heute arbeiten in Westdeutschland nur 24 Prozent aller Mütter Vollzeit. Das heißt, 76 Prozent sind weiterhin von einem Mann abhängig! Diese fehlende Autonomie kreiert ein extrem ungesundes Machtverhältnis. Eine Frau ordnet sich darin nicht unter, sie droht auch, wenn die Beziehung bröckelt, aus ihrem Sicherheitsnetz zu fallen. Sexuelle Selbstbestimmung oder ein freier Wille müssen so auf der Strecke bleiben.
In die Rolle des Täters
Jahrhundertelang wurde die weibliche Sexualität entwertet und unterdrückt. Die Antwort auf die Unterdrückung ist nicht, du darfst mich nicht begehren, sondern: Auch ich begehre im gleichen Maße wie du! Auch ich habe Wünsche und Bedürfnisse, die ich aufgrund meiner Unabhängigkeit äußern kann. Genau dann würde sich theoretisch das Moment der Gleichstellung offenbaren. Das Gegenteil aber ist der Fall: Die moderne Feministin begibt sich häufig in die Rolle des Täters und tut dem Mann das an, was ihr widerfahren ist. Das patriarchalische Verbot, weibliche Lust zu leben, wird nun in ein matriarchalisches Verbot, männliche Lust zu leben, umgewandelt. Der Aufschrei lautet: Ich bin kein sexuelles Wesen, und du darfst es auch nicht sein!
Ich verstehe das Dilemma, in dem sich so viele Frauen aus Westdeutschland befinden. Ich möchte aber nicht, dass dieses Dilemma zum Status quo erklärt wird. Ähnliches gilt für Äußerungen von Männern, die sexuell befreite Frauen als Schlampen oder Huren bezeichnen. Die Erkenntnis, dass solche Äußerungen lediglich das Fehlen des Intellekts widerspiegeln, scheint nach wie vor nicht etabliert. Wer auf solche Bemerkungen ernsthaft eingeht und zum gemeinschaftlichen Kampf aufruft, der lässt zu, dass längst manifestierte Wahrheiten erneut zur Diskussion stehen dürfen. Eine Frau, die sich selbst nicht als Schlampe empfindet, weil sie eine befreite Sexualität lebt, muss sich auch nicht rechtfertigen. Eine solche Frau lebt selbstverständlich, was längst selbstverständlich sein sollte.
Die Barbie-Feministinnen unterwandern ein eigentlich fortschrittliches System. Der Feind sitzt in ihnen selbst und davor habe ich mehr Angst, als vor einem trotteligen Chef, der mir auf den Hintern starrt. Dieser Mann ist nicht mein Feind. Keiner behandelt mich als Mensch zweiter Klasse, keiner zahlt mir weniger, keiner lässt mich mit meinem Kind allein und fordert, dass ich auch noch das Geschirr in die Spülmaschine stelle. Weil ich den anderen nicht als Mensch zweiter Klasse begegne. Und wenn es mir doch irgendwann einmal passieren sollte, dann antworte ich ihnen mit einem lauten Schweigen. Dieses Schweigen lässt das Gesagte unbeantwortet. Ohne Antwort gibt es keine Anerkennung. Das Gesagte verliert sich bedeutungslos im Raum.
Zufällig vor ein paar Tagen versuchte mich ein Malermeister in seinem Fiat Punto am Kottbusser Tor zu überholen und fuhr dabei in meinen linken Kotflügel. Als die Polizei kam, fuchtelte der Mann aufgeregt herum und behauptete, dass ich mich aufgrund meiner unsicheren Fahrweise, die möglicherweise mit meinem Frausein zu tun hat, zwischen zwei Fahrstreifen bewegt hatte und die Schuld des Unfalls bei mir zu suchen sei. Die Barbie-Feministin hätte in diesem Moment eine Spraydose aus ihrem Kofferraum gezerrt und #Aufschrei auf den Kleinwagen gesprüht.
Ich konnte in diesem Mann kein chauvinistisches Schwein erkennen. Alles, was ich sah, war pure Verzweiflung, während ich an meinem alten Porsche lehnte, den mir weder mein Vater vererbt, noch ein Geliebter geschenkt hatte. Ich verdiene nicht nur mehr als der Fiat-Fahrer, habe auch einen höheren Bildungsgrad und werde ihn mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit überleben, obwohl er jünger ist als ich. Das ist meine Realität. Und es ist die Realität sehr vieler Frauen, die längst emanzipiert leben.