Flirt

Feuilleton
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„Ich sitze zum ersten Male mit einem Dichter“, sagte sie und erschauerte gleichsam innerlich.

Er sagte: „Wunderbare Hände haben Sie, Fräulein ––.“

Sie fühlte: „Ein wirklicher Dichter ––!“

Dann sagte er: „Sie sind bleich; wie ermüdet. Sie dürfen sich morgens nie, nie, nie aus dem Schlafe wecken lassen. Wer weckt Sie denn?!“

„Die Mama.“

„Der Schlaf ist das wirkliche, vielleicht das einzige Gnadengeschenk der sonst harten und unerbittlichen Natur!“

Sie fühlte: „Wie er sich ausdrückt! Ein wirklicher Dichter!“

Dann sagte er: „Ich möchte, wie Jesus Christus für die allgemeinen Dinge, wie der Herr von Egydi, Liebknecht und Tolstoi für anderes, ein Prediger sein nur für die Heiligkeit des Schlafes! Der exaltierte Verkündiger des heilgen Rechtes der menschlichen Organisation auf ausgiebigen, von selbst endenden Schlaf! Wehe dir, Verbrecher, Mörder, Vernichter, der du einen schlafenden Menschen, einen, den die Natur zu heilen, zu erlösen sich anschickt, weckest und dieselbe so in ihren heiligen Plänen störest, contrecarrierst!

Eine Mutter, die ihre Tochter aus dem Schlafe weckt, ist keine Mutter!

Eines soll euch heilig sein, die Natur an ihrer geheimnisvollen Arbeit, dem erschöpften Organismus das wieder zu spenden, was die unerbittliche Tages-Schlacht ihm entrissen! Amen.“

Die junge Dame fühlte: „Ein Prophet, ein Fanatiker –– schade!“

Später sagte er: „Frau!? Wer verdiente denn diesen Ehrentitel?!? Wenn ich ein Mädchen fragte, welche Sorte Reis die edelste wäre, sie verstummte, wüsste es nicht zu sagen! Eine Dame sagte zu mir einmal: ‚Sie, mein Herr, wir haben immer den feinsten Reis, nicht, Karl?! No, das wäre nicht übel, was glauben Sie denn eigentlich?!?‘ Aber sie hatte keine Ahnung, worin sich der ‚feinste Reis‘ unterschiede!“

Die junge Dame fühlte: „Ein Koch –– schade!“

Dann sagte sie: „Nun, worin unterscheidet er sich?!?“

Er: „Jedes Reis-Korn muss vollkommen durchscheinend sein, wie edler Alabaster, ohne matte Stellen oder trübe. Es muss beim Kochen ganz weich und dennoch in voller Form bleiben, als wäre es noch hart und ungekocht! Fest und zart zugleich. Wie edle Menschen.“

Sie sagte ganz traurig: „Muss denn wirklich eine ‚Frau‘ nur Reis verstehen können?!?“

„Nein“, sagte er. „Aber Reis, eines der edelsten, zartesten, leichtverdaulichsten Nahrungsmittel, Wärme-Quelle für Lebens-Kälte, repräsentiert gleichsam die heilige Welt der Ersatz-Mittel für die verlorenen Kräfte! Dem Manne zu seiner Kraft, zu seiner Größe, zu seinen Gluten, zu seinem Höchst-Funktionieren verhelfen, verhelfen wollen, verhelfen können, heißt „Frau“ sein! Eine wirkliche Frau!“

Die junge Dame fühlte: „Das verstehe ich gar nicht. Ein Narr –– schade!“

Dann sprachen sie noch über die Zitronen-Presse aus Glas, das „Ei des Columbus“, wie er es nannte. Das heißt, er sprach, und sie gähnte innerlich, verständnisvoll und teilnehmend. „Wenn man bedenke, in früheren Zeiten, schrecklich. Den Daumen-Krampf konnte man bekommen, und der halbe Saft blieb in der Zitrone sitzen, und die unnötigen Kerne waren im Glase. Jetzt aber, mit der gläsernen Zitronen-Presse für 50 Heller, der Saft rinnt dir wie ein klares Bächlein in die untere Rinne, während die unnötigen Kerne in der oberen Rinne liegen. Die Schale selbst aber ist innen trocken wie die Wüste Gobi. Jetzt erst könnte ein Wucherer und eine Kokotte sagen: ‚Ich habe ihn ausgepresst wie eine Zitrone!‘“

Die Freundinnen beneideten das junge Mädchen schrecklich, dass der Dichter sich mit ihr so lange und so eindringlich abseits unterhielte.

Die eine sagte: „Worüber könnten sie sprechen?! Ich habe keine Ahnung.“

Die andere: „Nun, über Maeterlinck oder höchstens noch über Ibsen.“

Die dritte sagte: „Über die Liebe!“

Die vierte: „Über den Ehebruch natürlich.“

Die Jüngste aber dachte: „Ist es nicht einerlei, worüber man mit einem Dichter spräche –– man spricht mit einem Dichter!“

Grömitz. Ostsee. Strandpromenade. Verkaufsbuden. Musikkapelle. Er setzte sich gegenüber von einem kleinen Eisstand auf eine Mauer und sah dem Eisverkauf zu. Die Verkäuferin gefiel ihm. Er stellte sich vor, wie das ist, den ganzen Tag Kugeln zu formen, in Eistüten zu drücken. Eine jüngere Frau setzte sich neben ihn und stellte ihre Tasche zwischen sie. Ihr rechter Unterarm war verbunden. Er überlegte noch, wie er sie ansprechen könnte, als sie aufstand, zum Eisstand ging und sich mit der Verkäuferin unterhielt. Sie sah aus wie eine Tramperin, schien sich aber hier auszukennen. Ihre Tasche stand noch neben ihm. Frauen lassen nie ihre Taschen zurück. Dann setzte sie sich wieder auf die Mauer. „Kennst Du die Verkäuferin?“ – „Es ist meine Kollegin. Ich bin krankgeschrieben, da ich mir bei der Arbeit eine Sehnenscheidenentzündung geholt habe.“ Sie trug weite graue Hosen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Würde so gerne nach Bremen fahren, aber das letzte Mal waren so viele Leute da, da habe ich gestört.“ „Ich könnte Dich bis Lübeck im Auto mitnehmen.“ „Können wir uns in zwei Stunden treffen? Ich muß noch packen.“ Sie kennt ihn doch gar nicht. Im Auto: „Warum bist Du aufgestanden und hast Deine Tasche neben mir stehengelassen?“ „Ich konnte das Schweigen nicht mehr ertragen.“

In Lübeck war noch Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Sie bummelten durch die Stadt. Eine Rosenverkäuferin verkaufte ihnen ihre letzten 60, etwas aufgeblühten Rosen für 6 Mark. Sie blieben bei einem Mann stehen, der auf einer Leier spielte. Sie warf ihm eine Rose in den Hut, ein anderer Passant daraufhin einen Apfel. Sie schien mit dem großen Rosenstrauch über den Bürgersteig zu schweben. Immer wieder sahen Passanten hinter ihnen her. Er nahm sie in den Arm und sie tanzten, kletterten am Holstentor über das Geländer und liefen über den Rasen. Hinunter. So tief war es gesunken. Ihm fiel ein Buchtitel ein, den er in einem Schaufenster gelesen hatte: „Versuch, das Holstentor im Geiste etwas anzuheben“.

Es wurde Zeit für den Zug nach Bremen. Als sie vor dem Zug standen, fing es an zu regnen. Vom Dach der Waggons platschte es auf den Bahnsteig. Er wollte sie küssen, sie drehte sich um und stieg ein.

Im Auto drehte er die Musik auf.