Zwei alte Damen und ein Wagenheber
Über spontane Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft auf dem Lande haben Reisende von Fahrten durch Länder des Balkans, durch Australien oder abgelegene Gegenden der USA schon vor Jahrzehnten Erfreuliches zu berichten gewusst. So auch Aleaxandre Dumas, als er 1858 durch Russland reiste. Seltener hört man dergleichen aus dichter besiedelten Regionen der „Alten Welt“. Reifenpanne am Straßenrand? Hilf dir selbst oder warte auf den Pannendienst (allenfalls tragen hübsche junge Frauen mit der Gestik absoluter Unbeholfenheit zur Verfälschung der eher traurigen Statistik spontaner Hilfsbereitschaft bei).
Wenn Ausnahmen die berühmten Regeln bestätigen, dann finden diese meist in England statt, und dies keineswegs nur im Falle einer Autopanne. „Can I help you, Sir?“ habe ich zu häufig gehört als dass dies Zufälle gewesen sein könnten. Eine geradezu klassische weil typische Begebenheit trug sich kürzlich auf einer Landstraße in der Region Gloucester zu.
An meinem Wagen älteren Baujahrs hatte der rechte hintere Reifen seinen Geist aufgegeben. Links ran, Wagenheber raus. Und siehe da: das von mir noch nie benutzte elende Ding erwies sich als gar nicht zu meinem Zweithand-Auto gehörend. Mit ihm ließ sich der Wagen nicht genügend hoch bocken, um das Rad von der Nabe ziehen zu können. Und keine Ziegelsteine, keine Bohle in Sicht, die man hätte unterschieben können.
Lunch time war’s, keine weiteren Autos unterwegs, viele Meilen bis zur nächsten Ortschaft. Prost Mahlzeit.
Dann naht aber doch ein Fahrzeug: ein kleiner Austin Baujahr etwa 1950. Hält neben mir an, die Scheibe wird runtergekurbelt: „Can we help you, Sir?“
Zwei alte Damen im hohen Rentneralter entsteigen ihrem Entenhausen-Gefährt, erkennen sofort die Sachlage, öffnen den (winzigen) Kofferraum und bieten mir den Wagenheber ihres Autochens an: „Vielleicht tut es dieser besser?“
Aber sie mochten nicht warten, bis ich das herausgefunden haben könnte. „Wir sind zum Essen eingeladen… wenn Sie fertig sind, werfen Sie ihn einfach über den Zaun in den Garten, im nächsten Dorf ist es das erste Haus links, das gelbe…“ Und weg waren sie, töfftöfftöff.
Ja, das Leihgerät funktionierte bestens. Es hob mein Auto hoch genug an, um den Radwechsel vornehmen zu können. Aber ich warf das mir so nützlich gewesene Ding dennoch nicht einfach über den Zaun bei jenem gelben Einfamilienhaus, vor welchem ich den alten Austin parken sah, sondern klopfte an und bedankte mich höflich und wortreich. „It was a pleasure“ und Tür zu? – doch nicht in Old England! Ich wurde herzlich hereingebeten, musste an der Tafel des Damenkränzchens Platz nehmen und unbedingt das Dessert probieren… und die selbstgebackenen Scones mit Sahne zum Kaffee natürlich auch. Meine Tagsplanung war sowieso vollkommen dahin, erst durch den Aufenthalt wegen der Panne, jetzt auch noch wegen der unverhofften Genuss- und Plauderstunde.
Aber noch selten haben mir die Folgen einer Reifenpanne soviel Vergnügen bereitet wie die auf der A4136 von Huntley nach Longhope.