So possierlich, unsere gefiederten Freunde

Essay
zuerst erschienen am 7. Januar 2002 in Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 5, S. BS3
Das „Fernsehmuseum“ in der Bergstraße zeigt, daß die Tierfilme auf einen Tiefpunkt des Naturverständnisses gesunken sind

Die Veranstaltung am Freitag abend in der Z-Bar in der Bergstraße in Mitte war gut besucht. Das „Fernsehmuseum“, das seit Dezember an jedem ersten Freitag im Monat von Reproducts, einer Hamburger Firma für Verwertungsstrategien, organisiert wird, stand unter dem Thema „Salzhölle der Flamingos - Tierfilme als Propaganda“. Das Museum hat sich zum Ziel gesetzt, besondere Momente aus der vierzigjährigen deutschen Fernsehgeschichte zu archivieren und an solchen Abenden öffentlich vorzuführen.

Mit einer prägnant knappen Einführung brachte einer der Veranstalter den Abend auf den Weg. Tierfilme seien in den meisten Fällen keine Dokumentation, sondern furchtbarste Fiktion. Als ein markantes Beispiel für diese These hätten sie Vitus B. Dröschers „Salzhölle der Flamingos“ aus der Reihe „Dröschers Tierleben“, die Mitte der neunziger Jahre bei Sat.1 lief, ausgewählt. Der mit anthropomorphisierenden populären Abhandlungen große Auflagen erzielende Journalist Dröscher war somit markiert. Und daß er mit seiner medialen Vernichtung von Natur durch ästhetische Fehlentscheidungen und dramatisierende Vergleiche, die den Blick erst gar nicht beim Tier ankommen lassen, tatsächlich unterirdische Regionen erreicht hat, wurde schon mit dem ersten selbstgesprochenen Satz im Film klar. Nachdem ein Adler erst allein seine Kreise gezogen hatte, untermalt von sich ins Bedrohliche steigernder Musik, mußte er dann - Schnitt - in einen Schwarm im knöcheltiefen See watender Flamingos eindringen und den Tod über die Vögel bringen. Es reicht also nicht, daß Flamingos in der Hölle ätzender Natronseen leben, die rosafarbenen Schönheiten der Natur werden auch noch von „Kampfadlern“ bedroht. „Das war eine harte Sache“, kommentiert Dröscher und fragt: „Ist Schönheit Selbstmord?“ Dabei nickt ihm immer seine etwas kleinere Frau ins Ohr. Wie in diesem Fall durch den Einsatz von Musik und Text alles mögliche erzeugt wird, nur eben keine Wahrnehmung für die spezifischen Umwelten der Rosaflamingos, die ja im Bild zu sehen sind, müßte detaillierter untersucht werden und sollte sich nicht auf Dröschers „Tierleben“ beschränken. Denn die Gefahr, die von Dröscher ausgeht, ist insofern gebannt, als er es wohl selbst für die Verantworlichen von Sat.1 zu windig trieb. Mit seinem Bildmaterial soll er ähnlich umgegangen sein wie mit seinen Gegenständen.

Bei der gemeinsamen amüsierten Betrachtung solcher Filme wird aber auch ein Problem solcher Veranstaltungen deutlich. Natürlich läßt sich über den gezeigten Mist gut lachen. Nur weiß man damit noch nichts über die Techniken, die Tiere mit Menschen allmählich synonymisieren - und sie damit überflüssig machen. Wenn sie sind wie wir, braucht man sie nicht mehr. Dröschers Masche ist nämlich weiter verbreitet, als ihm wahrscheinlich lieb ist, und auch in besser produzierten Formaten gängig. Sie folgen einer komplizierten Logik, nach der Tiere „aus dem Land hinter dem Horizont kommen“, wie es John Berger formuliert. Sie leben hinter dem Teich, in der Salzhölle, und landen aber doch ständig hier bei uns. Und das ist merkwürdig. Sie müssen also etwas haben, das sie gleich macht, und das muß man unbedingt betonen. Und damit, sagt diese Denkart, weckt man Sympathie. Diese Technik funktioniert deshalb so gut, weil es sich eben nicht herumgesprochen hat, daß außer ein paar Spezialisten kaum jemand Tiere wirklich kennt. Das wurde auch in einer aktuellen Studie über Schweizer Bergbauern deutlich. Die Besitzer von Almkühen schnitten bei der Beurteilung des hormonellen Zustands ihrer Tiere regelmäßig am schlechtesten ab. Die suggerierte oder wirkliche Nähe von Tier und Mensch muß also noch nichts für das Tier Relevantes aussagen.

Daß man über Tiere auch anders berichten kann, darauf wiesen die Veranstalter in der Einführung hin. Sie stellten Dröscher den Journalisten Horst Stern gegenüber und fielen damit in ein medienhistorisches Erinnerungsloch. Kaum jemand des überwiegend jüngeren Publikums kannte Horst Stern. Stern hatte in den siebziger Jahren mit sechsundzwanzig Folgen seiner Reihe „Sterns Stunde“ Maßstäbe des seriös recherchierten Naturjournalismus gesetzt. Er hatte als erster auf den Zustand und die Geschichte des deutschen Waldes hingewiesen. Und in einem bis heute unübertroffenen Film über Rothirsche deren Verhalten erläutert und gezeigt, daß durch falsche, nämlich an der Trophäenjagd orientierte sogenannte Hege die Tiere in ihren Biotopen menschlich erzeugtem Streß ausgesetzt werden, der ihnen nicht guttut. Stern blieb dabei immer auf Distanz zu seinem Gegenstand und kommentierte, selbst wenn er das Paarungsverhalten von Spinnen fotografierte, zurückhaltend und mit wenig Musik. Er erreichte damit Einschaltquoten wie Peter Alexander.

Man muß also, um gesehen zu werden, nicht unterhalb jedes wissenschaftlichen Kenntnisstandes über Tiere in einer niedlichen Sprache berichten, die selbst Kindern unangenehm ist. Leider hat Stern selbst in den öffentlich-rechtlichen Anstalten keine Schüler gefunden. Der heute zurückgezogen als Schriftsteller in Irland lebende Stern hätte auch zu Flamingos immer noch mehr zu sagen als die öffentlichen Fernsehanstalten, für die heute wieder Schimpansen in Unterhosen in schlecht gelüfteten Lokalen auftreten müssen: Die Salzseen, in denen Flamingos in Afrika und Südamerika ihre Nahrung suchen, bieten ihnen nicht nur optimale Lebensbedingungen, sie schützen auch vor menschlicher Verfolgung, weil sie dort nicht in Konkurrenz beispielsweise zur Landwirtschaft oder Fischerei treten. Da der Salzgehalt in den Seen und Lagunen doppelt so hoch wie in Meerwasser ist, vermögen dort nur wenige Algenarten und kleine Salinenkrebse zu existieren, die allerdings konkurrenzlos zu riesigen Mengen heranwachsen können. Die Rosaflamingos müssen sich also nicht um die Nahrung streiten. Und die Krebse liefern ihnen ausreichend rote Farbstoffe, so daß sie ihr ausbleichendes Gefieder immer wieder in die für die Balz nötigen rosaroten Töne tauchen können.