Kim Gordon – „Heute ist es cool, ein Nerd zu sein“

Interview
zuerst erschienen am 20. Mai 2012 in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 20, S. 27
Mit ihrer Band Sonic Youth hat Kim Gordon Anfang der 90er den Grunge erfunden, sie hat Kurt Cobain zu seinem ersten Plattenvertrag verholfen und ein eigenes Modelabel gegründet. Seit den 80ern tief verwurzelt in die Avantgardebewegungen und Undergroundkultur New Yorks ist Gordon, 59, seit einiger Zeit auch auf dem Kunstmarkt erfolgreich. Zum ersten Mal sind nun einige Werke in Deutschland zu sehen. In der Galerie Mathew zeigt sie Positionen abstrakter Malerei: Etwa malt Gordon einzelne Wörter auf die Leinwand - „The promise of originality" - und macht ihre Bedeutung damit gleichzeitig zunichte. Außerdem hat sie rosafarbene riesige Damenunterhosen auf kleinformatigen Canvas gespannt und mit schwarzer Farbe darüber gestrichen. Wir treffen uns in ihrer Wilmersdorfer Galerie und gehen dann in ein kleines, lautes Restaurant. Kim Gordon bestellt Hühnchen und streicht sich vorsichtig eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Der Vorsatz, nicht daran zu denken, dass man selbst, beziehungsweise jeder Mensch, den man in seinem Leben ernst genommen hat, mindestens einmal in diese Frau verliebt war, wird direkt gebrochen. Während des Gesprächs verwandelt sich draußen ein Unwetter in Sonnenschein.

Nach dreißig Jahren im Rock-’n’-Roll-Business: Würden Sie heute sagen, es war eine gute Idee, Rockstar zu werden?

Ich bin in die Musik hineingeschlittert, weil ich damals für ein Kunstmagazin einen Artikel über male bonding schrieb: Ich hielt es für eine gute Idee, mir das Gehabe der Jungs aus der Innenperspektive anzuschauen. In der Rückschau sehe ich Sonic Youth am liebsten als ein langes, konzeptuelles Kunstprojekt.

Aber Sie sind doch Ende der Achtziger aus der Kunstwelt geflüchtet, um Musik zu machen. Warum sind Sie wieder zur Kunst zurückgekehrt?

Ich mag die Kunst, ich mochte sie immer, im Grunde weil ich gerne mit Menschen zusammenarbeite. Letztendlich habe ich Musik, Mode und Kunst immer als gleichberechtigte Teile meines künstlerischen Schaffens betrachtet.

In vielen Ihrer Arbeiten spielt die Interaktion zwischen Publikum und Künstler eine Rolle. Marcel Duchamp hat einmal gesagt, dass die Bilder erst vom Betrachter gemalt werden. Ist es bei einem Rockkonzert und einer Kunstperformance auch so?

Natürlich, es gibt viele Situationen, in denen das Publikum die Aufführung erst komplettiert. In den besten Momenten bist du als Künstlerin Teil dieses Körpers, der vor einem steht, und eben nicht getrennt von ihm.

Ist der Pinsel eigentlich eine ähnliche Verlängerung des Körpers wie die Gitarre?

Alles kann ein Pinsel sein. Yves Klein etwa benutzte seinen Körper als Pinsel, ich habe ein Bild mitgebracht, das ich mit einem Kleid gemalt habe, für ein anderes habe ich einen Strumpf als Pinsel benutzt. Der Pinsel steht für eine bestimmte Art der Kontrolle und Feinheit, es steckt weniger Körperlichkeit in der Arbeit mit ihm, damals suchte ich eine körperlichere Art des künstlerischen Ausdrucks und fand die elektrische Gitarre.

Aber was ist denn mit dem Künstler, der beherzt, schwitzend und aufgeputscht von Drogen die Leinwand malträtiert?

Ich fürchte, dieser Künstler ist ein Mythos. Mit der E-Gitarre ist es ein anderes Erlebnis. Du kannst sie bis in die Eingeweide spüren.

Für solche brachialen Soundexperimente stehen Sie mit Ihrer Band Sonic Youth. Die Erzeugung eines elektrifizierten, unkontrollierbaren Free Flow.

Nein, ich glaube nicht, dass es darum geht. Das Spiel mit den Sounds der Gitarre ist eher wie Surfen. Beim Surfen geht es auch um die Kontrolle des Bretts und die Bewegungen, die du mit ihm machst. Dazu hast du ein anderes Element, im Falle des Surfers das Wasser, das etwas mit dir und dem Gegenstand macht. Die Elektrizität ist ebenso eine Kraft. Man kann entscheiden – möchte man sie kontrollieren oder nicht.

Warum sollte man überhaupt etwas tun, worin man nicht besonders gut ist?

Die Frage setzt eine Wertung voraus, was meinen Sie damit?

Ich meine es etwa in dem Sinne, dass man kein perfekt ausgebildeter Gitarrist ist, aber trotzdem die Gitarre in die Hand nimmt und darauf zu spielen beginnt. Dasselbe gilt für die Kunst.

Ich bin ja immerhin gelernte Künstlerin. (lacht) Ich habe in Los Angeles am Otis College for Art and Design Kunst studiert, mit einem Abschluss in Malerei, dann bin ich nach New York gezogen. Als ich mit der Musik anfing, entstand das aus der Punk-Rock-Bewegung: Do it yourself. Damals ging es eher um Ideen als darum, sein Instrument perfekt zu beherrschen.

Ich habe gelesen, dass Sie ein großer Fan des jungen „Twilight“- Stars Robert Pattinson sein sollen. Stimmt das?

(lacht) Also, ich habe ihn einmal in einem Hotel getroffen mit meiner Tochter, und sie ist wirklich ein großer Fan. Für mich ist er nur Teil der Landschaft. Hier in Europa ist die Landschaft geprägt durch Geschichte, in Amerika ist es eben eher Hollywood und die Celebrity-Kultur.

Was mögen Sie lieber?

Ich mag beides. Popkultur alleine ist manchmal unbefriedigend.

Die Cover Ihrer Band wurden oft von zeitgenössischen Künstlern gestaltet, etwa Raymond Pettibon, Richard Prince oder dem kürzlich verstorbenen Mike Kelley. „Daydream Nation“ von 1988 ziert die berühmte „Kerze“ von Gerhard Richter, ein deutscher Staatskünstler sozusagen. Wie kam es dazu?

Es ist doch schön, etwas zu nehmen, was auf den ersten Blick konservativ ausschaut. Warum soll es punk, cool oder hip aussehen, wenn schon das Produkt darunter es ist, ich hasse so etwas! Es ging uns immer darum, mit Leuten aus unserem Umfeld zu arbeiten, zu denen wir eine Beziehung haben. Dan Graham hatte uns damals vorgestellt, und, nun ja, Gerhard ist auch einfach einer meiner Lieblingskünstler. Warum also nicht?

Hat sich denn das Konzept von Coolness verändert seit damals?

Heute ist jeder cool. Traditionellerweise entwickelt sich Coolness anhand von Dingen, die nur wenige Menschen kennen, ein geheimes Wissen. Aber das ist heute als Kriterium wertlos geworden. Bei meiner 17-jährigen Tochter merke ich, dass es heute cooler ist, ein Nerd zu sein. Aber nachdem du ein Kind auf die Welt gebracht hast und Freunde hast sterben sehen, verliert die Idee von Coolness ihren Sinn. Natürlich möchte ich in gewisser Weise eine coole Mutter sein. Aber ich kann Ihnen verraten: Ich fühle mich die meiste Zeit ziemlich uncool.

Sie doch nicht – das nehme ich Ihnen nicht ab.

Ich habe mich wirklich nie besonders cool gefühlt. Vielleicht ein- oder zweimal in meinem Leben.

Können Sie sich an diese Momente erinnern?

Kürzlich war ich in dem berühmten Hotel „Chateau Marmont“ in Los Angeles, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin und die ich liebe, um einen Werbespot für das japanische Label Uniqlo zu drehen. Ich war in einem sehr, sehr schönen Zimmer untergebracht. Plötzlich kamen zehn japanische Männer herein, um mit mir ein T-Shirt anzuprobieren, das fand ich grandios. Was mich aber wirklich cool fühlen lässt, ist, dass in Los Angeles eine Straße nach meiner Mutter benannt ist. Ihre Familie reicht bis zu den ersten Siedlern in Amerika zurück. Wenn ich dort entlanggehe, fühle ich mich cool, denn es gibt mir ein Gefühl von Geschichte.

Der Fotograf Richard Kern hat einmal gesagt, er sieht in Ihnen die moderne Renaissance-Frau. Können Sie sich vorstellen, was er damit meint?

Ich muss Ihnen sagen, ich habe keine Ahnung und finde es auch ein wenig peinlich. Richard hat das sicher gut gemeint, aber ich bin nicht Madonna.

Aber Sie sind der Blueprint für eine starke, unabhängige Frau. Sie wirken stets unnahbar, aber nie unangreifbar. Sie sind seit vielen Jahren im Grunde die coolste Frau der Welt.

Also wenn, dann bin ich eine Anti-Madonna. Aber ich meine das nicht böse, denn ich bewundere Madonna sehr. Menschen wie Madonna haben Ambitionen, die wollen das alles, den Ruhm, den Erfolg.

Ist es nicht so, dass Sie genau deswegen ein Vorbild für viele junge Frauen sind, weil Sie viele Dinge gerade nicht wollen?

Ich glaube, wir alle haben die Freiheit, das zu tun, was wir wollen. Wissen Sie, ich mag viele Sachen einfach nicht. Zum Beispiel mit der Presse sprechen. Es ist seltsam, über sich selbst zu reden, ich bin gerne anonym. Es gibt bessere Vorbilder da draußen, etwa die Musikerin und Aktivistin Kathleen Hanna, sie hat wirklich zur Erneuerung des Feminismus in Amerika beigetragen. Ich fürchte, ich selbst bin ein bisschen lahm für ein echtes role model.

Anfang des Jahres hat sich der Künstler Mike Kelley umgebracht. Die deutsche Kunstkritikerin Isabelle Graw hat in ihrem Nachruf Andy Warhol zitiert: Kelleys Tod sei „too abstract“, um etwas darüber zu sagen. Sie waren auch seit langem mit Kelley befreundet. Fühlt es sich für Sie ähnlich an?

Ja, ich glaube, sie hat recht. Über seinem Tod steht so ein großes Fragezeichen, es ist immer noch unbegreiflich und zutiefst verwirrend. All die vielen Texte, die nach seinem Tod über Mike geschrieben wurden, erstellen absolut kein zu- reichendes Bild von ihm. Menschen sind zu komplex, man kann sie nicht zusammenfassen. Ich denke, immer wenn sich jemand das Leben nimmt, ist das hart. (Sie schweigt.)

Entschuldigen Sie bitte. Das war wirklich eine sehr schlechte letzte Frage.

(lächelt) Nein, wahrscheinlich nicht. Ich weiß es nicht.

Wir müssen es noch einmal versuchen: Warum ist diese Welt ein guter Ort?

Wie bitte? Ich kann diese Frage unmöglich beantworten. Als wir unser Gespräch begonnen haben, hat es geregnet, und jetzt scheint die Sonne. Die Welt ist ja einfach nur. Woher sollen wir wissen, dass wir überhaupt hier sind?