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Kolumne
zuerst erschienen am 5. April 2016 auf spikeartmagazine.com

Meine Eltern waren im Urlaub mit Angela Merkel. Also meine Eltern haben letzte Woche Urlaub auf La Gomera gemacht, in einem „ganz normalen Hotel“ und dort checkte dann zwei Tage später eben auch die Angela Merkel ein. Beim Frühstück saßen sie jeden Tag am nächsten Tisch. Und Angela Merkel sah ganz müde und erledigt aus, meinte meine Mutter. Und weil all die anderen Besucher das auch gemerkt haben, und die Bundeskanzlerin selbst wenig Kontakt suchte, hat auch keiner „Moin“ zu ihr gesagt, meinte meine Mutter. Wie ein ungeschriebenes Gesetz. Die Bodyguards wirkten sehr sympathisch, viele Muskeln, und aber höchstens immer vier in der Nähe. Und am Buffet hat die Angela Merkel sich hinten angestellt. 30 Leute vor ihr, aber die Angela Merkel hat sich hinten angestellt, mit ihrer Sommerhose und den Nikes. Und das fand meine Mutter unglaublich beeindruckend.

Ich war vor ein paar Jahren in Griechenland mal aus Versehen im gleichen Hotel wie der Kurator Adam Szymczyk. Ich saß einmal mit Wolfgang Joop vor seinem Haus am See in Potsdam und wir haben Kaffee getrunken und die riesigen Hunde kamen angeschliddert und schleckten die Sahne vom Silberlöffel. Einmal telefonierte ich mit dem Jeans-Millionär Renzo Rosso und er sagte, er habe nicht so viel Zeit, weil Kanye West sei zu Besuch. Das finde ich logischerweise immer sehr toll, ja, aber
wenn meine Eltern mir erzählen, dass Angela Merkel sich beim Buffet hinten anstellt, dann finden wir, also meine Eltern und ich, das eben doch noch viel besser. Denn meine Eltern und ich, wir kommen aus dem Proletariat.

Und das scheint oft nicht so, weil ich die Haare in der Art trage, dass die Locken hübsch aus dem Gesicht wehen und ich mir immer extra Kleider kaufe wie zum Bespiel eine schneeweiße Jeansjacke der Marke Stone Island und überhaupt auch gut angeben kann. Aber wenn man aus dem Proletariat kommt, dann fühlt man sich oft alleine in der Kunst und Kultur. Denn keiner von euch ist daher. Alle, denen ich in den letzten 15 Jahren begegnet bin, sind irgendwann weg gefallen. Die schaffen das nicht bei euch. Zu arm. Einfach zu arm. In die Wiege gelegtes kulturelles Kapital, echtes Kapital: Es fehlt an allem. Auch der Arbeiterklasse-Sänger Jarvis Cocker, so stand es kürzlich in der Zeitung, würde es heute nicht mehr auf die Art School schaffen, genau wie fast alle YBA-Künstler. Keine Chance für kleine Leute, dem Bildungs- und damit Kreativsystem bluten die Common People aus.

Na jedenfalls, im Schinkel Pavillon treffe ich am Wochenende die Stella, sie ist Anfang 20, auf richtig gute Art anti und hat unglaublich schöne Augen. Und sie erzählt, wie sie letztes Jahr während der Venedig Biennale auf der Straße den Kulturminister von Abu Dhabi getroffen hat und sie sind so ein bisschen rumgehangen und er schickte ihr daraufhin immer rote Rosen nach Deutschland und bat sie, ihn mal zu besuchen und dann fuhr sie vor ein paar Tagen eben und hatte wirklich die allerbeste Zeit. Stella und der Freund, den sie mitnahm, liefen von Hotel zu Hotel, sie durfte in den feinsten Restaurants essen und trinken, ohne jemals
etwas zu bezahlen. Wie eine Prinzessin. Das hat sie zwar nicht gesagt, aber so stelle ich es mit eigentlich vor. Und ein einziges Mal trafen sie den Minister. Sie betraten ein Hotelzimmer, er wechselte daraufhin den Kanal seines Flatscreens von CNN auf MTV und sie aßen schweigend ein 15-Gänge-Menü, bei dem sie von jedem Gericht immer nur einmal abbeißen durften und während Stella mir das erzählt, scheint es mir wirklich die allergelungenste Tourismus-Aktion der Welt zu sein. Der Pavillon der Vereinigten Arabischen Emirate in Venedig sieht ja jedes Jahr etwa so aus, als hätte sich die FIFA einen Pavillon über Fußball bauen lassen. Aber wie sie es nun bis hier in den Schinkel Pavillon schaffen, und sich durch die Augen und die Sprache von Stella präsentieren lassen, das ist wirklich ganz ganz gut gelungen.

Vorher waren wir noch im Künstlerhaus Bethanien. Und dort ist es wie Urlaub. Die Kunst, könnte man finden, ist zwar fast ausnahmslos recht schlecht (außer die zentral präsentierten farbenfrohen Standwerke von Roman Schramm), aber man erinnert sich daran, dass 1. Kunst mal zu sowas wie Alternativkultur gehörte und irgendwie auch immer noch gehört und 2. dass die allermeisten Menschen Kunst after work, in ihrer Freizeit anschauen gehen und zwar aus Gründen der Erbauung. Da stehen also die Frauen mit den bunten Brillen und Alpaka-Jacken und die langen dünnen Kreuzberger Männer aus den 80ern, die nach Speed und Nihilismus und Samuel Beckett aussehen. Und auch Tom Lamberty sieht ja ein bisschen so aus mit seinen Cowboystiefeln und dem silbernen Haar. Als wir am
Samstag durch Mitte schlendern, treffen wir meinen Bruder im Geiste, den Philosophen Armen Avanessian und den Filmemacher Christopher Roth gemeinsam mit dem Merve-Chef Lamberty vor der Café-Bar Lois sitzend, was sicherlich der beste Ort ist dieser Tage in Berlin, wenn man einen Aperol Spritz einnehmen will. Ich mag den Tom Lamberty jedenfalls ziemlich gerne und als er sich für das Foto hinstellt, dass ich zur Feier des neuen Merve-Bestsellers „80/81“ von den Dreien vor der Café-Bar Lois machen soll, da versteckt er das lavafarbene Spritz-Getränk hinter sich.

Und ich glaube gar nicht, weil es sich dabei um ein alkoholisches Getränk an sich handelt, sondern weil es so ein Wannabe-Venezia-Drink ist, der mit ganz unwiderstehlichem und bösartigem lavafarbenem Charme der Bourgeoise die brandenburgisch-preussische Widerstands-Landschaft vernebelt. Und, obwohl ich selbst das Glas an seiner Stelle wohl möglichst zentral ins Bild gehoben hätte, habe ich den Tom Lamberty dabei total gut verstanden.