Ändere dich selbst, werde froh, sei dafür
Der doppelstöckige gelbe Bus fährt uns das letzte Stück durch den dichten Wald, zur Anlegestelle der Fähre. Wir wollen rüber zur Pfaueninsel. Früher, als die Pfaueninsel noch Kaninchenwerder hieß, wohnte dort der Zauberer und Alchimist Johann Kunkel in einer Glashütte. Das Betreten der Insel war zu dieser Zeit bei Strafe verboten, oft wehten schwarzer Rauch und schlechte Gerüche aufs Festland.
Vor dem Übersetzen kehren wir ein im historischen Blockhaus Nikolskoe, Wanderer suchen hier einen angenehmen Aufenthalt. Meine Tochter flüstert ausgedachte Geschichten, bis sie wirklich werden. Der Herbstgeruch wabert in unsere Körper. Eine Besucherin beschwert sich: „Ich sehe hier nur alte hässliche deutsche Menschen, die träge und höchstwahrscheinlich sogar böse sind. Sie essen trotz strahlender Sonne drinnen, in einer düsteren Holzhütte bei Kerzenschein Braten. Mit Rotkohl.“ Ihre Begleitung entgegnet: „Das sind normale, gutmütige Menschen aus allen Schichten, die leise ihr kleines Glück suchen und die Ersparnisse der Woche in Pflaumenkuchen investieren.“ Wir kauen still und blinzeln gegen den Horizont.
Später auf der Insel das weiße, winzige Schloss, das Hofzimmermeister Brendel 1793 im Auftrag Friedrich Wilhelms II. von Preußen für dessen Geliebte gebaut hatte. Von weitem sieht es aus wie aus Stein, klopft man dagegen, merkt man, das Lustschloss besteht aus dünnem, angestrichenen Holz. Der Platz auf dem ruinenmäßig abgebrochenen, Le Corbusier-haften Turm war einst mit Gartenstühlen besetzt. Wie muss es gewesen sein, hier morgens in aller Früh aufzuwachen und den Tau aufzulesen? Das Schloss wurde sehr frei als „verfallenes römisches Landhaus“ interpretiert, erklärt uns ein verrückter kleiner Mann mit schwarzen Augen, die Meierei drüben sei ebenfalls als Ruine konzipiert. Sei Mode gewesen. Für ruinöse Prätentiösitäten hält man sich in Berlin heute junge Künstler wie Cyprien Gaillard, sagt er lakonisch und kehrt uns kopfschüttelnd den Rücken.
Die Sonne schießt warme große Streifen durch die bunten Bäume. Herbstfarbene Blätter rauschen im Wind, sanft und philosophisch wie sich wiegende texanische Kornfelder in einem Film von Terrence Malick. Wir machen die Dinge nur noch im Bewusstsein von Momenten. Alles geht sofort vorbei. Ich lege mich zu einem Nickerchen an den Wegrand. Beim Aufwachen fühle ich mich wie Hans im Glück, vielleicht wegen der Pfauen hier und der Gans von Hans. Verschwommen sehe ich Mutter und Tochter einige Meter entfernt mit ein paar spanischen Menschen in einer Art Blumenkübel ohne Blumen spielen, sie lassen schwarzen Sand durch ihre Hände rieseln und sagen „Muschel Muschel Muschel“. Wir füttern ein paar bunte Pfauen, die uns aus dem Gebüsch entgegenlaufen. Später schlagen wir Purzelbäume und Räder auf den saftigen Wiesen, die in der schweren Abenddämmerung langsam feucht werden. Hinten Schafe.
Ich denke an Bruno Pilz, den wir einen Tag zuvor am Reichstag kennen lernten. Als ich ihn angesprochen habe, umarmt er mich lange und intensiv. „Nein“, sagt er, „nein, nein. Sie müssen Ja-sagen lernen.“ Er meint damit die Protestierenden. „Aber du hast doch auch nur seltsames Zeug über dein iPhone erzählt“, entgegne ich, „und dass die Leute mit ihren Beschwerden unrecht haben.“ Ein Demonstrant kommt heran, er möchte auch mal was durch Brunos Megafon sagen. „Gibt’s bei Conrad, kauf dir dein eigenes“, antwortet der bestimmt und ergänzt, zu mir gewandt: „Sie müssen es lernen: Ändere dich selbst, werde froh, sei dafür.“
Mit dem Zug fahren wir am Ende des Tages zurück in die Stadt. Das Kind zeichnet schwarze unheimliche Wesen ins Notizheft. Die große Sonne liegt bei jedem Stopp etwas tiefer. Am Ende ist es dunkel. Die Liebe schaut aus dem Fenster und sieht ihr Spiegelbild lächeln.