Dies sind keine Pfeifen

Interview
zuerst erschienen im Januar 2011 in De:Bug Nr. 149

Es ist nicht nur, aber es ist auch der Wald des amerikanischen Schriftstellers Henry David Thoreau, der in Salems Debüt-Album immer wieder durchklingt. 1854 schrieb Thoreau in einer Blockhütte auf einer Waldlichtung seine Transzendental-Lektüre „In den Wäldern“, ein poetisches Werk der Weltabgewandtheit, das die zweijährige Flucht des Autors vor der industrialisierten Massengesellschaft der noch jungen USA dokumentierte. Die heute noch jungen Amerikaner Jack Donaghue, Heather Marlatt und John Holland sind zum großen Teil in Traverse, Michigan, in Wäldern aufgewachsen und haben sich dort erst kürzlich ein Haus gekauft. Ihr Album bietet den bisher verstörendsten musikalischen Rückzugsraum des 21. Jahrhunderts.

Mit „King Night“ lieferten sie den Soundtrack der sich durch alle Kulturbereiche ziehenden Sehnsucht nach Gothic. Die elf Lieder tragen sprechende Namen wie „Frost“, „Sick“, oder „Killer“, den Lyrics kann man kaum folgen. Zusammen hält es eine durchgehend übersteuerte und verstrahlte Atmosphäre, die dark und wüst und aus den Herzen digitaler Natives zu kommen scheint: schwere sphärische Synthies, Shoegaze, Satanismus-Bling-Bling und Südstaatenrap. My Bloody Valentine trifft hier auf DJ Screw, Juke auf Death Metal. Der Wald von Salem, er ist nicht warm und von sensibler Gegenbewegung, sondern kalt und voller Codein-Schwaden. Diese Musik möchte uns stets nahelegen, dass es sich bei ihr um einen White-Trash-Abfuck handelt, um ein neues Kapitel aus der Drogenhölle, in der jede Form des Kapitals nichtsnutzig ist. Wir können und wir wollen nichts – das hat lange niemand mehr so verhuscht verkörpert wie diese Band. Aber aufgepasst, neben einem absolut außergewöhnlichen Sound rücken einem Salem mit einem Authentizitäts- und gleichzeitigem Verschleierungskonzept auf die Pelle, das so 2010 ist, wie bisher sonst noch gar nichts.

Über ihr erstes Konzert in Berlin, das langweiligste und seltsamste, das ich je gesehen habe, wird der Kollege Dominikus Müller später schreiben: „Hier leidet jemand schon in jungen Jahren unter großer Müdigkeit am Leben und präsentiert sie grandios beiläufig als rotzige und letztmögliche Antihaltung zu Unterhaltungsimperativ, Multitaskingterror und Hyperaktivitätszwang.“ Salem hätten zu dieser nachträglichen Interpretation lässig die Schultern gezuckt. In einem anständig abgefuckten Hotelroom treffen wir drei ernsthafte junge Menschen, die das Fassungslose gerne unverständlich bleiben lassen und das Unheimliche unbegreiflich.

Seht ihr einen Grund, warum ihr nicht die neuen Nirvana sein solltet?

John: Nirvana gab es ja bereits. Keine Band der Welt kann sie rekreieren. Ich würde es vorziehen, die ersten Salem zu sein.

Jake: Wir klingen ja überhaupt nicht nach Nirvana.

Ihr bedient allerdings dieselben Sehnsüchte und bietet eine ähnlich gelagerte Zeichenproduktion.

John: Nirvana haben ihre Musik gespielt und wir spielen unsere.

Und im Gegensatz zu Nirvana seid ihr überhaupt nicht wütend.

John: Wer weiß schon, was wir fühlen? Sie zeigten es vielleicht mehr. Next question.

Was sind eure drei Lieblingssymbole?

Jake: Das Christusmonogramm, also das P mit dem X durch, so wie bei Jesus.

John: Ich mag das hängende Lamm.

Heather: Mein Lieblingssymbol ist das Yin Yang.

Glaubt ihr an Gott?

John: Ich weiß nicht. Ich mag ganz viele verschiedene Religionen.

Jake: Ich glaube an etwas, ich weiß aber nicht, was es ist.

Heather: Ich bin auf jeden Fall totaler Anti-Atheist. Es ist so arrogant, zu denken, nur weil man nicht weiß, was da draußen ist, dass dort nichts ist.

Wart ihr mal im Salem Witch House Museum in Massachusetts?

Jake: Nein.

Aber ist es nicht lustig, dass es die Wörter Salem und Witch House in sich trägt?

Jake: Ich rauche auch Salem Zigaretten. Viele Städte in den in USA heißen Salem. Es gibt viel Salem da draußen.

Es gibt die Theorie, nach denen alle relevante Popmusik aus dem Kaff, der Suburb kommt. Von Menschen, die so sehr von der Borniertheit und Langeweile angeödet sind, dass sie ihre Musik als Flucht davor und Protest dagegen zelebrieren.

Heather: Niemand von uns ist in der Suburb groß geworden. John in Chicago. Und Jake und ich in den Wäldern.

Aber ist das nicht irgendwie dasselbe?

Heather: Nein. Das ist wirklich nicht dasselbe. Wo ich aufgewachsen bin, gab es einfach nichts. Keine Kinder und keine anderen Häuser. Es hatte nicht diesen bezeichnenden ”Haus an Haus an große Shopping Mall“-Charakter, wir sind einfach nur durch Wälder gelaufen.

Jake: Wir glauben auch nicht an das, was du sagst. Man kann überall gelangweilt sein. Und man kann sich überall gegen alles wehren oder dagegen anrennen, oder es eben lassen.

In Michigan gibt es ja sehr viele Indianerfriedhöfe.

Heather: Das stimmt. Es gab auch sehr viel Indianerreservate direkt wo John und ich aufgewachsen sind. Und eine Insel, zu der wir im Sommer immer fuhren, dort gibt es viele Indianer.

Um noch ein kurzes Mal zurückzukommen zu meiner Frage: Es gibt dieses Animals-Stück, das den angedeuteten großen Popmusikgedanken so pointiert ins Spiel bringt. Sie sangen: “I want to get out of this place“. Ihr dagegen habt euch nun ein Haus in den Wäldern gekauft, ist das richtig?

John: Ja, aber warte. Um das noch einmal zu betonen: Unsere Musik hat nichts mit Langeweile zu tun. Oder auszubrechen aus dem Ort, an dem wir aufgewachsen sind. Die kleine Stadt zu verlassen um in die große zu gehen. Wir denken nicht darüber nach, was wir tun. Und deshalb können wir dir auch keine Antworten auf deine Theorien geben.

Ihr macht einfach immer nur, oder? Fließt das eigentlich so raus, wenn ihr Musik produziert oder gibt es auch diese „Words dont come easy to me“-Momente?

Jake: Wir machen einfach Musik. Wir sind uns während des Prozesses nicht bewusst darüber, was wir wollen.

Morgens manchmal Lust so einen richtigen uplifting Popsong zu machen?

John: Wir machen immer das, was wir fühlen.

Ihr zieht in Sound und Bild einige Parallelen zur Romantik: die okkulten Symbole, Sehnsucht nach dem Alleinsein in den Wäldern, Geister, Selbstzerfleischung und das Geheimnisvolle. Könnt ihr mit dem Vergleich etwas anfangen?

Jake: Als ich aufwuchs, gab es stets eine gewisse Enttäuschung. Was auch daran lag, dass ich auf seltsame Art zu große Erwartungen an die Welt hatte. Ich glaube, wir sind alle sehr unzufrieden darüber, was es bedeutet, erwachsen zu sein.

John: Wir haben eine sehr starke Verbindung zu unserer Kindheit. Und fühlen eine große Traurigkeit über ihren Verlust.

Irgendeine Ahnung, warum sich plötzlich alle für das Teuflische interessieren?

Jake: Ich glaube, alle Kinder haben diese Gedanken.

Ihr seid aber keine Kinder mehr. Wenn ihr ein rauchendes Kreuz aufs Cover macht, habt ihr euch das doch überlegt.

John: Wir tun nichts aus einem Bewusstsein heraus. Wir produzieren keine bestimmten Bilder, um uns darzustellen oder ziehen uns besonders kunstvoll an. Und so ist es auch mit unserer Musik. Es ist einfach wie und was wir sind. Wenn ich nachts in den Wald schaue, dann schaue ich nur nachts in den Wald. Es ist nicht mehr und auch nicht weniger als das.

Lustig ist ja, dass dieses Unbewusstsein, auf das ihr die ganze Zeit besteht, genau das ist, was auch romantische oder etwa auch surrealistische Künstler stets für sich in Anspruch genommen haben. Und das sind aus gutem Grund die modernen Kunstformen, die für die Popmusik am einflussreichsten sind. Fühlt ihr eine direkte Verbindung?

Jake: Wir hauen einfach Dinge in die Welt! Die Leute können darin finden was sie wollen. Ich werfe es den Haien zum Fraß vor.

Könntet ihr bitte kurz zusammenfassen, worum es in euren Lyrics geht?

John: Wir haben im Grunde nichts zu sagen. Bei den meisten Stücken benutzen wir unsere Stimmen eher als ein weiteres Instrument. Es geht da nicht um Messages.

Ihr wollt also gar nichts mitteilen?

Heather: Wenn ich jemanden etwas sagen möchte, dann schreibe ich ihm einen Brief.

Aber wieso macht ihr dann überhaupt Wörter?

Heather: Es würde einfach anders klingen ohne die Stimme und das, was sie tut. Die Wörter sollen aber keine bestimmte Richtung vorgeben. Sie haben keine Bedeutung. Wir schreiben keine Kochbücher. Es geht um die Atmosphäre der Songs.

In Deutschland erschien im letzten Jahr ein sehr populäres Buch, geschrieben von einer 18-jährigen …

Jake: … ich habe es nicht gelesen.

Das macht nichts. Die Themen waren sexueller Missbrauch und Heroinkonsum, die Leute waren geschockt, weil es als eine Art Biografie gelesen wurde. Einige Wochen später stellte sich heraus, dass sie einen Großteil aus anderen Romanen abgeschrieben hatte und die Leute waren eigentlich noch geschockter.

Jake: Bist du eigentlich so eine Art Oprah?

Also meine Frage wäre: Seid ihr echte Drogensüchtige?

(Gelächter, dann aber sehr ernst)

Heather: Was ist denn ein echter Drogensüchtiger? Ich glaube nicht, dass das eine relevante Frage ist. Wir werden ja als Musiker interviewt und nicht als Menschen, die vielleicht Drogen nehmen. Ehrlich. Also wenn du einen echten Drogensüchtigen interviewen willst, solltest du vielleicht dieses Mädchen fragen. Wir schreiben nur Songs über unser Leben.

Aber sie ist ja auch keine Drogensüchtige.

Jake: Auch nicht? Ich sage ja nicht, dass ich keiner bin. Also 1. habe ich kein Buch geschrieben. 2. geht es in unserer Musik nicht um Drogen. Und 3. geht es uns nur um unsere Musik und nichts anders.

Worauf ich hinaus wollte: Für wie wichtig haltet ihr die authentische Erfahrung als Hintergrund, um Kunst zu erschaffen.

John: Je mehr Menschen fragen, desto weniger möchte ich aus meinem persönlichen Leben erzählen. Das ist nicht was ich verkaufe, ich verkaufe Musik.

Nur um ganz sicher zu gehen. Seid ihr echte Drogensüchtige oder echt gute Künstler?

Jake: Wenn deine Frage ist, ob wir unser Leben als Teil einer Performance sehen, dann ist die Antwort ganz sicher: nein.

Irgendeine Vermutung, warum die Leute aktuell so interessiert sind an eurem Werk?

Jake: Ich hoffe weiterhin, weil sie unsere Musik mögen. Ich glaube es war die richtige Zeit, die Leute kannten diese Musik nicht und fühlen sich zu ihr hingezogen.