MiniMal sorgt für mich

Essay
zuerst erschienen im Frühjahr 1999 in Starship Nr. 2

Manchmal muss ich mir die Dinge nur lang genug vorstellen, damit sie wirklich werden. Eine Weile war meine Lieblingsvorstellung von MiniMal ausgehalten zu werden. Einer würde mich dort mögen und eine Zeit durchschleifen. Dann stand es in der Zeitung, darum könne man sich jetzt bewerben. Ich ging sofort hin und fragte nach. In meiner Filiale wusste die Marktleiterin noch nichts davon, gab mir aber die Nummer der Zentrale. Die Leute dort erklärten, eine Agentur sei durch den Minimalismus-Boom im letzten Sommer draufgekommen, dass es Sinn macht. Die Leute von MiniMal hatten nicht gewusst, dass es den Minimalismus gab, fanden ihn aber schmeichelhaft. Man hatte schon länger einen Mangel an Erscheinung verspürt und die Information über das bisher Unbekannte passte in ein Bedürfnis danach.

Die Kunden würden wohl noch eine Zeit dafür brauchen, meinte die Öffentlichkeitsarbeiterin, aber der Versuch koste ja weniger als eine Postwurfsendung. Dann zeigte sie mir ein Buch mit auf sich selbst reduzierten Klötzen und Kisten, aus denen ich die Bedeutung quoll. Etwas in der Art fertigte ich in den Tagen danach an und bewarb mich. Jetzt ging ich öfter zum Postkasten und einen Monat später erhielt ich einen Brief, man habe sich für mich entschieden: Ich bräuchte jetzt zwölf Monate nicht mehr an der Kasse stoppen, mein Einkaufswagen würde einfach durchgewunken.

Als ich das erste mal meine nichtbezahlten Waren einpacke, erklärt die Kassiererin den Kunden, die hinter mir in der Schlange stehen, „das ist dies Jahr unser Künstler, der darf umsonst einkaufen“. Anfangs war es mir gegenüber den anderen in der Schlange peinlich. Ich kaufte immer nur wenig. Mal ein Wasser, einen Schokoriegel, Zigaretten und kam lieber drei- bis viermal am Tag. Auch habe ich mir nie eine neue Tüte genommen, sondern die Benutzen immer wieder mitgebracht. Die Kassiererin, die wahrscheinlich gedacht hat, unser Künstler kann doch nicht mit den benutzten Tüten rumlaufen, hat jedesmal gesagt, „nehmen sie doch eine neue Tüte, Sie kriegen die doch umsonst“. Mir fiel dann nur so was ein wie, „ …ist doch nur für die Milch“. Eine Menge Tüten habe ich mir doch andrehen lassen. Draußen zog ich über die MiniMal-Tüte eine graue Tüte.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich es genießen konnte, die Großzügigkeit der Kette zu verkörpern und die Marktleiterin ein Taxi für den Inhalt meines übervollen Einkaufswagens rufen lassen.

Als Werbemassnahme für MiniMal hatte ich eine Vorortpräsenz, sagte man mir - ja, ich war fast zum Anfassen. Das stimmt schon. Die Leute in meiner Filiale kannten mich jetzt. Zwar kaufe ich hier schon seit Jahren, aber das ist niemand aufgefallen. Jetzt erkannten sie mich. Es wurde sogar über mich gesprochen. Wenn es mir zuviel wurde, versuchte ich mir klar zu machen, dass es nächstes Jahr wieder aufhören und ich wieder ein normaler Kunde sein würde.

Einige MiniMal-Kunden fanden auch, dass ich als kulturelle Massnahme das Letzte sei und alles auf die Preise draufgeschlagen wird. Während meiner Ausstellung auf den Schildern, die sonst die Angebote vorführen, wurde ich sogar in einer kameralosen Ecke mit einem Einkaufswagen brutal angefahren. Fraglos mit Absicht. Sowas muss man als MiniMal-Repräsentant hinnehmen, es seien Schatten der Liebe, meinte die Marktleiterin.

Unterm Strich was das Leben in der MiniMal-Förderung aber gut, weil es eine saubere Kette ist, die immer schon die neuen Sachen aus der Fernsehwerbung hat. Auch schlägt einem die Auslage nicht so wie bei Penny den eigenen Mangel um die Ohren, wo der niedrige Preis dadurch bewiesen wird, dass sich niemand um den Aufbau der Dinge kümmert.

Überzeugt haben mich auch die von der Decke baumelnden Klingeln. Wer es eilig hat, kann darauf drücken, wenn die Schlange an der Kasse zu lang wird. Ein Sprechautomat bedankt sich für den Hinweis und sagt, dass gleich eine weitere Kasse geöffnet wird. Weitere Kassen werden aber erst geöffnet, wenn die Kassiererinnen wie früher mit einer Weihnachtsglocke läuten. Letztlich, glaube ich, betrachtet MiniMal den tertiären Sektor als Witz. Man braucht hier einfach Dinge in einem klar abgesteckten Kontext, an dem es nichts zu verändern gibt. Die Dinge müssen ihren Platz im Regal haben, sonst finden die Kunden sie nicht, was in der Kunst wieder ähnlich ist. Da haben beide Seiten sich wieder etwas zu sagen und einige könnten dabei sogar auf einen grünen Zweig kommen. Es war eine gute Zeit mit dem Stipendium vom MiniMal. Ich kann es empfehlen.