Momus – Der Fremde
1991 trafen in London drei junge Männer aufeinander: Der Fotografiestudent Wolfgang Tillmans sollte ein Portrait bebildern, das der Journalist Christian Kracht im Auftrag der Zeitschrift Tempo über den schottischen Musiker Nicholas Currie schrieb. Tillmans ist heute ein weltbekannter Künstler. Kracht veröffentlicht aller Jubeljahre ein schmales, stets Aufsehen erregendes Buch. Currie prophezeite, noch bevor irgendjemand absehen konnte, wie sehr das Internet die Welt verändern würde, dass die Zeit der großen Popstars angesichts der wachsenden Digitalisierung des Musikmarktes vorbei sei. In Abwandlung von Andy Warhols berühmt gewordenem Ausspruch schrieb er damals in einer schwedischen Tageszeitung: „In Zukunft wird jeder für fünfzehn andere Leute berühmt sein.“ Und es ist, als hätte er sich damit selber beschrieben.
Nahezu zwanzig Jahre nach der Londoner Begegnung fasst Nick Currie, in einem Café in Berlin Neukölln sitzend, sein Dasein als ewiger Geheimtipp in einem schönen, zwischen Bescheidenheit und Eitelkeit oszillierenden Satz zusammen: „Ich habe nur wenige Fans, die aber sind von bester Qualität“. Christian Kracht zum Beispiel beeindruckte er damals dermaßen, dass dieser ihm ein Buch widmete und ihn sich als Grabredner wünscht. Statt über fünfzehn verfügt er wohl eher über 15 000 Fans, die allerdings über die ganze Welt verteilt sind und sich an dank des Internets und Curries häufigen Kontinentalreisen an seiner stetigen und höchst vielfältigen Produktion erfreuen.
Currie ähnelt mit seinem riesigem Mund und der klapprigen Statur seinen erklärten Idolen Jaques Brel und David Bowie ungefähr zu gleichen Teilen. Im Gespräch ist er ausgesucht höflich und äußert mit leiser Stimme und dem stets gleich einer Schildkröte nach vorn gerecktem Kopf ausschließlich wohlgesetzte, nicht selten selbstironische Überlegungen. Ganz gleich, ob Currie den Spott nun gegen sich oder andere richtet, er ist offenbar eine seiner Triebfedern. Und so hat er sich seinen Künstlernamen „Momus“ auch vom griechischen Gott der leisen Herablassung geliehen.
1987 gelang ihm mit „Hairstyle Of The Devil“ ein veritabler Radiohit in England, seitdem veröffentlichte er ein Album nach dem anderen. Eines mit Tributen an Serge Gainsbourg und eines mit Songs, die er jedem schrieb, dem diese Ehrerbietung 1 000 Dollar wert war, darunter dem Künstler Jeff Koons. Auch in der Kunstwelt betätigte Momus sich verschiedentlich. Etwa indem er Besucher einer Darwin-Ausstellung herumführte, ihnen aber vor einem Gemälde zweier kämpfender Urzeitmenschen statt seriösem Hintergrundwissen die evolutionären Vorteile der einen über die andere Frisur erklärte.
Currie ist, was man im Englischen einen „artist’s artist“ nennen würde: Ein Künstler, der besonders von seinesgleichen geliebt wird. Dass er trotz einer kaum überschaubaren Aktivität in den Bereichen Kunst, Musik und Journalismus bislang noch nicht zu Weltruhm gelangt ist, könnte seiner Meinung nach daran liegen, dass er die Sympathien der meisten Leute irgendwann verspiele. Sein letztes Interview mit einer britischen Zeitschrift gab er Anfang der neunziger Jahre. „Zu einer Zeit, als es in Großbritannien auch für Angehörige der Mittelklasse sehr angesagt war, sich vollkommen daneben zu benehmen. Das stieß mir auf und ich sagte gegenüber eines Lifestyle-Magazins, dass die genetische Qualität englischer Fußballfans sehr gering sei und sie sich deshalb mit Angehörigen anderer Kulturen, wie Bangladeschis oder Pakistanis, kreuzen sollten. Ich benahm mich wie eine Art Anti-Sarrazin, allerdings auf der Basis der gleichen kruden Argumentation.“ Auf diese Art zur Persona non grata geworden, zog er nach Paris; von dort kam er über New York und Tokio schließlich nach Berlin.
Zu diesem Zeitpunkt schrieb Currie in seinem Blog „Click Opera“ bereits täglich kluge, theoretisch fundierte und dutzendfach kommentierte Essays über, beispielsweise, die kulturelle Bedeutung des Pierrot-Motivs. Oder die für alle Beteiligen irritierende Erfahrung, sich mit einem marokkanischen Kaftan bekleidet auf den türkischen Wochenmarkt zu begeben.
Momus, der am Tag des Interviews mit einer fein geblümten Stoffhose die traditionelle Bekleidung japanischer Bauern trägt, ist ein Freund von Verkleidungen und ein unbedingter Befürworter von Fremdartigkeit und Differenz. „Die Leute erleben kulturelle Unterschiede allzu oft als Provokation im schlechtesten Sinne. Um zu beweisen, dass man kein Islamist ist, soll man akzentfreies Deutsch sprechen und Jeans tragen. Das Problem ist aber nicht die Andersartigkeit als solche, sondern unser Umgang mit ihr. Deshalb sehe ich es als meine Pflicht an, gewöhnungsbedürftig auszusehen.“ Seine Augenklappe ist keine Verkleidung. Sie verdeckt einfach nur sein verloren gegangenes oder, wie er es nennt, sein „schlechtes“ Auge. „Allein durch die Klappe sehe ich schon eigenartig aus. Aber anstatt diese Auffälligkeit zu verstecken, kann ich sie auch gleich übertreiben.“
Den Blog stellte er mit seinem 50. Geburtstag Anfang des Jahres ein, weil diese Art des Schreibens ihm zwar kein Geld einbrachte, dafür aber einen Großteil seiner Zeit beanspruchte. Die verwendet der Universalist Currie jetzt darauf, Bücher zu schreiben. Sein dritter, im nächsten Jahr erscheinender Roman heißt „The Book of Japans“. Darin berichten zwölf Männer von ihren angeblich unternommenen Zeitreisen ins Japan des 22. und 23. Jahrhunderts, während zwölf Experten versuchen, den Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen zu ergründen. „Mich interessiert die Verdopplung oder sogar Verdreifachung einer Fremdheitserfahrung. Ein Buch über Japan ist die erste Stufe, als Schauplatz die schottischen Shetland-Inseln zu wählen, ist die zweite. Der dritte Grad der Fremdheit ist die Zukunft. Es ging mir darum, herauszufinden, was Leute sich ausdenken, wenn ihr Wissen weiße Flecken aufweist.“
Das Buch hat Currie zufolge strukturelle Parallelen zum Werk seines Lieblingsautors Franz Kafka: „Abgesehen vom ersten und letzten Kapitel ist es völlig egal, in welcher Reihenfolge man „Das Schloss“ liest. Abgesehen von der Begebenheit, dass ein Handlungsreisender als Insekt erwacht, ist alles, was in der „Verwandlung“ passiert, sehr realistisch. Genauso verhält es sich mit „The Book of Japans“, das man auch an jeder beliebigen Stelle zu lesen anfangen kann. Das einzig Fantastische an meiner Erzählung ist, dass Menschen in den Bäuchen von Kühen in die Zukunft reisen. Bei allem anderen aber handelt es sich um als Fiktion verkleidete Fakten.“
Dieser Tage erscheint Momus’ Album „Hypnoprism“. Es ist sein achtzehntes. Das Erkenntnisinteresse galt diesmal dem Hitfaktor, über den Songs, die mehrere Millionen Mal auf Youtube angeklickt werden, ganz offenbar verfügen. Statt aber eine Formel zu extrahieren und nach Anleitung ein entsprechendes Hit-Album zu bauen, arbeitet sich Momus am Gegenteil ab. Er versucht die Vorbilder durch seine eigene Bearbeitung in gänzlich unpopuläre Stücke zu verwandeln. Was ihm nur bedingt gelingt. Hypnoprism versammelt eine Reihe - trotz zahlreicher mutmaßlich zugefügter Dellen - verführerisch buntschillernder Song- nun ja… Murmeln.
Der Begriff „Perlen“ würde sanft dahingesungenen Zeilen wie „Oh what fun it is to be an evil genius“ kaum gerecht werden. „Datapanik“ ist das wahrscheinlich erste Lied über Albtraum des vollständig durchdigitalisierten Menschen: dem Abhandenkommen sämtlicher Computerdaten. Vorbild für das launige Stück war „Alone Again (Naturally)“ des Sängers Gilbert O’Sullivan. Der singt darin beschwingt davon, dass er von seiner Geliebten sitzen gelassen wurde und die ihn seither plagenden Selbstmordgedanken.
Vielleicht ist es ausgerechnet dieser verdrehte Ansatz - das Arbeiten gegen das Erfolgreiche - der Nick Currie nun zu durchschlagenderem Erfolg verhilft. Verdient hätte er es. Vielleicht bleibt aber auch alles wie bisher. Currie selber verlässt Ende nächsten Monats Berlin in Richtung Osaka. Für seine berufliche Zukunft wünschen wir ihm alles Gute.