Der Dreh mit der Genehmigung

Reportage
zuerst erschienen am 21. Mai 1997 in Süddeutscher Zeitung, S. 9

„Der Schauspieler läuft also vom KaDeWe über die Tauentzienstraße, da ist das Tiefbauamt Schöneberg zuständig, dann brauchen wir eine weitere Drehgenehmigung von der Polizeidirektion und dem Polizeiabschnitt des Bezirks. Wenn jetzt unser Mann auf den Grünstreifen tritt, muß das Gartenbauamt einverstanden sein.“ Der Produktionsleiter Markus Bensch grinst sadistisch, denn jetzt kommt’s: „Dort auf der Mitte des Grünstreifens liegt aber die Grenze zu Charlottenburg. Also brauchen wir auch Drehgenehmigungen des dortigen Gartenbauamtes, deren Polizeidirektion und Polizeiabschnitts sowie auch des Charlottenburger Tiefbauamtes, wenn der Schauspieler auf der anderen Seite der Straße angekommen ist. Das sind sechs oder acht Genehmigungen. Für eine Szene.“

Zum Glück haben sie nicht nachts gearbeitet, denn sonst hätten noch zwei Umweltämter Genehmigungen eingefordert, die nicht die üblichen 100 Mark kosten, sondern zehnmal soviel. In keiner deutschen Stadt wird soviel beantragt wie in Berlin. Und nirgendwo wird mehr gedreht. Jeden Tag stapfen an die 20 Filmteams durch die schillernden Pfützen der Hinterhöfe, Hunderte von Produktionsleitern, ihre Assistenten und Aufnahmeleiter beantragen Drehgenehmigungen für alles, was nach Großstadt aussieht. Berüchtigt ist vor allem die Charlottenburger Polizeidirektion Zwei, die sich schon mal weigert, Anträge zu bearbeiten oder bei lästigen Aufnahmeleitern einfach den Telephonhörer auflegt. „Aber das Gute in Berlin ist ja, wenn es in einem der 23 Bezirke nicht klappt, geht man halt zum nächsten“, erklärt Markus Bensch: „In anderen Städten gibt es nur ein Ordnungsamt oder Kreisverwaltungsreferat. Wenn da jemand in Urlaub ist oder keine Lust hat, ist man geliefert. In München kann man kaum noch in der Innenstadt drehen, und in Köln ist überhaupt keine Filmkultur in der Verwaltung. Düsseldorf ist okay, aber das sieht einfach Scheiße aus. Berlin ist zwar umständlich, aber liberal.“

Um sich im Genehmigungsdschungel der Hauptstadt zurechtzufinden, hat das Filmboard Berlin-Brandenburg, die Filmförderung der beiden Länder, letzten November ein Koordinationsbüro eingerichtet. Markus Bensch findet das nicht so richtig toll, sein Kapital ist ja das Wissen um die Durchwahl zum Tiefbauamt in Reinickendorf. Wenn man mit Roland Schmidt vom Koordinationsbüro Kaffee trinken geht, deutet er mit dem Finger auf die Filmkulisse der Stadt: Fernsehturm, Bewag, BVG, Rathäuser, Denkmäler, Flughafen, Avus. Und hinter allem, wie Wäschewapperl im Hemdkragen, stecken unsichtbare Namen, die Filmerlaubnisse erteilen können: die nette Frau Sowieso und der nette Herr Sowieso. Bei Roland Schmidt sind alle nett, denn er ist diplomatisch und nur sehr schwer sind von ihm Klagen zu hören. „Das mit den Genehmigungen klingt komplizierter, als es ist, denn oft läuft das über den kleinen, schnellen Dienstweg.“

Ja, gibt Roland Schmidt nach weiterem Bohren zu, es sei manchmal vielleicht ein klein wenig umständlicher als nötig, in Gefängnissen und Gerichtsgebäuden zu drehen. Ausgerechnet die fallen in die Zuständigkeit des Senats, der ja den Druck auf die Verwaltung ausübt, Berlin filmfreundlich zu gestalten. Gut, nun ja, Roland Schmidt windet sich etwas, es gäbe da auch neben den ganzen bereits erwähnten speziellen Drehgenehmigungen auch noch eine Allgemeine Drehgenehmigung, die 500 Mark im Jahr kostet. Keine andere Stadt verlangt so etwas, und so weiß auch niemand, wozu die gut ist. Die Allgemeine Drehgenehmigung wurde vom Alliierten Kontrollrat eingeführt, und seitdem hat man einfach vergessen, sie abzuschaffen. Seine Aufgabe sei es nicht nur, Behörden auf Trab zu bringen, auch gewisse Filmproduktionen, Namen nennt Roland Schmidt natürlich nicht, würden nach dem Weiterzug der Karawane einen Berg Müll hinterlassen, und er müßte jetzt zwischen so einer und der Potsdamer Friedhofsverwaltung vermitteln, die über umgestürzte Grabmäler bei einem Dreh verärgert war.

Aber sonst läßt Roland Schmidt nichts auf den Drehort Berlin kommen: „In keiner anderen deutschen Stadt kann man einen Absperrdienst noch um 23 Uhr privat rausklingeln, dann stellen Vater und Sohn noch vor Mitternacht Halteverbotsschilder raus. Hier ist alles möglich. Sie können eben das Brandenburger Tor sperren, auch für drei Tage. Und was Sie hier an Szenerie finden, ist einmalig, Und außerdem ist das Lohnniveau in Berlin niedriger.“

Das ist ein ganz eigenartiger Punkt, den Roland Schmidt als Standortvorteil anpreist. Denn obwohl für einen normalen Fernsehfilm rund zwei Millionen Mark veranschlagt werden, egal ob in München oder Berlin gedreht wird, bekommen die Filmschaffenden hier weniger. Vermutlich verschlucken die Genehmigungsbehörden das ganze schöne Geld. Unter guten Beleuchtern, Ausstattern, Requisiteuren und Kostümbildnern hat Berlin deshalb einen schlechten Ruf. Sie weigern sich, für Filme zu arbeiten, die nachher aussehen wie Kantinenessen schmeckt. Deshalb fehlt es bei Billigproduktionen, das sind vor allem Serien, an professionellem Personal. „Jeder, der sich in Berlin Aufnahmeleiter nennt, kriegt sofort einen Job“, fährt Roland Schmidt fort: „Diese Produktionen machen dann oft Probleme.“

Die Produktionsbedingungen sind in Berlin noch aus einem weiteren Grund ganz speziell und hochsensibel. Es gibt da dieses dumme Ost-West-Ding. Dieser feine Riß in der Gesellschaft, von dem schon keiner mehr hören will, knirscht noch am deutlichsten in Berlin, als würden sich da zwei tektonische Platten gegeneinander verschieben. Und gerade bei Dreharbeiten, dieser komprimierten Ehe von dreißig Filmschaffenden, die sich für vier Wochen 12 bis 16 Stunden täglich auf die Nerven gehen, ausgerechnet da stoßen die beiden Kulturen zusammen. Das ehemalige Defa-Personal, ausgebildete Gewandmeister und Diplomfilmwirtschafter, treffen in der freien Marktwirtschaft auf Quereinsteiger mit großer Klappe, die sie intern „Münchner“ nennen. Das Münchnerische ist, neben den üblichen Wessi-Eigenschaften, ihr Lohnanspruch: „Ihr mit euren Münchner Ansprüchen“ empörten sich Produktionsleiter mit DDR-Background, wenn sich jemand weigert, nach Tarif bezahlt zu werden.

Die Münchner, die in Wirklichkeit Lörracher oder Frankfurter sind, werfen nun ihrerseits den ehemaligen Defa-Angestellten neben den üblichen Ossi-Eigenschaften Lohndumping vor. „Das mögen ja alles gute Leute sein, die können was, aber ich würde die nie einstellen: Ich hatte jetzt Beleuchter, die konnten nicht mal mit Walkie-Talkies umgehen.“ – „Und mein Produktionsleiter wußten nicht, daß Filmbudgets netto kalkuliert werden. Wir hatten einen Riesenkrach, dem muß gedämmert haben, daß ihm seine Filmproduktion seit sieben Jahren die Mehrwertsteuer unterschlagen hat. Die gab es ja nicht in der DDR.“