Novemberlicht

Essay
Zuerst erschienen am 13. November 1996 in Süddeutsche Zeitung, S. 8

November. Zeit, um Tom Waits oder Schubert zu hören und beim Spazierengehen über glitschiges Laub zu schliddern. Und Schokolade zu essen. Schokolade macht glücklich, da ist nämlich was drin, was unsere körpereigenen Glückshormone aus der Reserve lockt. Sonne wäre auch gut. Aber die verzieht sich ja jetzt schon frühzeitig hinter den Horizont, deshalb fliegt der Berliner nach Thailand oder Südamerika und versucht, seine billige Wohnung währenddessen teuer unterzuvermieten. Der Untermieter muß es schokoladeessend in der Dunkelheit aushalten, die hier fast arktische Dimensionen erreicht, denn aus irgendeinem Grund finden Berliner Gastwirte Dunkelheit heimelig.

In den Berliner Bierlokalen, Kneipen und Eßlokalen herrscht mit Vorliebe ein schummriges Zwielicht, in dem man kaum die Speisekarte lesen kann. Als wäre man in einem fensterlosen Kellerlokal und der Wirt müßte mit zwei Kilowatt über den Winter kommen, die ihm sein Hamster im Laufrad liefert. Das ist nämlich gemütlich. Und romantisch. Wie dieses saublöde Candlelight-Dinner aus den Kontaktanzeigen. Das Essen sieht immer gleich gesund aus, braun und matschig.

He Leute, macht das Licht an! Licht macht glücklich, es hilft gegen Depressionen. Licht macht klug, denn man kann damit Zeitung lesen. Licht macht schlank, denn man muß keine Schokolade mehr essen. Und wenn ihr gleich dabei seid, schmeißt auch die Lederjacken auf den Müll. Und all eure schwarze Kleidung, der November als Ganzkörperkondom, denn dieses nihilistische Keller-Boheme-Outfit mit Rocker-Appeal macht auch depressiv, das haben nämlich amerikanische Wissenschaftler herausgebracht. Im Sommer war ich mal mit vier Berlinern im Grünen verabredet, und daß es Berliner waren, erkannte man sofort, denn alle trugen Schwarz, von Kopf bis Fuß. Mann, sah das beknackt aus mitten im Wald, wie im Schlaf gestörte Fledermäuse.

Aber macht erstmal bitte, bitte das Licht an, dann seht Ihr nämlich, wie bescheuert zwanzig schwarze Lederjacken vor zwanzig Biergläsern aussehen. Wie eine Zeitblase aus den achtziger Jahren, die aus einem Moderloch hervorblubbert, welches schlecht riecht. Mehr Licht!