Deine Kleidung war verschieden von der meinen

Erkundung
zuerst erschienen am 31. Oktober 2001 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 53
Für eure halbierten Kürbisschalen sind wir erst jetzt bereit: Afrikanische Mode in Stuttgart

Mode, „made in Africa“ - das scheint sich nicht zu reimen. Gilt der an traditionellen Kulturen reiche Erdteil doch eher als Fundus für das, was der Westen an die Stelle ethnischer Kleidungsordnungen setzte: ein Potpourri der Stile und Zitate, vom Genius wechselnder Designer frei für den Hunger nach Reizen und Innovationen interpretiert. Doch Afrika ist längst nicht mehr aus der Welt. Seine Begabungen studieren an Pariser und New Yorker Schulen, und auch auf dem Kontinent selbst ist es längst vielerorts möglich, sich zum Modespezialisten ausbilden zu lassen. Der Dialog zwischen Dekadenz und Folklore ist weit fortgeschritten, auch wenn die Produktivkräfte immer noch vorwiegend in europäisch-amerikanischer Hand sind.

Die Stuttgarter Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen überrascht den Besucher der „Mode made in Africa“-Ausstellung durch den Verzicht auf exotische Fülle. Aus der Vielzahl afrikanischer Modemacher wählt sie nur drei Repräsentanten aus. Die Exponate sind in einem überschaubaren Raum versammelt, Videovorführungen dienen dem Füllen der Lücken. Der bekannteste Vertreter afrikanischen Chics ist Alphadi, ein in Timbuktu geborener und in Paris sowie am Washingtoner „Institute for Technology“ in die Lehre gegangener Designer, der zugleich der „Föderation afrikanischer Modeschöpfer“ vorsteht. Für seine vermögenden Kunden im In- und Ausland entwirft er Schößchenkleider und schimmernde Kaminröcke, Bustierkreationen und Abendroben mit Puffärmeln und Versailler Dekolletés. Obwohl der Pariser Couture-Einfluß in die Augen springt, bewahrt sein Stil eine fast kultische Grandezza, zu der steife Damast- und Seidenstoffe mit mäandernder Stammesmalerei und großen Batikornamenten zählen. Doch auch fließende Spitzenkleider gehören zu seinem Repertoire; der Akzent liegt hier auf dem Bustierteil, das plastisch herausgearbeitet und mit graphischen Chiffren dekoriert ist.

Oumou Sy ist die am stärksten in der afrikanischen Kultur verwurzelte Ausstellungsteilnehmerin. Die Senegalesin führt ihr Atelier auf der Basis des traditionellen Schneiderhandwerks, ihre Angestellten rekrutiert sie unter den meist männlichen Stadtteilschneidern, deren Metier in Afrika noch sehr lebendig ist. Wie jüngst auch bei einem Defilee der Hannoveraner Weltausstellung zu sehen war, kombiniert sie afrikanische Stoffe mit Diva-Silhouetten und weiß ethnische Elemente mit ironischer Bravour zu inszenieren. Ein in Binsenfransen auslaufendes Bustiertop aus Korbgeflecht, Hornplättchen-Stoffbesatz, Pfauenfedern und dramatisch große, über die Ärmel gezogene Bastreifen sind ebenso ihre Spezialität wie halbierte Kürbisschalen, die das Model als Oberarmrosette oder Halsschmuck trägt. Die meist bodenlangen, mit Falten, Schärpen und Schleppen versehenen Kreationen sind festlich und unfehlbar elegant. Der surreale Esprit, mit dem die Autodidaktin ihre Werke konzipiert, bedient sich neben herkömmlichen Mitteln auch aus dem Space-Age- und High-Tech-Arsenal. Dazu gehören nicht nur Vinyl und Metall, sondern auch CD-Scheiben, mit denen sie eine ausladende Robe von oben bis unten bestickt hat. Oumou Sy ist eine Virtuosin des Werkelns und Bastelns, die oft auch das Weben und Färben der Stoffe übernimmt. Das Allroundtalent engagiert sich durch die Organisation von Defilees, die Gründung eines Modeinstituts und eines ersten afrikanischen Internet-Cafés für die Popularisierung afrikanischer Mode. Ihre vielseitigen Aktivitäten brachten sie kürzlich sogar mit dem Gesetz in Konflikt. In Dakar steckte man die gleichzeitige Direktorin einer Model-Agentur ins Gefängnis, weil sie verdächtigt wurde, unter dem Vorwand einer Modenschau anläßlich des zweiunddreißigsten libyschen Revolutionsjubiläums an die hundert junge Mädchen an Top-Politiker verkuppelt zu haben.

Vor solchen Interferenzen zwischen Luxus und Halbwelt scheint ihr Kollege Joël Andrianomearisoa sicher. Der vierundzwanzigjährige Madagasse interessiert sich weniger für tragbare und Begehrlichkeiten weckende Garderobe als für den Schnittpunkt von Mode, Architektur und Performancekunst. Schon mit zwölf Jahren hat er in seiner Heimat das Modestudium aufgenommen und belegt seit 1998 in Paris Architekturseminare. In Museumskreisen ist der Avantgardist bekannter als in der Laufstegwelt. Andrianomearisoa stellte sich bei der Eröffnung der Stuttgarter Ausstellung durch ein Happening vor. Auf einem langgestreckten Podium hüllte er unbewegliche Models in biegsame schwarze Pappe ein, aus der er sie dann durch Risse und Einschnitte wieder hier und da befreite. Auf diese Weise entstand ein sich beständig wandelndes Personenfries, dem der Madagasse bizarre Momentschönheiten und aufregende Verstöße gegen unser Proportionsempfinden entlockte. Das Ereignis, bei dem auch andere schwarze Materialien, Tonbandspulen und Eisenspäne, zum Einsatz kamen, ist auf Film festgehalten. Auf dem Podest hingegen überdauern nur die zu Boden gesunkenen Reste der Inszenierung. Das ist ganz im Sinne des Architekturstudenten, ihm liegt an flüchtigen Balancen zwischen Abstraktion und lebendiger Form. Ein anderer Bildschirm zeigt einen sehr informativen, allerdings nicht übersetzten Bericht des französischen Fernsehens über afrikanisches Modedesign. Dort ist auch ein weißes Defilee des Madagassen zu verfolgen, der seine Exzentrik durchaus zu dosieren versteht.

„Ich bin sehr ungeduldig, auch Farben in meine Arbeit zu integrieren“, bemerkt der in seiner Entwicklung sehr systematisch vorgehende Künstler bei einem Treffen in Paris, zu dem er in einem selbstentworfenen Cape erscheint. Er legt es auf dem Teppichboden der Hotelbar aus und erklärt sein Arbeitsprinzip. Das Cape ist aus Rechtecken zusammengesetzt. Die Grundeinheit für Andrianomearisoa ist ein fünfzig mal fünfzig Zentimeter großes Stück schwarzer Gabardine. Auch das hat er mitgebracht, andächtig entrollt er das in schwarzes Seidenpapier gebettete Urquadrat. Sein Studium der Spannungen, die sich aus der Begegnung von geometrischer Fläche und Körperrundungen ergeben, zielt auf skulpturale Volumen, kubistische Effekte und eine Herausforderung der Individualität, die sich im planen Gerüst behaupten muß. Andrianomearisoas Herkunft schreibt sich nur sehr vermittelt in die Arbeit ein, sie mag in den kühnen Kopfputzkonstruktionen ebenso sichtbar sein wie in den aleatorischen Materialien, dem experimentellen Überschwang, der bei aller Disziplin vorhanden ist. Das verbindet ihn mit den beiden anderen, in Stuttgart vorgestellten Designern. Gemeinsam ist ihnen ein starker Spieltrieb, der das Gefällige an seine Wurzeln: das Erstaunen, zurückverweist. Andrianomearisoa, Sy und in gewissem Grade auch Alphadi zeigen, daß das Schöne nicht nur unsere Erwartungen befriedigt, sondern, wenn es Mode werden will, auch immer etwas von einem interessanten Ärgernis hat, das den Schock nicht verschmäht. Zur wahren Pracht gehören die Fremdheit und der Abglanz einer Welt, die wir weder kennen noch durchschauen. Insofern ist Afrika für einen Auftritt im nach Impulsen lechzenden Modegeschäft geradezu prädestiniert.