In aller Nähe so fremd

Filmrezension
zuerst erschienen am 7. August 2011 in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 31, S. 23
Für Ausbruchsspezialisten: „Prevolution“ zeigt, wie die Erde ein Planet der Affen wird

Sie hießen Washoe, Koko oder Nim Chimpsky. Ihre Namen stehen in Lehrbüchern zur Sprachentstehung und Kommunikationsforschung. Sie waren Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Manche von ihnen, wie Washoe und Koko, haben ihre Jugend in engstem Kontakt zu ihren menschlichen Betreuern verbracht. Sie waren jene Versuchstiere, denen Psychologen die amerikanische Gehörlosensprache Ameslan beibrachten, um mit ihnen in einen Dialog über die Artgrenzen hinweg einzutreten. Mittlerweile sind sie weltberühmt. Ihre Geschichten gehören, spätestens seit Hollywood 1968 „Planet der Affen“ herausbrachte, zur amerikanischen Populärkultur. Dabei war der Film, in dem Charlton Heston, nur mit einer Unterhose bekleidet, von Schimpansen an Ketten durch die Wüste geführt wird, eine Szene, die zur Ikone wurde, so erfolgreich, dass Hollywood bis 1973 vier Fortsetzungen folgen ließ.

„Planet der Affen: Prevolution“ reiht sich bewusst in diese Traditionslinien. Die reale Folie, auf der der Film seine Geschichte entwickelt, ist der Lebensweg jener Menschenaffen, die in Sprachversuchen aus der Wald- und Affenwelt herausgerissen wurden, um sie in Haus und Labor neu zu sozialisieren. „Prevolution“ ist dabei der erste Film überhaupt, der einen genauen Blick auf den zweiten, den weniger bekannten, dunklen Lebensabschnitt von Nim Chimpsky und den anderen wirft: Fast alle Menschenaffen aus den Sprachversuchen verschwanden nämlich nach ihrer - sozusagen luxuriösen - Phase in amerikanischen Forscherhaushalten in engen Gitterkäfigen, in den Kellern irgendwelcher Tierlaboratorien, wo sie mehr oder weniger furchtbar vor sich hin vegetierten.

Es lag an der Biologie der Tiere: Vor allem Schimpansen werden mit der Geschlechtsreife um das neunte Lebensjahr zeitweilig unberechenbar aggressiv und lassen sich nicht mehr im Haushalt oder Labor „normal“ halten. Die für die Wissenschaft unbrauchbar gewordenen, in gewisser Hinsicht überindividualisierten Tiere wurden dann meist in die Obhut von Tierpflegern übergeben, die an ihnen wenig interessiert waren. Im einzigen Ausnahmefall von dieser Regel, der Gorilladame Koko und ihrer Betreuerin, der Psychologin Francine Patterson, brachen beide, Patterson und Koko, jeden Kontakt zur Wissenschaft ab und zogen auf eine Farm in Kalifornien.

Die zweite Hälfte von „Prevolution“ spielt im Gitterkäfigmilieu der ausgemusterten Labormenschenaffen. Und wie der Film den Übergang vom verspielten, menschensozial verträglichen Schimpansen zum zunehmend aggressiv unverträglichen, erwachsenen Individuum an einem seiner Hauptdarsteller, dem Schimpansen Caesar, zeigt, das kann man nur als großartigen Realismus bezeichnen: Es sind kleine Gesten, verzögerte Reaktionen auf die Ansprachen der Menschen in seiner Umgebung, und es ist eine sich erst leicht, dann immer entschiedener ins Drohende verschiebende Mimik, die Caesars Wandel anzeigen.

Großartig ist das nicht nur, weil die Animationstechnik von Bewegungen, die man aus „Avatar“ kennt, in „Prevolution“ noch einmal verbessert werden konnte. Großartig ist das auch, weil Caesar Mimik und Gesten von Andy Serkis geliehen werden: Er ist zurzeit wahrscheinlich der beste Schauspieler, wenn es um die möglichst reale Ausformung der Ausdrucksbewegungen von Menschenaffen geht. Serkis hatte bereits in Peter Jacksons Film „King Kong“ von 2005 den Gorilla gespielt.

Raus aus der Hölle

Genauso gut, wie der Film mit dem Schauspieler Serkis und dem genauen Studium der Menschenaffensprachversuche auf seine Geschichte vorbereitet ist, ist er auch mit dem britischen Regisseur Robert Wyatt auf ihre Inszenierung vorbereitet: Wyatt gilt wie viele Menschenaffen als Ausbruchsspezialist. 2008 wurde er mit seinem Gefängnisfilm „The Escapist - Raus aus der Hölle“ bekannt. Und als Ausbruchsspezialist hat man natürlich auch immer einen sehr genauen Blick auf die Verhältnisse in Einschlussmilieus: Daraus wird in „Prevolution“ ein doppelter Realismus, der nicht nur die Bewegungen der Menschenaffen immer im Realen fundiert, sondern auch einen Realismus der Räume schafft.

Der Film beginnt mit einer leinwandfüllenden Aufsicht auf das Blätterdach eines tropischen Regenwalds. Sie ist so gelungen, dass sie noch, wenn der letzte Regenwald gerodet ist, dazu taugt, zu zeigen, wie es einmal war. Dann fährt die Kamera immer schneller in den Wald und folgt einem Trupp Schimpansen durchs Unterholz. Dabei wird die Kamera wie die Schimpansen immer unruhiger, denn es sind menschliche Jäger im Wald, die den Tieren nachstellen.

Man ahnt schon hier, dass die balletthaften Bewegungen der Kamera, die den Schimpansen folgt, den Film prägen werden - und freut sich auf die Fortsetzung des Tanzes in allen Räumen. Der Effekt hat nämlich von Anfang nichts Eitles an sich. Die Fahrten dienen der Sache. In der Eingangssequenz endet die Fahrt mit der zuschlagenden Klappe einer Fangbox, aus dem Gitter schaut ein Schimpanse heraus. Und seine Augen - da muss man den Pressetext korrigieren - bleiben den ganzen Film über bei aller Nähe unheimlich fremd. Es gehört zu den herausragenden Leistungen dieses Films, dass er auch in der Empathie mit den Tieren die Distanz wart. Es ist kein umgekehrter Blick, der sich anmaßt, die Welt aus der Sicht der Affen zu erklären.

Vom Regenwald geht es mit einem Schnitt sofort ins Labor. Da sitzt der gefangene Schimpanse dann mit seinem Trainer an mathematisch-mengentechnischen Aufgaben vor seinen Geräten und löst sie in einer Geschwindigkeit, die kein Mensch hinbekommt. Der Forscher Will Rodman, den James Franco gerade in seiner schlank-agilen Dauerarbeitspräsenz sehr gut spielt, hat auf der Suche nach einem Alzheimer-Medikament dem Tier das Hirn gentechnisch verändert - und damit einen Intelligenzsprung ausgelöst. Das gibt natürlich Anlass zum Feiern und zu noch agileren Vorträgen des jungen Forscherstars. Diese Bilder der Wissenschaft von heute sind kurz und wie der Regenwald auch nicht das Thema des Films, aber sie sind so getroffen, dass auch sie als Zeitdokument taugen.

Während eines solchen Vortrags kommen dann beim Schimpansen die Nebenwirkungen des Eingriffs zum Ausbruch. In einem rasenden Tobsuchtsanfall greift er seine Pfleger an, verwüstet das Labor und wird schließlich erschossen. Damit gilt das Experiment als gescheitert, Rodman muss enttäuscht seine Forschungen abbrechen. Er kehrt mit dem kleinen Schimpansen Caesar, dem Sohn des gerade erschossenen Tiers, nach Hause. Er lebt mit seinem alzheimerkranken Vater. Als das Leben mit dem Kranken nicht mehr auszuhalten ist, gibt er ihm eine Dosis des Medikaments aus dem gescheiterten Versuch. Der Vater wird gesund. Caesar wächst mit den beiden glücklich auf, er wird immer klüger, bis auch seine Aggressionen unkontrollierbar werden und er gesperrt wird.

Rein in die Zeichen

Im Knast der ausgemusterten Menschenaffen fangen die Tiere an, sich gegen die unerträglichen Peinigungen eines ausgesucht dämlichen Pflegers zu organisieren. Und sie tun das über die Artgrenzen hinweg in der Sprache, die die Menschen ihnen beigebracht haben. Als sich der Schimpanse Caesar durch die Gitter seines Käfigs hinweg mit einem Orang-Utan im Käfig gegenüber verständigt, und zwar in Gehörlosenzeichensprache, ist das eine der eindringlichsten Szenen des ganzen Films. Die beiden deuten die Zeichengesten nur an, genau, wie es die Tiere in den amerikanischen Versuchen in Wirklichkeit taten. Sie legen eben keine individuelle Emotionalität in die Zeichen. Sie bedienen sich dieser Sprache rein technisch.

Vielleicht schaffen sie es auch deshalb, sich zu organisieren. Schließlich gelingt ihnen der Ausbruch. Und wie sie dann marodierend durch San Francisco ziehen, um in einer Art Kampfaffenballett im Showdown des Films auf der Golden Gate Bridge ihre menschlichen Peiniger zu schlagen, in einer geschichtsträchtigen Schlacht, das ist eine Form amerikanischer Selbstkritik, wie sie hierzulande noch kein populärer Film hinbekommen hat.