Der lange Weg zur Affenwürde
Dem Zuschauer des eben in die Kinos gelangten „Planet of the Apes“ bietet sich ein beunruhigender Anblick: Äußerst behende Gorillas treiben, auf Armen und Beinen rasend, die Menschen in die Enge. Ihre Bewegungen sind fließend, stolz und von einer auf uns fremd wirkenden Kraft. Welch ein Unterschied zum Original von 1968. Damals führten die Affen hüpfend wie schlecht gezogene Marionetten ihre menschlichen Sklaven über ihre Erde. An den Bewegungen störte sich aber niemand. Es ging ja nicht wirklich um Tiere. Im verkehrten Amerika herrschten Affen, präparierten Menschen fürs Museum, und ein Schimpansenforscherehepaar war auf der Suche nach dem „missing link“, das ihre gemeinsame Herkunft mit der Rasse der Ausgestopften klären sollte.
„Planet der Affen“ spiegelte viel von den politischen Auseinandersetzungen der Zeit wieder, von der Bürgerrechtsbewegung bis zum Krieg in Vietnam. Der Regisseur des Remake, Tim Burton, hat diese Anspielungen weder übernommen noch aktualisert und damit mit einer langen Tradition gebrochen, die schon in den Tagen von „King Kong“ begann. In Hollywood entstanden viele Geschichten um Affen, genauer: um Menschenaffen (apes), in denen die Tierdarsteller mehr oder weniger unbeholfen durch die Szenen stolperten. Dabei waren die Bilder niemals reine Phantasie. Sie nahmen auf verschiedene Weise Motive auf, die Wissenschaftler mit den populären Versionen ihrer Arbeiten verbreitet hatten. Und die mit Affen arbeitenden Psychologen und Anthropologen waren auf der Suche nach den Ursprüngen des menschlichen Zusammenlebens. Wer einen Affen darstellt, meint damit meist einen Menschen.
Daß Affen in den Vereinigten Staaten zu einer herausragenden Ikone populärer Mythen und einem Symbol werden konnten, an dem sich die Geister scheiden, hat auch mit dem unentschieden gebliebenen Kampf zwischen Wissenschaft und Religion zu tun. Seit die Evolutionstheorie die säkulare Fassung der Entstehungsgeschichte der Arten erzählt, werden die Spannungen zwischen Religion und Wissenschaft auf der Bühne der Primaten, des „Affentheaters“, wie es John Berger nennt, ausgetragen. Als 1925 in der Kleinstadt Dayton im „Affenprozeß von Tennessee“ das Wort Gottes der Bibel und die Schriften Charles Darwins vor Gericht standen, wurde der Angeklagte, ein Biologielehrer, der Darwin im Unterricht las, erst verurteilt und später wegen eines Formfehlers freigesprochen. Im selben Jahr veröffentlichte der Psychologe Robert Yerkes, einer der Pioniere der Primatologie, seine Erfahrungen mit zwei in Boston von einem Seemann erworbenen Schimpansen unter dem Titel „Almost Human“.
Yerkes meinte festgestellt zu haben, daß in wilden Affenverbänden motorisch aktive Männchen das Terrain für passive Weibchen sicherten. Der Rückschluß auf das menschliche Miteinander ließ nicht lange auf sich warten: Ein Gorilla namens King Kong verkörperte diese ursprüngliche männliche Kraft in einem Kinokassenerfolg von 1933. Ein Jahr vor „King Kong und die weiße Frau“ war der Bericht einer Studie über das Verhalten von Gorillas im Dschungel erschienen, der damit endete, daß der Wissenschaftler einen Gorilla-Silberrücken erschoß, als der auf seine Frau zurannte. Der Film reicherte also seinen Stoff mit aus der Wissenschaft entlehnten Bildern an.
Daß 1968 der „Planet der Affen“ im Zusammenhang mit Problemen der menschlichen Gesellschaft gesehen werden konnte, lag auch daran, daß die Wissenschaftler Affen mit immer konkreteren Fragen der amerikanischen Menschheit konfrontierten. Als Harry F. Harlow, zeitweilig in leitender Position psychologischer Berater der U.S. Army, seine Deprivationsversuche an Rhesusaffen begann, war er auf der Suche nach einem Primatenmodell für Kriegspsychosen und Depressionen, den in Amerika nicht zu übersehenden Folgen von Welt- und Korea-Krieg.
Etwa zeitgleich mit Harlow hatte an der University of Chicago der an klassisch- morphologischen Methoden der Primatenanatomie ausgebildete Anthropologe Sherwood Washburn begonnen, Vorlesungen zur frühen Hominidenevolution zu halten. Als dezidierter Gegner rassischer Klassifikationen und Hierarchisierungen führte er den von Ernst Mayr entlehnten Populationsbegriff in die Anthropologie ein. Washburn begründete seine Forschungsanträge mit der Bedeutung der Studien für die menschliche Psychologie und Psychiatrie. Die an freilebenden indischen Languren und afrikanischen Pavianen gewonnenen Ergebnisse führten dabei häufig zu konträren Einsichten und mußten nicht selten die vergleichende Perspektive zum Menschen aufgeben.
Wichtig ist hier, daß Washburn und viele seiner Schülerinnen immer auch Populärversionen ihrer Arbeiten verfaßten, an Lehrplänen von Schulen mitwirkten oder selbst Lehrfilme drehten. Es gab Anfang der siebziger Jahr kaum einen gesellschaftlichen Diskurs, in dem nicht Vergleiche zu nichtmenschlichen Primaten eine Rolle spielten - ganz gleich, ob es dabei um Krieg, Vorstadtkriminalität, alleingelassene Mütter, Streiks, Ehescheidung, Prostitution, die Überwachung schwarzer Rädelsführer durch Telemetrie oder die Gleichstellung der Frau ging.
Daß gerade in dieser Situation Menschenaffen zu einer Metapher wurden, die diese Sprengladungen aufnehmen konnte, lag auch an der National Geographic Society. Deren Magazin „National Geographic“ hatte die ersten reich bebilderten Reportagen einer jungen Engländerin veröffentlicht, die nur mit ihrer Mutter und einem Koch in den Urwald gezogen war, um Schimpansen zu studieren. Sie veränderte das herrschende Frauenbild, doch mehr noch das vom „edlen“ Affen. Sie konnte beobachten, wie Schimpansen andere fremde Gruppen überfielen und regelrecht vernichteten. Das brachte Primaten, diesmal nicht aus der „unnatürlich“ falschen Laborhaltung, wieder ins mit der Menschengesellschaft vergleichende Gespräch. Das gleiche gilt für die aufsehenerregenden Berichte von Kindstötungen unter Languren und Gorillas.
Diese Diskussionen indes begannen erst, nachdem die fünf Teile vom „Planet der Affen“ gelaufen waren. Der Werbeslogan für den zweiten Teil „Can a planet long endure half human and half ape?“ ist schon deshalb nicht auf den feindseligen, sondern auf den unterjochten Affen zu beziehen. Darum wohl wird hier auf Abraham Lincolns Prophezeiung, die Vereinigten Staaten von Amerika könnten die Teilung in „half free“ und „half slave“ nicht verkraften, angespielt. Trotz des Wissens um die wenig vorbildtaugliche Natur der Affen wäre „half“ heute, angesichts der Lage, daß beinahe jeder der letzten wilden Gorillas, Schimpansen und Orang-Utans namentlich bekannt ist, ein makabrer Witz.
Wenn Burton sagt, ihm sei es in seinem Film auch um Tierschutz gegangen, mag das nach einer Entschuldigung klingen, aber es beschreibt nur die wirkliche Situation. Der Regisseur zollt ihr Respekt, indem er seine Affendarsteller nicht tapsig herumhüpfen läßt, sondern sie in die Bewegungsschule zwingt. In ihren sensomotorischen Fähigkeiten liegt die Autonomie der Affen gegenüber dem Menschen. Und die hatte man in Hollywood nie geachtet, selbst wenn wie in den „Tarzan“-Filmen echte Schimpansen besetzt wurden. Durch Dressur waren sie zu grotesk verzerrten Imitationen menschlicher Wesen verunstaltet worden.
Auch ein Film wie „Gorillas in the Mist“, die Legende zum Leben der 1985 in den Bergen Ruandas ermordeten Gorilla-Forscherin Dian Fossey, geht über die Eigenheit des Tieres gegenüber dem Menschen hinweg. Die malerischen Szenen versuchen sich zwar in einer Umdeutung der Mythen zum „sanften Riesen“ hin. Von der Wirklichkeit des Berggorilla-Lebens sind sie aber so weit entfernt wie die Hauptdarstellerin Sigourney Weaver von Dian Fossey. Zum Vorwurf kann man das den Verantwortlichen kaum machen, wenn selbst alle wissenschaftlichen Sprach- und Intelligenztests mit Menschenaffen mit Fragen arbeiten, die sie der Menschenrasse eingemeinden sollen. Tim Burton hingegen glaubt an das Animalische in der Welt der Affen. Er gibt ihnen ihre Würde zurück.