»The Life Naija«

»The Life
Ghanatic«
Tagebuch

28.12.

Zum Einschlafen auf Deutschlandradio Kultur ein Hörspiel gehört. Der Autor ist an die Bänder geraten, auf die Wolfram Siebeck in den 1980ern seine Restaurant-Verrisse gesprochen hat.  

»Die Schalotte ist von der ordinärsten Zwiebel.«  

»Die Karte ist allgemein verseucht von Touristen. Alle wollen sie fein kochen.« 

»Dazu gab es, und das war ganz besonders dämlich, einen Chinakohl. Um noch mal die Dummheit dieses Menschen zu dokumentieren: Die Käseplatte war von erbärmlichster Auswahl.«

»Das machen wir zu Hause besser. Da gehen wir nicht mehr hin.« (Wir, das sind er und seine Frau Barbara, die stets im Hintergrund zu hören ist, beipflichtend brummend.) 

»Primitiv« ist sein liebster Diss, »dagegen ist nichts zu sagen«, das höchste Lob im Rahmen eines Verrisses, etwa in: »Gegen diese Fischsuppe für ihre acht Mark {acht Mark! Das sind vier Euro!} ist nichts zu sagen«. Johanna Adorján schrieb mal sinngemäß: Wer »Da kann man nicht meckern« sage, wollte eigentlich meckern, fand aber leider nichts.

Einmal hat Siebeck während des Diktats einen Schluckauf von der ordinärsten Sorte. Auch nicht schön.

Dazwischen werden Leserbriefe verlesen: »Sehr geehrter Herr Siebeck, ich verfolgte ich Ihren Bericht im Fernsehen und dabei auch Ihre Demonstration des Tafelns. Mit vollen Bäckchen kauend nach dem Glase zu greifen, ohne vorher die Serviette benutzt zu haben, und zu trinken, ist ganz schlimm. Der passende Ausdruck hierfür ist Wasserspülung. Pfui, bäh. Das Aufstützen des Ellenbogens beim Trinken: Also wissen’se, nee.« Laut gelacht. 

27.12.

Am Abend nehmen die drei Angestellten des Resorts mich also auf eine Party. Sie heißen Mary, Margaret und Monica – kann man sich nicht ausdenken. Sie wohnen auch noch zusammen im Ort, nur ein Stück die Hauptstraße hinunter. Als ich da ankomme und mich auf einen Monobloc neben die Imbissfrau setze, tanzen sie alle in Tücher gehüllt und mit Eimern in der Hand vor dem Haus herum, in dem sie ein Zimmer bewohnen, bevor eine nach der anderen im Hinterhof verschwindet. Als sie zurückkommen, haben sie ihre kleinsten Kleider an. Laune: bestens.  

Die Action ist da, wo die gesamte Jugend Beyins hinzuströmen scheint: in einem größeren, teuereren Resort als dem unseren. Es handelt sich um eine Poolparty. Als wir eintreffen, ist der Palmwein schon alle, die Stimmung kocht nicht, simmert aber schön vor sich hin. Es läuft gepitcher Afrobeat, ich kann inzwischen die Refrains fast aller Hits mitsingen, im und am Pool tanzen Jungmenschen in verschiedenen Stadien der Angezogenheit. Es ist wie in dieser MTV-Show aus den 90ern, The Grind, nur dass die Leute nicht so weird tanzen und MTV das eindeutig nicht ohne Zensur ausstrahlen könnte. 

Es ist tatsächlich das erste Mal seit drei Monaten, dass ich ausgehe – von der Ashanti-Beerdigung mal abgesehen. Zu anstrengend. In Begleitung der Mädchen aber geht das gut. Ich habe die Rolle der Sugarmama inne und gebe Malzbier, Bier und Smirnoff Ice aus (seit 15 Jahren nicht getrunken, ich weiß jetzt auch wieder warum). 

Und passend zum Thema Sugarmamas telefoniere ich am nächsten Tag endlich mit meiner Informantin in Sachen afrikanischer Feminismus. Selbstständig, alleinerziehend mit einem zehnjährigen Sohn und einem neun Monate alten Baby, bei deren Betreuung ihr, seit sie sechs Wochen nach der Geburt wieder arbeiten ging, ihre ältere Cousine und ihr pensionierter Vater helfen. Die bezahlte Elternzeit in Ghana beträgt zwölf Wochen. Manche ihrer männlichen Freunde haben sich bei ihrem Arbeitgeber ein paar Monate frei genommen, als sie Kinder bekamen. 

»Als Weiße kann ich nicht sagen, welchen Anteil Sexismus und welchen Exotismus daran haben, dass mir auf der Straße jeden Tag irgendwer irgendwas hinterher ruft und dass ich, wenn ich nicht reagiere, höre: »It’s nice to be nice!«. Mir fehlt die Zeit, die Kraft und ehrlich gesagt die Hoffnung auf Verständnis, jedes Mal zu erklären, dass ich es nicht nice finde, entweder zum Objekt gemacht zu werden oder zur arroganten, grenzrassistischen Europäerin. Aber warum passiert das überhaupt und HOW THE FUCK DO YOU COPE WITH IT?
Das Catcalling auf der Straße ist von klein auf gelernt. Die Männer wachsen auf, sehen es überall und halten es für normal. Gleichzeitig dient es manchen von ihnen dazu, ihr Selbstbewusstsein ins Lot zu bringen. Viele, viele der Männer hier haben sehr fragile Egos. Ihre Aggressionen gegenüber Frauen verschaffen ihnen eine Überlegenheit, mit denen sie versuchen, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen. Es ist die einzige Möglichkeit, die sie kennengelernt haben, sich gegenüber attraktiven und starken Frauen zu behaupten. In dem Moment, in dem du ihre Annäherungen zurückweist, fühlen sie sich in ihrer Gesamtpersönlichkeit abgewiesen. Das gilt für alle Schichten, Bildung spielt da keine Rolle. Ich habe mir einen Blick antrainiert, der in dem Moment, in dem ich die Straße betrete, kommuniziert: Ich lege keinen Wert auf Annäherung. Darin bin ich mittlerweile sehr gut.

Woher rühren aber die fragilen Egos der Männer?
Viele Frauen besonders in der Generation meiner Eltern wurden dazu erzogen, sehr stark zu sein. Sie arbeiteten, führten die Haushalte und kontrollierten einen Großteil der außerhäusigen Angelegenheiten. Die meistens Ehemänner wurden ihrer Rolle nicht gerecht, also suchten sich die Frauen für ein erfülltes Liebesleben andere Männer. Sie störten sich dann auch selten daran, was ihre verantwortungslosen Ehemänner derweil trieben. Das hat eine neue Generation von Männern heranwachsen lassen, die nicht wissen, was ihre Aufgaben in der Familie und der Gesellschaft sind - und wie man mit Frauen kommuniziert. Das läuft dann alles auf einen Sexismus hinaus, in dem sich Männlichkeit darin ausdrückt, wie atemberaubend deine Frau ist, ob sie sich dir unterordnet oder wie viele Konkubinen du hast. 

Der Horror!
So haben wir also unser halbes Leben mit diesem Nonsense zu tun. Wenn Frauen dann die 50 erreichen, passiert etwas Interessantes: Die Kinder sind erwachsen, sie sind erfolgreiche Geschäftsfrauen, und sind auf einmal an einem Punkt, an dem sie jüngere Männer erfolgreich kontrollieren können. Junger Mann, ältere Frau  - das ist in vielen afrikanischen Kulturen eingeschrieben und dient dazu, Männer, etwa aus den Königsfamilien, sexuell zu initiieren und sie auf den Kontakt mit Frauen in ihrem Alter vorzubereiten. Damit sie sich da nicht blamieren.

Das ist doch genial!
Ich bin noch nicht so alt, aber auch ich habe schon solche Angebote von jüngeren Männern bekommen. Sie zeigen entweder explizit oder andeutungsweise, dass sie für so ein Arrangement zu haben wären. Und Frauen lassen sich auf so etwas ein, finanziell, sexuell und emotional. Und manchmal hält es ein ganzes Leben.  

Hatte #MeToo hier irgendeinen Effekt?
Vielleicht den, dass sich ein paar Leute Gedanken um ihr eigenes Verhalten gemacht haben. Aber das breite Echo blieb aus. Dafür sind hier einfach viel zu viele verstrickt – kaum einer hat saubere Hände. Wenn du jemanden eines Übergriffs bezichtigst, musst du damit rechnen, dass er auf dich zurück zeigt und eine Situation findet, in der du mitgemacht hast. Viele  Frauen hier sind leider darauf angewiesen, sich gegen Geld oder geldwerte Vorteile auf sexuelle Gefälligkeiten einzulassen. 

Wie erziehst du deine Söhne?
Ich bringe ihnen das Putzen, Waschen und Kochen bei. Und ich versuche ihnen klarzumachen, dass ein großer Seelenfrieden und viel Schönheit darin liegt, wenn man auf gute Art und Weise mit Frauen zusammenlebt.« 

Überall dasselbe: männliche Anspruchshaltung, ausgespielte Macht und sehr, sehr viel zu tun. 

(Für Mascha und Sabine)

26.12.

Da will man zu Weihnachten einmal in Ruhe arbeiten, da überschlagen sich die Ereignisse. Am frühen Nachmittag dringen vom Strand her Rufe hinauf. Als ich nachschauen gehe, steht im Palmengarten des Resorts ein Dutzend junger Typen und zieht mit nackten Händen an einem Seil. Ich nicke zum Gruß und gehe dem Seil nach zum Strand. Dort ist es in einer Schlaufe um einen in den Sand gerammten Pfahl gelegt, weitere Männer stemmen sich gegen die im Wasser wirkenden Kräfte. Der am Pfahl winkt mich heran, er heißt Abraham, der Rufer ist Tony, er hat das Kommando. »Arrrrrrrrr, ar, arrrrrrrr. Moko! Moko!«

Am und im Wasser stehen zehn weitere, teils mit Sonnenbrillen, teils mit Turbanen aus T-Shirts, zwei haben diesen ausgestülpten Bauchnabel, den man oft sieht - Nabelbruch wegen schwerer körperlicher Arbeit. Manche sind noch Kinder oder Teenies, darunter ist auch der, der mir die Kokosnuss schenkte, ein Mann muss um die 70 sei. Er heißt Sylvester und trägt einen zerknautschten lilafarbenen Strohhut, der auch einer Dame seines Alters gut zu Gesicht stünde. Ich setze mich in den Sand und schaue zu, beobachte den Rhythmus aus Ziehen und Warten. Gewartet wird immer dann, wenn die Strömung so stark ist, dass das gegen sie Stemmen nichts bringt. Ich stelle Tony und Abraham Fragen, auf die es so halbwegs befriedigende Antworten gibt (»Wie oft macht ihr das?« - »Immer, immer«; »Wer ist der Chef, wer bezahlt die hier alle?« – Wir arbeiten alle zusammen, jeder hilft mit«), ich werde losgeschickt, um leere Plastikflaschen mit Trinkwasser aus dem Hahn zu füllen und irgendwann soll ich mit am Seil ziehen. Na gut. Die, die hinten fertig sind, laufen nach vorne ins Wasser, zwei tauchen weit draußen. Als am Ende des Seils das blaue Netz mit den gelben Plastikbällen darin zum Vorschein kommt, wird 500 Meter weiter den Strand hinunter eine zweite Schlange eröffnet, die Hälfte der Leute wandert ab und zieht dort. Der Teil des Netzes, der herausgezogen wurde, wir in Schlaufen auf Stöcken zusammengelegt.

Zweieinhalb Stunden nachdem die Operation begonnen hat, hat die Strömung sie einige Hundert Meter den Strand hinunter getrieben. Es liegen fünf Fischlein im Trog, mir wird etwas bang. Und dann ist der Mittelteil des Netzes an Land gewuchtet, darin Hunderte, wenn nicht Tausende Fische. Flapp, flapp. Und Quallen, leere Muscheln, ein paar Krebse, Plastiktüten, Treibgut. Auf einmal sind auch Frauen da, mehr Kinder, ein paar Hunde, über allem kreisen schon die Weihen. Die Fischer benutzen Blechtröge als Schaufeln, um den Fang erst in einem Transportcontainer mit Löchern aus dem Netz und von da aus auf Haufen zu verteilen. Zur Sortierung. Zwei, drei Schlangenähnliche mit Zähnen sind dabei, ein riesiger Octopus, Rochen mit ihren Grinsegesichtern, eine Schnecke, Haus und Tier zusammen dicker als ein Fußball. Ein großer Gelber, viel vom Fisch-Mittelbau, Sardinen. In den kopfgroßen Quallen verstecken sich auch welche. 

Die kleinen, runden, wie plattgehauen aussehenden Fischchen mit den goldenen Rücken sind die schönsten. Sie wirken wie aus Silberfolie genäht, unwirklich glatt und perfekt, ohne Schuppen. An ihnen ist wirklich gar nichts dran. Ein kleiner Junge im Spongebob-Shirt merkt, wie ich sie genau anschaue und mit dem Finger darüber streiche, er bringt mir ganze Hände voll davon. Die Krebse scheinen für niemanden von Interesse zu sein, sie laufen zurück ins Meer. Die Kinder sammeln das, was die Fischer nicht gebrauchen können, die Hunde fressen den Rest. Das Netz wird auf ein blaues Holzboot geladen und zurück in den Ort gebracht. Für die Standardware stehen Frauen mit ihren Blechtrögen bereit. Es entspinnt sich ein Streit zwischen Fischern und Händlerinnen um den Preis für einen, schätzungsweise, 30-Liter-Trog voller Fisch. 30 Cedis, sagt Abraham, sei ein guter Preis. Knapp 5,80 Euro. 

Eine junge Frau namens Charlotte sagt, ich solle mir was aussuchen. Nein, nein, als Geschenk und doch, doch, die im Resort würden mir das heute Abend zubereiten. Ich sage, mal wieder: »Ihr Leute seid unglaublich«.
Einer der Fischer reicht mir den Octopus. Als ich entsetzt schaue, versucht er es mit dem großen Gelben. Ich lasse ich drei Fische in überschaubarer Portionsgröße reichen, einen für mich, die anderen beiden für die Hotelmannschaft. 

24.12.

Nichts geht über ein Glas hausgemachten Gin am Weihnachtsmorgen. 

Auf der Fahrt von Elmina schaue ich wieder aus dem Trotrofenster in die Landschaft, fünf Stunden lang - wird einfach nicht langweilig. Dass für einen Teil der Bevölkerung Weihnachten ist, merkt man nur beim genauen Hinsehen: Ab und zu liegt am Straßenrand eine Decke voller Kuscheltiere zum Verkauf, manchmal trägt ein Bauarbeiter oder Taxifahrer eine Weihnachtsmannmütze oder eine glitzernde Spaß-Brille, die die Zahl 2018 beschreibt. Die Kirchen sind schon um die Mittagszeit so voll, dass manche draußen stehen müssen. Keiner wünscht »Merry Christmas« - vielleicht weil nun mal nicht alle feiern. Dafür tragen die Leute, die feiern, ihre schönsten, buntesten Outfits, manche Frauen gehen unter weißen Stoffsonnenschirmen, was zusammen mit ihren ab dem Knie ausladenden weißen Kleidern fast viktorianisch wirkt. Der Soundtrack der Weihnachtstage ist ohrenbetäubender Highlife aus dem Autoradio – alles wie immer also. Der Fahrer gibt entsprechend Gas. 

In Beyin angekommen, ich war der letzte Fahrgast an Bord, stellt sich der diensthabende Manager im weihnachtsschmuckfreien kleinen Resort als »Bossman« vor, er ist aber sehr zuvorkommend. Bossman hat die Schildkröten-Nachtschicht: Er passt am Strand auf, das niemand die im Sand vergrabenen und durch eine Holzbox ohne Boden geschützten Eier klaut. Knapp zehn Euro zahlen sie jedem Dorfbewohner, der 200 intakte Schildkröteneier abgibt, statt sie zu essen. Die Eier sind so groß wie Tennisbälle, drei bis fünf Monate bleiben sie im Sand, bis die Babys schlüpfen und ins Meer laufen wollen. Das ist der Moment, in dem Bossman vor Ort sein und die Holzboxen entfernen muss, deswegen kuckt er jeden Tag nach dem Rechten. Je nachdem, wie warm es war, schlüpfen kleine Weibchen oder Männchen.    

Die riesigen Wirbel und der ein Meter lange Schenkelknochen auf der Terrasse der Rezeption wurden hier am Strand angespült. Die Wirbel könnten einem Wal gehört haben, der Schenkel nur einem Elefanten. 

Bis zur Elfenbeinküste sind es nur 15 Kilometer. Hätte ich zwei Tage mehr Zeit, würde ich fuer die vier Stunden nach Abidjan fahren. Es soll sich um eine rechte Glitzermetropole handeln, mit einer Pyramide im Zentrum. Außerdem: Restaurants. Selassie, die Köchin, hat mir bestätigt, dass die Kolonialmacht Frankreich einen positiven Einfluss auf die Esskultur der frankophonen Länder hatte: mehr Gänge und mehr Raffinesse als die Engländer. Auf die Frage nach den drei afrikanischen Foodie-Ländern – sie kennt 45 von 57 der Staaten auf dem Kontinent –, sagte sie: Côte d’Ivoire, Kamerun und Senegal. Der Gewinner beim Baguette-Wettbewerb in Paris kam im vergangenen Jahr aus dem Senegal. Voilà. Emma, eine Exil-Ivorin, die ich am Krater-See traf, erzählte mir: Wenn man in ihrem Land jemanden wegen seines Kleidungsstils beleidigen will, sagt man: »Du siehst aus wie ein Burkinabe«. Und die fand ich ja schon sagenhaft. Kann aber auch sein, die Ivoren finden die Burkinaben altmodisch gekleidet. Also genau das, was ich mag. Côte d’Ivoire dann: nächstes Mal.

Hier ist es aber auch gut. Ziemlich sogar. Wort-Instagram: Ich bin der einzige Gast. Von meiner Hütte mit den bodentiefen Fenstern und der Terrasse sind es ein paar Meter zum Meer. Himmel und davor Palmen wie in Miami Vice. Am Strand kein Mensch, nur in der Ferne ein paar Fischerboote und ein paar Kinder, die angelaufen kommen und fragen, ob ich gern eine Kokosnuss zum Trinken hätte - einfach so. Nchts gibt es hier so reichlich wie Kokosnüsse. Der Älteste öffnet sie mit ein paar gezielten Schlägen seiner Machete. 

Der (deutsche) Weihnachtsmorgen: Am Strand steht eine ponykleine, schwarz-weiße Kuh. Kurz nach Sonnenaufgang schießt jemand im Palmenhain ein kleines, bunte Funken sprühendes Feuerwerk in den rosafarbenen Himmel. Dann ein Ausflug.

Kein Mensch weiß so genau, warum die Bewohner von Nzulezo im 15 Jahrhundert entschieden, ihr Dorf auf Stelzen ins Wasser eines Sees zu bauen - nicht einmal sie selbst. Sie sind keine großen Fischer, sie verehren keinen Wassergott, es ist sicherlich nicht praktisch. Aber schön sieht es aus. Eine Stunde dauert die Kanufahrt durch die Wetlands von Amansuri. Die Affen sind schon weg, dafür gibt es bunte Vögel. Eine Zeit lang paddeln wir durch Dschungel, nur eben in nass und sumpfig. Meinem Kanu-Staker und mir kommt ein Einbaum entgegen, der Typ darin haut mit einer Keule nach Katzenfischen im Wasser. Im Stelzendorf selbst gibt es eine Bar, eine sickbay genannte Krankenstation und drei Kirchen: römisch-katholisch, methodistisch, Pfingstgemeinde. Die kleinsten Kinder müssen gut beaufsichtigt werden, damit sie nicht ins Wasser plumpsen, mit drei bis vier Jahren lernen sie das Schwimmen, danach das Kanupaddeln. Ich trinke einen Schluck vom apatche, destilliert nicht aus Wacholderbeeren, sondern aus der Bastpalme, aus der auch die Dächer der Häuser und die Staken gemacht werden. Um den Häuptling des Dorfes treffen zu dürfen, muss man allerdings eine Flasche gekauften Alkohol mitbringen. Er lächelt dann nur und lässt seinen Zögling sprechen.  

Die zwei Mädchen aus der Küche des Resorts fragen mich, in welche Kirche ich ginge, und ob ich heute Abend gern mit ihnen käme. Hm, nö. Aber morgen Abend zur Nicht-Kirchen-Musik begleite ich sie gern.

Nach einem Meerbad beobachte ich die sandfarbenen Krabben. Wenn man stillhält, erscheinen sie auf einmal wie aus dem Nichts – Hunderte von ihnen. Manche sind fingernagelklein, manche so groß wie Handflächen. Jede von ihnen gräbt sich mit einer ihrer beiden Schaufeln ganz schnell ein Loch, der Sand wird ein paar Zentimeter weiter abgeladen. Dann setzt sie sich so rein, dass nur noch die Stieläuglein rauskucken, und wartet auf Fliegen und Käfer. Mit einem Satz ist sie i m  K r e b s g a n g hingeeilt, hat das Insekt gepackt und verspeist.  

Ein Gedanke, der mich ein bisschen verrückt macht: dass das Meer schon seit jeher genau so Wellen schlägt und rauscht, seit Millionen von Jahren, ohne auch jemals nur eine Sekunde aufzuhören. Dass da etwas auf diesem Gesteinsbrocken im All hin und her schwappt, vielleicht für immer. 

23.12.

Am Straßenrand an der Küste entlang in Richtung Westen gibt es Rohrratte zu kaufen, genau wie etwas mit langem, schwarz-weiß geringeltem Schwanz – eine Katzenart oder ein Affe, ich kann es nicht genau erkennen. Wie ich im Econimist lesen muss, ist Rohrratte wie alles Buschfleisch doch problematisch, wegen Ebola und weil die unregulierte Jagd das Ökosystem zerstört. Mann! 

Die von mir wegen ihrer Quacksalber ungeliebte VIP-Busgesellschaft wirbt auf Social Media u.a. damit, allen ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Stammes- und Volkszugehörigkeit die gleichen Jobchancen einzuräumen. Für die Religion gilt das offenbar nicht, die Quacksalber an Bord sind immer Christen. Diesmal sind es gleich zwei hintereinander, sie lassen die Passagiere »Amen« sagen, bevor sie ihre Mittelchen auspacken. Der Bus passiert Kormantse, einer von Louis Armstrongs Vorfahren wurde von hier aus auf Plantagen in der Karibik verschifft; ein Ur-Ahne von Michelle Obama sah Afrika das letzte Mal in Cape Coast, nicht weit von hier. 

In Elmina übernachte ich im One Africa Health Resort, das allein so heißt, weil es Massagen anbietet. Direkt vor dem Hotelgelände brechen sich gewaltige türkise Wellen auf den braunen Felsen, davor Palmen. Ich kann nicht glauben, dass ich seit Monaten in einem Land am Atlantik bin und noch nicht einmal darin schwimmen war. (Ich frage dann später noch einmal genau nach. (Merke: Präzise formulieren. Es gibt Strände, es gibt saubere Strände, Strände zum Schwimmen und welche, um nass zu werden) und erfahre, dass man morgens an einer Stelle sehr wohl ins Wasser gehen kann, ohne von der Strömung mitgerissen zu werden).

Die schlohweiß-rastalockige Hotelbesitzerin stammt aus Chicago. Ich beziehe die strohgedeckte Hütte, deren Wände mit Fotos von Malcom X geschmückt sind, das angeschlossene kleine Museum hängt voller Bilder, Zeitungsausschnitte und Dokumente, die sowohl die Sklavenunterdrückung als auch die gesellschaftliche und politische Bedeutung Schwarzer in der Welt dokumentieren. Bibelzitate beweisen, dass Jesus schwarz war, mit kupferfarbenen Füßen. Eine Wand ist Pionier-Frauen gewidmet, Sojourner Truth, Maya Angelou, Condolezza Rice. Karikiert wird der ganze pan-afrikanische Ansatz e i n  w e n i g  durch die offensichtlich seit den 80er-Jahren ungebrochene Liebe der Hotelière zu einem afrikanischen Diktator. Über dem Eingang zur Rezeption steht: »His Excellency President Robert Mugabe«, hinter dem Tresen hängt neben Bildern von Obama und Kwame Nkrumah ein Zeitungsartikel mit dem Bild des zwischenzeitlichen Ex-Präsidenten: »Zimbabwe: We will not capitulate«. Nun ja. Auf dem gesamten Gelände herrscht übrigens Rauchverbot. Zigaretten verteufeln, Unterdrückung bekämpfen und Diktatoren verehren – Joachim würde sagen: Wie unterschiedlich die Menschen doch sind. Und Ullis Oma: Nicht ärgern, nur wundern. Was ja generell ein gutes Lebensmotto wäre.

22.12.

Immer noch keine Rohrratte gegessen. Dabei ist es das ideale Fleisch: Die Tiere sind eine Plage, in den Felder schädigen sie die Mais- und Zuckerrohr-Ernte. Das Züchten klappt anscheinend nicht so richtig gut, es handelt sich also bei also meist um freilaufendes bush meat. Die Upperclass-Damen auf dem Dinner neulich schwärmten davon: Das sei so, so gut und dem Verzehr von Schlange auf jeden Fall vorzuziehen.  

Ich laufe also im Viertel herum und frage diverse Leute, wo ich wohl grascutter finden könnte, irgendeine der vielen Chop-Bars muss doch welches haben. Leider nein. In der Regenzeit kämen die Tiere in die Felder, sagt man mir, dann könne man losziehen und welche fangen. »Ich rufe meinen Bruder an, der kann dir vielleicht eine besorgen«, bietet einer an. Aber ich will keine vier Kilo schwere Ratte in meiner Küche zubereiten. Ich will sie nur essen.  

Es liegt eine geschäftige Vorfeiertagsstimmung in der Luft: Am Straßenrand stehen fertig gefüllte und in Zellophan verpackte Präsentkörbe (viel Whiskey), es werden Reissäcke in Kofferräume verladen (ein beliebtes Geschenk), Frauen laufen mit Lockenwicklern in den Haaren umher (die Festtagsfrisuren), auf einmal ist auch in Läden etwas los, die ich noch nie offen gesehen habe. Vor allen rattern kleine Generatoren – Stromausfall. An einer Ecke werden Lautsprecher geputzt und schwarz gestrichen, damit sie wie neu aussehen.

Wie viel Wert immer auf das ordnungsgemäße Erscheinungsbild von Dingen gelegt wird. Im staubigen Souvenir-Laden des Mausoleums von Kwame Nkrumah, dem ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit, wickelte der Verkäufer mir meine Waren erst in Zeitungspapier ein, um sie dann in die obligatorische schwarze, dünne Plastiktüte zu stecken. Auf meinen Protest hin sagte er: »Aber was sollen die Leute denken, wenn sie das Halbverpackte sehen und erfahren, dass du das hier gekauft hast, im Souvenir-Shop des Kwame-Nkrumah-Mausoleums«. (An jedem Stand und jeder Kasse wieder erkläre ich, dass ich für eine Flasche Bier oder eine Limette keine extra Plastiktüte brauche, ich habe ja eine Tasche dabei. Jedes Mal wieder gelte ich damit als mindestens wunderlich. Als sie mich im Lara Mart einmal auslachten, sagte ich: »Die Plastiktüten bringen uns eines Tages alle um und dann werdet ihr an meine Worte denken«. Ich wirke wie eine irre Verschwörungstheoretikerin, das ist mir auch klar.)

Als ich die Rohrrattensuche aufgegeben habe, lande ich im Buka, einem der angesagtesten Restaurants der Stadt mit einer Filiale in New York. Entweder handelt es sich bei er Jeunesse dorée accrabien um Gastro-Mormonen wie ich oder der Laden ist so gut, dass er auch um 15.30 Uhr bumsvoll ist. Der Gastraum befindet sich im ersten Stock auf einer nach zwei Seiten offenen Terrasse. Statt in Plastikschüsseln, die zum Tisch gebracht werden, wäscht man sich die Hände in zwei Waschbecken hinter einer Stellwand. In einer Ecke spielt eine kleine Band: ein Keyboarder und einer, der leiernd dazu singt - keine Weihnachtslieder, sondern Afrikanisches -, während er auf seinem Telefon Whatsapp-Nachrichten tippt. 

Die Leute sind entweder mit Freunden hier oder zum Geschäftsessen hier, in Hosenanzügen, Kostümen und dem, was sich hier political suit nennt. Einer trägt einen im Glencheck-Muster – dreiteilig, komplett mit Weste, Krawatte und Einstecktuch. Ich kann nur immer wieder staunend vermerken: 31 Grad, 85 Prozent Luftfeuchtigkeit. (Eine meiner Hosen schimmelt. Mir kam sie schon lange eigenartig schwer vor, jetzt wachsen überall weiße Flecken. Merke: Leinen-Viskose-Gewebe speichern offensichtlich auf ungute Art Feuchtigkeit.)

Es gibt Perlhuhn in Erdnuss-Suppe und frischen Palmwein – mein neues Lieeeeblingsgetränk. Sieht so ähnlich aus und schmeckt so ähnlich wie Federweißer, nur besser. Man trinkt ihn aus einer halben Kalebasse, eine Art Kürbis, der am Baum wächst. Neue Geschäftsidee: Palmwein-Import. Als Janne und ich 2005 in London in rauen Mengen Ginger Beer tranken, dachten wir kurz darüber nach, es nach Deutschland zu importieren. Ein paar Jahre später tauchte es dann in Berliner Bars als Zutat für diverse Drinks auf. Ich sehe eine große Zukunft für Palmwein als Sommer-Aperitif. 

20.12.

Bemerkenswert:

Das Bücherregal in der Apotheke: Neben 100 Ways To Make Sex Spectacular steht Muammar al-Gaddafis My Vision.  

Dass die Ghanaer »Oh, sorry!« sagen, wenn jemand anders stolpert, etwas fallen lässt oder sich den Kopf stößt. Als hätten sie schuld daran. Jemand sagte mal: »Wir empfinden den Schmerz mit«.  

Der Slang im Trotro. Ich habe zum Beispiel erst jetzt verstanden, dass für aussteigen das mir bis dahin unbekannte Verb to alight benutzt wird. Dachte immer, es heißt »I will enlight at the next stop« als hätte das was mit Aufklärung zu tun oder, wahrscheinlicher, mit Religion. Der mate, dem man seinen Aussteigewunsch mitteilt, nennt den Fahrer »my masta«.

Dass geglättetes Haar relaxed genannt wird. Das Gegenteil ist ja der Fall: Es wird sehr aufwendig in Form gebracht und darf dann bloß nicht mit Wasser in Berührung kommen. Krauses afrikanisches Haar steht also permanent unter Spannung, während glattes per se als locker gilt. (Zum Frisuren-Business ein anderes Mal. Lange Geschichte.) 

Dass der stärkereiche, sättigende und in meinen Augen uninteressantere Teil eines Gerichts immer zuerst genannt wird: Fufu mit Sauce, Yam mit Sauce, Reis mit Sauce, Banku mit Tilapia. Das Beste sind und bleiben frittierte Kochbananen, Rest egal. 

Dass Besucher die verloren gehende afrikanische Authentizität beklagen, zum Beispiel angesichts der sehr beliebten indonesischen Indomie-Instant-Nudeln, während sie als Ausdruck ihrer Weltläufigkeit zu Hause Burger oder Sushi (die es hier auch gibt) verspeisen. Weil Instant-Nudeln aus dem Asien kommen, das nicht Japan ist, weil sie viele sind und billig?

An Tag 11 ihrer Gefangenschaft schreit die Ziege nicht mehr. Ich fürchtete erst, meine heimlich gefütterten Äpfel und Maronen hätten sie über Nacht umgebracht, aber sie steht einfach nur noch da, ihr Widerstand gebrochen.

Vieler meiner Mails nach Europa landen im Spam oder werden gleich vom Empfänger-Postfach abgewiesen, auf Webseiten mit Login muss ich immer wieder Sicherheitspasswörter eingeben. In Burkina ging die Google-Suche oft einfach nicht oder nur unter diversen Captcha-Hürden. Erwäge eine Klage gegen die Mailserver, wegen Diskriminierung. Auch schlimm: Auf Youtube bekomme ich jetzt Werbung des Mormon Channel vorgespielt. 

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