Damen, die ich kannte (II) – Hieu Dam

von 
Portrait
zuerst erschienen im Dezember 2004 in Der Freund Nr. 2

Ich habe sie mir ganz anders vorgestellt: Hieu Dam sieht aus wie eine sexy Zwölfjährige: sie ist petite, trägt ihr hellgrünes Frotteekleid superkurz, in einer Hand einen zappelnden Hummer, Haare unter dem Suzie-Wong-Pony bis zum Po, schwere feste Zahnspange, altes Modell. „Hätte vor fünf Jahren demontiert werden sollen, keine Zeit.“ Breites strahlendes Eisenlächeln, die S-Laute sind etwas schwierig, deshalb wir in Slogans gesprochen. „Kein Besteck. Wir essen mit den Händen.“ Der Hummer zuckt im kochenden Bier.

Hieu ist auf Durchreise in Bangkok, sie kommt von den Schauen in Mailand, Schuhe für ihren Laden Camille Hudson in Los Angeles ordern, dann ein paar Tage Ho-Chi-Minh-City in ihre Fabrik für Dominatrix-Kleidungs-Versand Hot Topic. „Vietnam hat die Quota für Latex überschritten, ich siedle nach Schanghai um.“ Schon mal darüber nachgedacht etwas in Amerika herstellen zu lassen? „Ich bin Geschäftsfrau, keine Intellektuelle.“

Einen Monat später, Los Angeles, Hieus Richard-Neutra-Haus schwebt halb aus dem Dunkel. Ein farbiger Riesenschrank names Diondré materialisisiert sich - warme Baritonstimmte, 1a-Manieren, kleiner Stöpsel im Ohr und ein Kabel, das seinen wulstigen Nacken entlang läuft. Diondré führt mich über die Holzbrücke zum Haus, ein Schakal knurrt unter den Planken, Zähne blitzen. „Keine Angst“, Diondré ist ja da.

Am Türeingang ein goldenes chinesisches Sparschwein, so groß wie ein Bernhardiner, drinnen blitzt Hieu ihr Eisenlächeln und winkt mir der Hand die junge Frau heran: „Sei ein Darling, bring Eva ein Glas Champagner.“ Die Frau: „Ich arbeite nicht hier“. Hieu zieht mich in die Küche. „Ich hätte schwören können, dass die Maîre D’ in meinem Pho-Restaurant ist.“ Im Vorbeigehen regelt sie mit einer Hüftbewegung den Aufbau des Buffets – „Bitte, bitte die Essenreste für den Schakal aufheben!“ – und unterzeichnet die Lieferung irgendwelcher Partyarikel. Ein überdimensionales Spanferkel kreuzt das Bild von rechts, Shaun de Lier, Basedow-Augen und Piepsstimme, von links und ein Mädchen namens Chi Chi Wong von unten, überhaupt eine ganze Horde gutaussehender junger Asiatinnen, alle Businessfrauen, viele im Lingerie-Geschäft. Ein paar heterosexuelle Jungs fangen an zu trielen, Ayzit Bostan bringt es auf den Punkt: „Einmal Asiatin, immer Asiatin.“ Sie klingt ein bisschen wie die Schwestern von Marge Simpson.

Zur Beruhigung Tischtennis draußen auf dem Deck mit Shaun de Lier. Das Deck soll irgendwann mal der Landeplatz für ein fliegendes Auto werden, das Hieus Freund Jens gerade entwickelt, damit sie schneller ihren Geschäften nachgehen kann. Große Sehnsucht ergreift mich: Sehnsucht nach Geschäftemachen, nach Glauben an den Fortschritt, nach Pioniergeist, nach Massenproduktionen, nach ganz vielen Angestellten, wilden Haustieren. Ich stelle mir eine Horde chinesischer Sparschweine vor, die über dieser endlos tollen Wüste von Los Angeles einen knallroten Himmel durchkreuzen, Kondensstreifen aus Dollarnoten regnen herunter, eine amerikanische Flagge wir in slow-motion gehisst und eine Kinderstimme mit asiatischem Akzent singt Amazing Grace.

Der Schakal knurrt, Hieu schreit von unten: „Wer hat eigentlich das Spanferkel unter den Porsche gelegt?“ Ich werde noch dieses Jahr nach Amerika ziehen.