Damen, die ich kannte (V) – Sheela

von 
Portrait
zuerst erschienen im September 2005 in Der Freund Nr. 5
Eva Munz trifft in Basel Sheela, die ehemalige rechte Hand des Religionsstifters Baghwan Shree Rajneesh, nun Osho

Sheela Patel, Sheela Silverman, Seela, Ma Anand Sheela, Jackie Kennedy, Sheela Birnstiel. Sheela ist ungefähr 380 Jahre alt und hat sechs prallgefüllte Leben hinter sich. Ethno-Romantiker vergleichen sie gerne mit der Hindugöttin Kali: der Schrecklichen, mit den vielen Armen, Frau des Zerstörer-Gottes Shiva. Für Kali brachten gläubige Hindus bis ins frühe 20.  Jahrhundert noch Menschenopfer.

Auch Sheelas Geschichte oszilliert um den Begriff der Macht. Und wie immer, wenn es um Frauen und Macht geht, schlägt der Zeiger weit im roten Bereich aus.

Heute ist der heißeste Tag des Jahres in der Schweiz: Sheela trägt ein rotes T-Shirt und blaue Capri-Jeans, graumelierter praktischer Kurzhaarschnitt. Als sie den Raum betritt, drehen sich die Köpfe, Freude breitet sich aus unter den zum Teil schwer psychisch Kranken, Behinderten, Alten, den Bewohnern ihres Wohnheims „Matrusaden“. Eine Pflegerin streift sich euphorisch die Latexhandschuhe von den Händen und verkündet: „19  Leute geduscht, und es ist noch nicht mal halb zehn.“ Sheela zieht die Füße zum Schneidersitz auf ihren Bürostuhl und rollt an ihren Schreibtisch, von wo sie alles überblickt. Sie lebt in diesem Haus in einem Bilderbuchtal der Schweiz mit ihren „Leuten“, wie sie die ungewöhnliche Familie nennt. „Ich glaube bis heute, dass  die Kommune die ideale  Form des Zusammenlebens ist,  daran  hat sich nichts geändert.“ Sheela legt die Katheter der Inkontinenten und die Fliesen zum Wintergarten selbst. Ihr Blick ist gelassen, sie verströmt eine Aura  der Autorität, und ganz deutlich: diese Frau ruht in sich. Manchmal huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, ein Mundwinkel ist dabei leicht nach unten gezogen.

Sheela  Patel wird 1949 in  Baroda im indischen Bundesstaat Gujarat geboren, als jüngstes von sechs Kindern. Ihr Vater, ein Philosoph und Wegbegleiter Gandhis, und ihre Mutter haben ihr Denken geprägt, sie mit einem soliden Wertesystem ausgestattet,  Bhagwan hat ihr den ungewöhnlichen Schliff verliehen, der sie jetzt strahlen lässt.

1972 lernt die junge Ehefrau Sheela Silverman den wesentlich älteren Swami  Baghwan in Bombay kennen und verliebt sich sofort unsterblich in ihn. „Ich glaube nicht an die  Ehe, obwohl ich mehrmals verheiratet war: Ich habe viele Liebhaber gehabt, aber ich habe nie ein konventionelles Leben geführt.“ Osho tauft sie auf den Sannyas-Namen „Ma Anand Sheela“. Obwohl sie nur ungern meditiert und ihr nicht alle seiner Prüfungen zusagen, wird Sheela bald Baghwans engste Vertraute und Geliebte.

Bhagwans damalige Sekretärin Ma Laxmi baute 1974 in Poona, Indien, den ersten Ashram auf,  eine spirituelle Kommune. Bhagwan  bedient sich großzügig  aus dem Werkzeugkasten der Weltreligionen: Buddhismus, Hinduismus, jüdische Mystik und die Lehren japanischer Zen-Meister.  Tausende westliche Sinnsuchende strömen in den 70er Jahren nach Poona, um an Meditationskursen und Workshops teilzunehmen, initiiert zu werden mit der Hoffnung auf  Erleuchtung. Inder müssen bald vor der Tür bleiben, denn  Bhagwan sagt, Spiritualität sei ein Privileg der Reichen. Die Kommune finanziert sich durch hohe Teilnahmegebühren an den Kursen sowie Spenden der Anhänger.

Wer mehr gibt, erleuchtet schneller. Ein  religiöser Materialismus, neu, schnell und schwer angreifbar, weil alle freiwillig mitmachen. Sex wird explizit als Meditationstechnik eingesetzt, und das unterscheidet den charismatischen  Shree Rajneesh von seinen Zeitgenossen Krishnamurti.

Die indischen Sadhus rümpfen die Nase, die Westler zahlen. Über dem Eingang der großen Meditationshalle, in dem Osho seine Vorträge hält, steht: „Leave shoes and mind behind.“ Die Sanyassins verabschieden sich von ihrem Ego und geben sich voll und ganz in die Hände ihres Meisters. „Wir gingen nicht von Tür zu Tür, um Bibeln zu verkaufen und alle Leute zu  nerven, wie die Zeugen Jehovas. Wir drückten den Reisenden auf den Flughäfen keine albernen Blumen in die Hand, wie die Hare-Krishna-Mönche. Wir machten unsere eigene Sache.“

Die Zahl der Anhänger wächst, und der Aschram platzt aus allen Nähten. Bhagwan feuert Ma Laxmi wegen Unfähigkeit und heuert stattdessen die junge Sheela an, die er - und nur er - zärtlich „Seela“ nennt. „Ich wollte diesen Job nicht, mich hat Macht nicht interessiert, und ich hätte es mir auch nicht zugetraut. Doch an seiner Seite zu sein, hieß ihm voll und ganz zu vertrauen.“ Bhagwan weiß, dass Sheela schon längst mit der nötigen Charakterstärke ausgestattet ist, den die Sinnsucher durch ihn zu finden hoffen. Sie arbeitet selbstverantwortlich und kennt keine Angst.

1981  stirbt Sheelas Ehemann Marc Silverman an Krebs, und Sheela macht sich, getarnt als reiche Witwe, auf den Weg, auf einem Grundstück in den USA einen neuen, größeren Super-Aschram zu gründen. Sie kauft in Oregon die heruntergekommene „Big Muddy Ranch“. Hügeliges  Brachland, ungefähr  so groß wie New York City, sechs Millionen Dollar, kein Strom, kein fließendes Wasser. „Manchmal musste ich von einem Tag auf den anderen eine Viertelmillion Dollar auftreiben.“ Unbeirrt managt sie die Qualitäten ihrer Anhänger und baut die Sekte zu einem wirtschaftsträchtigen  Unternehmen aus. Bhagwan nennt sich nun Osho und leitet seine Schweigephase ein. Seine täglichen Vorträge hält er stumm, er lehrt durch seine Präsenz. Er spricht nur noch mit und durch Sheela. Was sie sagt, ist von nun an Gesetz.

In nur drei Jahren stampft Sheela die vollautarke Stadt „Rajneeshpuram“ aus dem Drecksloch. Sie kauft sich einen Cowboyhut und  passende Stiefel und gibt Tanzabende, um die Lokalbevölkerung milde zu stimmen, was ihr zunächst gelingt.

„Es war sehr anstrengend, meine Gesundheit  hat sehr darunter gelitten.“ Nachts knirscht sie so stark mit den Zähnen, dass ihr Kiefergelenk ausgetauscht werden muss. Osho fordert, dass sie im eigenen Operationssaal behandelt wird, und so bauen sich die Sanyassins auch noch einen eigenen vollausgestatteten OP. Außerdem: ein eigenes Einkaufszentrum, Schule, Feuerwehr, Kraftwerk und Polizei.

1984 zählt  Rajneeshpuram 7.000 Einwohner. 7.000  multiethnische „Rothemden“ und ein stummer Anführer, der gerne in einem seiner 96 Rolls Royce ins nahegelegene Städtchen Antelope donnert, das hauptsächlich  von konservativen Rentnern bewohnt wird. Die Sanyassins kaufen außerhalb der Ranch Grundstücke, bald sitzen sie in Antelopes Rathaus. Die Rednecks bekommen Angst. Angst vor den lächelnden Rothemden, die von Liebe reden und ihre hölzerne Mala um den Hals tragen mit dem Bild von Osho, nicht von Jesus. Antelope wird umbenannt in „City of Rajneesh“. Die Rednecks antworten auf den Coup d’Etat auf ihre Weise: In den Souvenirläden Oregons werden Poster verkauft, auf welchen „Jagt keine Hirsche - jagt Rajneeshees!“ steht.

Wir essen in Matrusaden zu Mittag, es gibt Thunfischsalat, Eiersalat und Brot. Das ist einfach zu essen, ihre Leute müssen nichts schneiden. 1984 erkranken in der Kleinstadt The Dalles, Oregon, 751 Menschen an Salmonellen aus den Salatbuffets verschiedener Restaurants, sie können deshalb nicht an der Wahl in Wasco County teilnehmen. Natürlich sind die Rothemden schuld und als deren Generalbevollmächtigte: Sheela. Bis heute gilt der Vorfall als der erste bioterroristische Akt in der Geschichte der USA. Sheela bürgert 4.300 Obdachlose in den Wahlkreis ein. Rechtsantwalt Charles Turner, der sich die Schließung der Osho-Ranch zur Lebensaufgabe gemacht hat, erkrankt nach einem Gespräch mit Sheela in  Rajneeshpuram lebensgefährlich, doch kann keine giftige Substanz in seinem Körper nachgewiesen  werden. Ein Untergrundlabor, in welchem Sheela angeblich mit Drogen und Aidsviren experimentiert haben soll, wird entdeckt. Dort soll Sheela nachts gemeinsam mit ein paar anderen „Mas“ in Reagenzgläsern das Ur-Anthrax zusammengemischt haben, als hätte sie sonst nichts zu tun. Paranoia, Politik, schließlich Panik.

Der  Staatsanwalt Oregons, David Frohmeyer, schleust langhaarige FBI-Agenten in den Ashram ein, ein kompliziertes Abhörprogramm wird installiert, ein Attentat auf Osho missglückt. Osho ordnet durch Sheela den bewaffneten Widerstand an: „Wenn sie auch nur einen von uns anrühren, werden wir fünfzehn von ihnen erledigen.“ Sheela engagiert Söldner aus Israel, Südafrika und der Schweiz und lässt eine handvoll Sanyassins zur paramilitärischen Spezialtruppe ausbilden. Unterirdische Räume werden gebaut, Tunnel gegraben, Wachtürme ragen in den Himmel. Sheela lässt sich mit einer Uzi über dem roten Gewand fotografieren, gibt markige Pressemitteilungen heraus, alles sieht sehr sexy aus.

Osho benimmt sich inzwischen wie ein reichgewordener Punk: Er trägt durchgeknallte Phantasieuniformen, die aussehen, als seien sie amerikanischen Sandalen-Musicals entnommen, er experimentiert mit Valium, Ecstasy, und seine Obsessionen mit Autos und Diamanten sind nicht mehr zu bezahlen. „Er hatte das Interesse an der Kommune verloren, wie ein Kind an einem Spielzeug. Er hatte seine Utopie verwirklicht und nun interessierte sie ihn nicht mehr.“ Die Kommune hatte ihren Anführer verloren, nur ein Lautsprecher hing noch ganz oben.

Sheela muss Kompromisse machen: „Meine Integrität stand auf dem Spiel. Ich hatte keine Freude mehr an der Arbeit. alles war falsch.“ In der berüchtigten Tonbandrede Nummer 20 nannte Osho die Ranch Rajneeshpuram unter Sheela ein „faschistisches Konzentrationslager“. Sheela hält den Vortrag angeblich unter Verschluss. Irgendwann weiß keiner mehr, wer auf wessen Seite ist. Das Experiment hat sich selbst überholt, die Kommune kollabiert. Oshos großangelegtes Experiment entlarvt sich als riesengroßer Streich.

Sheela beschließt zu gehen, verabschiedet sich offiziell und fliegt nach Europa, in ein neues freies Leben. Osho, sitzengelassen, unfähig,  Rajneeshpuram  alleine zu leiten, bricht sein Schweigen, geht an die Öffentlichkeit und bezichtigt Sheela einer ewig langen Liste krimineller Taten. Die einprägsamsten:

Sie hätte 55 Millionen Dollar beiseite geschafft; versucht, Oshos Leibarzt umzubringen; den Staatsanwalt zu vergiften und so weiter und so weiter. Um das FBI von einem bewaffneten Überfall auf Rajneeshpuram abzulenken und angeblich, um Blutvergießen zu vermeiden, flieht Osho mit seiner  Privatmaschine nach North Carolina, dann raus am den USA und taucht in Indien unter. Sheela hingegen wird in Deutschland gefasst, nach Amerika ausgeliefert und zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. „Ich bewegte mich frei in Deutschland, denn ich hatte ja nichts verbrochen…“ Osho erhält eine Bewährungsstrafe wegen Einwanderungsdelikten.

„Es war entsetzlich, doch die Existenz hat über mich gewacht, sie haben mich in eine Zelle mit einer Gewaltverbrecherin gesteckt, die bekannt war dafür, dass sie andere Haftinsassen mit Rasierklingen aufschlitzt.“ Sheela wird kein einziges Mal von ihr angegriffen. „Ich habe sie mit Respekt behandelt. Sie nannte mich Mrs. Kennedy, sie hielt mich für eine wirkliche Dame.“

Nach 39 Monaten wird Sheela Birnstiel  (sie hatte Jahre zuvor den Schweizer Urs Birnstiel geheiratet) aus der Haft entlassen, sie geht in die Schweiz, denn die Schweizer liefern ihre Landsleute nicht aus. „Die Amerikaner würden mich heute noch gerne einsperren. Ich habe nicht die Absicht, dort je wieder  hinzugehen.“

1995 schreibt sie ihre Autobiographie mit dem Titel „Tötet ihn nicht!“. Damit ist Osho gemeint, keine Bitterkeit, das Leben geht weiter. Heute kann Sheela wieder über die Grenze nach Deutschland fahren, um Besorgungen zu machen für ihr Wohnheim „Matrusaden“ oder das Bruderwohnheim „Bapusaden“. Sie lässt Fliegengitter reparieren und geht orthopädische Schuhe einkaufen mit ihren Leuten, sie fährt den Transporter selbst. Sie hat gute Laune, ihre Arbeit ist anerkannt, ihre Hingebung beispielhaft.

Als der 40-jährige Franz - seit acht Jahren in Matrusaden - Sheela fragt, ob sie beide heute wieder ins Fitnessstudio gehen würden, weiß ich: Sheela ist der fleischgewordene Geist Nikes, ihr Lächeln ein umgedrehter Swoosh: Sheela. Just do it.