Damen, die ich kannte (VIII) – Dr. Ruth K. Westheimer
Die Praxis der Sexualtherapeutin liegt im vierten Stock eines Ärztehauses auf der Upper East Side in New York. Dr. Ruth würde sich um einige Minuten verspäten, informiert mich die Empfangsdame mit rollendem R, ich könne oben warten. Dort, ein fensterloser Korridor, gemusterter Linoleumboden, Schachbrett, Neonlicht; an der Wand ein Schild mit der Aufschrift „Dr. K. Biegeleisen“ und ein Pfeil, der nach links zeigt; mehr Warschau als New York. Ein Schreibtisch steht da und eine Frau im Arztkittel spricht mit stark russischem Akzent. Ich freue mich schon auf die Couch.
Auftritt Dr. Ruth: Sie ist wirklich sehr klein, wie sie das aus dem Aufzug heraustritt, Alice im Wunderland. Sie schließt ihre Praxis auf und plappert sofort mit ihrer leicht heiseren Stimme auf Deutsch los: „Es ist sauber hier, aber sehr unordentlich, nicht sehr deutsch.“ Der Raum ist winzig, Bücher und Zeitungsartikel stapeln sich, Fotos von Familie und Prominenten, Auszeichnungen und Urkunden hängen an den Wänden. Und: keine Couch.
Nein, ich mache Verhaltenstherapie, keine Psychoanalyse, ich muss den Menschen ins Gesicht sehen. Sehen, wie sie sitzen.“ Sie setzt sich mir gegenüber, ihre Beine reichen kaum bis zum Boden, meine Knie berühren fast die ihren, kein Tisch zwischen uns, kein Abstand, durch den meine Kurzsichtigkeit der Welt die scharfen Kanten nehmen kann, nein, ganz nah, unmittelbar, wie nackt, vor Dr. Ruths Röntgenbrille. Dr. Ruth fängt das sofort auf mit ihrem warmen Lächeln, ihrem angenehmen mediengeschulten Plauderton. Sie erinnert mich an meine Großmutter Katharina.
Eine einstündige Konsultation in der Praxis kostet um die 200 US-Dollar. Jeder kann sich von der prominenten Dr. Ruth behandeln lassen: Paar mit sexuellen Problemen (auch homosexuelle), einzelne Partner oder alleinstehende Männer und Frauen, die jemanden kennenlernen wollen und dabei nicht immer in dieselben Fallen treten wollen. „Wenn sie eine schwerwiegende Störung haben, für die ich nicht ausreichend trainiert bin, schicke ich sie woanders hin, zum Psychiater, zum Gynäkologen oder einem anderen Arzt. Zum Beispiel hatte ich neulich einen Mann, der nur eine Erektion haben konnte, wenn er an einem Schulhof vorbei ging. Dem gebe ich keinen Termin bei mir, den schicke ich zum Psychiater.“