Damen, die ich kannte (III) – Carmen Bin Ladin

von 
Portrait
zuerst erschienen im März 2005 in Der Freund Nr. 3

Mit der trägen Anmut eines Filmstars schält Carmen Bin Ladin sich aus ihrer weißen Lammfelljacke und schlägt die Beine übereinander. Sie kommt allein, kein Agent, der mahnend auf die Uhr sieht, kein unauffälliges Sicherheitspersonal, kein Chauffeur. Schwere, geschwungene 1001-Nacht-Augenlider flattern den Rauch einer sehr langen, sehr dünnen Zigarette, als Carmen Bin Ladin ihren Café „très chaud“ bestellt. „Ich werde immer etwas nervös, wenn ich über diese Dinge spreche.“ Ein tiefer Atemzug, die Schultern rollen zurück und die Rita-Hayworth-Augenbrauen fahren nach oben. Carmen spricht Englisch mit einem einzigartig warmen französisch-orientalischen Akzent. „Ich musste das Buch auf Englisch schreiben, Französisch wirkt so pompös.“ Sie zieht die Schultern hoch und zwinkert mir mit einem charmanten Mädchen-Lächeln zu.

Carmen ist die Schwägerin von Osama Bin Laden, sie benutzt die Schreibweise „Ladin“ ihres Mannes Yeslam, einer der 50 Brüder des Monsters. Letztes Jahr hat sie ein Buch veröffentlicht über ihr Leben mit den Bin Ladens in Jeddah, Saudi Arabien, „Inside the Kingdom“, das in Deutschland unter dem unglücklichen Titel „Der zerrissene Schleier“ erschienen ist.

Das Buch ist eine Reihe von Dingen: die Memoiren einer Ehefrau (Basteln für den Kindergeburtstag), ein Plädoyer für die Freiheitsideale des Westens (Ich liebe Amerika!), ein Enthüllungsroman über den mächtigsten Saudi-Clan (undurchsichtig und korrupt), Beleidigungen gegen das saudische Königshaus (eine Bande mittelalterlicher Machos), und vor allem ein Aufsatz darüber, wie schnell sich bei dem Leben in der Wüste Sand in den Gehirnwindungen anlagern kann.

Carmen wächst im milden Klima am Genfer See auf. Ihre Mutter ist Perserin, Vater Dufour Schweizer. Die Eltern trennen sich, als Carmen noch klein ist. 1973 macht ein Teil der Bin-Laden-Familie Ferien in der Schweiz. Carmen verliebt sich in den intelligenten und gutaussehenden Yeslam Bin Ladin, weil er Sicherheit ausstrahlt, obwohl er gerne schnelle Autos fährt. Sie heiraten und gehen nach Kalifornien, um dort an der UCLA zu studieren. Carmen trägt ausgestellte Jeans und Yeslam wollige Koteletten, auf manchen Fotos sehen sie aus wie Cher und Sonny Bono. Yeslam schenkt Carmen eine einmotorige Mooney-Propellermaschine und sie nimmt Flugstunden. Bald wird sie schwanger und bricht ihr Studium ab. Yeslam macht 1976 seinen Universitätsabschluss und die junge Familie zieht voller neuer Ideen aus Amerika nach Jeddah, Saudi Arabien, zu den anderen Bin Ladens. Der Wüstenstaat boomt, die wenigen Clans teilen sich die Ölmillionen. Carmen möchte dabei sein bei der Entstehung eines neuen, modernen Saudi-Arabiens. Yeslam wird mit seinen Brüdern das große familiäre Bauunternehmen ausweiten, den internationalen Markt erobern.

Was jetzt kommt, ist nicht die Geschichte einer brutalen arabischen Ehehölle. Es ist die Geschichte der hypnotischen Langeweile, der Leere, der Ignoranz und der verlorenen Jahre einer umwerfend gutaussehenden, eigensinnigen Europäerin. Carmen darf die riesengroße vollklimatisierte Villa mit Pool nur verborgen unter einem schwarzen unförmigen Zelt, der Abaya, und in Begleitung eines Familienangehörigen verlassen. Die bei­ den staatlichen Sender zeigen von morgens bis abends einen Bärtigen, der aus dem Koran runterleiert. Die Zeitungen sind zensiert, Bücher gibt es nicht, Musik gilt als haram, als Sünde. Diskus­sionen mit anderen weiblichen Familienmitgliedern drehen sich hauptsächlich darum, ob etwas haram sei oder nicht. Doch sie bereut nicht, diesen Mann geheiratet zu haben: „Ich liebte ihn, er war gut zu mir und ich habe drei wunderbare Töchter. Da gibt es nichts zu bereuen.“ Heute nochmal heiraten: „Ich glau­be nicht.“ Gelangweiltes Effektblinzeln - ich glaube das auch nicht.

Sie fliegt zum Einkaufen nach Europa, verbrennt manchmal 50.000 Dollar auf einmal - „Die Saudis, das sind die Luxus-Taliban“ - schmuggelt regalweise Bücher ein, Schallplatten und Kinderspielzeug.

Carmen passt nicht rein, gehört nicht dazu. Die ar­roganten Bin Ladens sind fest davon überzeugt, daß sie eine be­sondere Rolle im Islam spielen, warum sonst hätte König Abdel Aziz dem Clan um die Jahrhundertwende die exklusiven Baugenehmigungen und Sanierungen aller religiösen Stätten in Mekka und Medina zugeteilt?

In der Schule lernen ihre Töchter nur nachzuplappern, Denken wird  systematisch unterbunden. Eines Tages kommt eine der beiden Töchter weinend nach Hause: ,„Mama, du wirst zu Hölle gehen, wenn du nicht betest.“ Doch Carmen spielt lieber Tennis und organisiert Soirées für Expats, Saudis, Diplomaten. Alkohol wird von afrikanischen Botschaften schwarz gekauft. Wenn die Ausländer weg sind, hört sie gut zu, was die Saudis unter sich ausmachen, hinter verschlossenen Türen. „Ich möchte der Welt die Denkweise der Saudis zeigen, wie ihr Fanatismus funktioniert. Um sie zu kennen, musst du einer von ihnen werden. Vor Fremden zeigen sie niemals ihr wahres Gesicht.“

Carmen liebt ihre Familie und sie glaubt fest daran, daß bald alles viel, viel besser wird. Es dauert neun Jahre, bis auch dem entspannten Yeslam der Lebensspagat so an die Nieren geht, daß er depressiv und paranoid wird, raus muß, nur weg.

1985 reist die Familie in die Schweiz. Carmen, überglücklich, ist bald wieder schwanger. Yeslam zwingt sie zur Abtreibung. Sie bereut es, wird wieder schwanger und beschließt diesmal, das Kind zu bekommen, egal, was Yeslam dazu sagt, der muß es ja nicht kriegen. Es wird eine dritte Tochter, Vater ist nicht begeistert. Viel schlimmer: Yeslam ist nicht mehr der alte, tolerante, offene Mann, den Carmen geheiratet hat. Sondern ein schlechtgelaunter Saudi mit einem Sprung in der Schüssel. Dann betrügt er sie, 1988 folgt die Trennung.

Yeslam behauptet, die jüngste Tochter sei nicht von ihm, doch ein DNS-Test beweist seine Vaterschaft. Der zähe, endlose Scheidungsprozess dauert über zehn Jahre, und hätte Bruder Osama nicht zwei Flugzeuge in das World Trade Center steuern lassen, so wäre es nur eine von tausenden internationalen Scheidungen gewesen, mit ganz viel schmutziger Wäsche.

Carmen hätte es auch leichter haben können, hätte sie nach der Trennung ihren frankophonen Mädchennamen Dufour wieder angenommen. Dann kam der 11. September. Flucht nach vorne: Carmen gibt in New York eine Pressekonferenz, in der sie sich und ihre Töchter von den Visionen des bärtigen Noch-Schwagers distanziert. Sie bekommt Morddrohungen, obszöne Anrufe, jeder kennt ihr Gesicht, und das ihrer Töchter. Hängen bleibt dabei in den CNN-BBC-FOX-konditionierten Gehirnen nur: bin Laden, bin böse.

„Wir haben nichts zu verstecken, wir mussten uns stellen, es ist nicht nur mein Name, sondern auch der meiner Töchter. Irgendwann holt es dich ein, du kannst nicht da­ vonlaufen.“ Auch heute reserviert sie in Restaurants, anders als ihr ehemaliger Mann, auf vollen Namen. „Manchmal halten die Leute das für einen schlechten Scherz.“ ]etzt lächelt sie nicht.

Ihr Scheidungsanwalt lässt sie im Regen stehen, wer will sich schon mit den Bin Ladens anlegen. Die Anrufe der Freunde werden weniger, der ältesten Tochter die Karriere als Juristin verbaut. „Trotz allem jammern meine Töchter nie.“ Wie immer, wenn sie von ihren Töchtern spricht, verengen sich ihre Augen zu zwei strahlenden Sternen. Sie ist stolz, ihre Mutter sein zu können. „Sie haben verstanden, daß manche Privilegien einen hohen Preis haben. Sie studieren hart und wissen, daß Reichtum wertlos ist, wenn er im goldenen Käfig genossen werden muss.“

Ständige Angst, daß ihre Tochter gekidnappt werden und dann in Saudi Arabien verblöden wie die anderen Frauen der Scheichs. Zu Hause rumsitzen, beten, und ab und zu ein buntes Versace-Kleid zum drunter ziehen. „Die Frauen werden wie Haustiere gehalten.“

Sie kramt ihre alten Tagebücher heraus, ihre Notizen und schreibt alles zusammen für ihre Kinder, damit diese einmal verstehen werden, warum die Leute einen Bogen machen um sie: „Ich wollte diese Buch, diese Aufzeichnungen eigentlich nur für meine Töchter fotokopieren.“ Carmen Bin Ladin hat sich mit ihrem Buch mit dem mächtigsten und einflussreichsten Clan Saudi-Arabiens angelegt. „Das würde jede Mutter tun, weisst du, Eva.“‘ Noch eine dünne Zigarette, noch ein Café, ganz heiß, auf dem Genfer See liegen dunkle Nebelschwaden: „Das Buch hat mich ins Rampenlicht gestellt und das bringt mir Sicherheit. Die können mir und meinen Töchtern nicht so einfach etwas anhaben, weil das jetzt sofort schlechte Presse gibt. Die Welt sieht zu.“

Carmen lebt heute in ihrer Schweizer Heimat wie im Exil. Sie meidet Länder des Nahen Ostens, um nicht an die Saudis ausgeliefert zu werden. „Keine Regierung der Welt könnte mich da herausholen und ich weiß, daß dort eine ganze Reihe von Anklagen gegen mich vorliegt.“ Yeslam versuchte nach der Trennung, Carmen für eine Unterschrift nach Jeddah zu locken. Doch Carmen weiss, daß laut Scharia die Unterschrift der Ehefrau im Scheidungsfall nicht notwendig ist.

Inzwischen hat Carmens entfremdeter Ex zu seinem saudischen noch einen Schweizer Pass. Anders als sein berühmter Bruder, sitzt er lieber im Porsche als auf einem Esel, fährt Ski, spielt richtig gut Tennis und malt ganz gerne. Eine Zeit lang hat er das Geneva Film Festival unterstützt und angeblich ein paar schlechte Filme finanziert. Seit Ende letzten Jahres versucht er seinem Leben etwas Bedeutung und seinem Namen etwas mehr Beständigkeit zu geben. Er hat ein Parfüm gelauncht, das „Yeslam“ heißt, wie sein Name, aber auch Verzückung auf arabisch. Er hat eine italienische Nase angeheuert, wie es unter Parfümiers heißt, einen Damen- und einen Herrenduft zu konzipieren. Yeslam selbst trägt lieber die Frauenversion, sehr narzissenhaltig.

Carmen will gar nicht erst wissen, wie es riecht. „Aber es war sehr lustig, meine Tochter kam nach Hause und sagte: Maman, Papa hat ein Parfum kreiert. Rate mal wie es heißt? - Ich hatte keine Ahnung. - Camel Number 5!“ Jetzt zieht Carmen wieder die Schultern hoch vor Vergnügen und zwinkert. Ihren Schwager kennt Carmen kaum. Beim ersten Zusammentreffen in ihrer Villa in Jeddah drehte Osama sich weg und floh, als hätte Carmen ihm psycho-energetischen Schleim ins Gesicht geschleudert. Dabei hatte sie nur etwas Haut gezeigt, ihr Gesicht genaugenommen, sie war unverschleiert und das war dem strengen Osama zu viel. „Zehn Prozent aller Moslems sind fanatisch, gefährlich, du kannst dir also ausrechnen, allein in Europa sind das schon Millionen.“ Dann sprechen wir schnell über Jeans, die Schweiz und Kalifornien.

Später brechen wir gemeinsam auf. An der ersten Kreuzung donnert ein Toyota in Carmens Audi. Eine angetrunkene Rotnase steigt aus und flucht auf französisch. Carmen lässt das Fenster herunter, müde. Sie weiß schon, was jetzt kommt: Gleich wird sie wieder ihren Namen sagen müssen, diesem fremden Vollidioten. Fragende Blicke. Sie schreibt ihre Telefonnummer auf. Der Mann schreit weiter in seinem dämlichen welsch-schweizer Französisch, seine Jacke riecht nach Schweiß. Er verlangt, daß sie ihren Namen niederschreibt. ln diesem Augenblick wünsche ich mir, dieser Mann müsste eine schwarze Polyester-Abaya tragen, und ganz viel „Yeslam“-Parfüm.

Carmen schreibt in großen Buchstaben C-A-R-M­-E-N neben ihre Telefonnummer. „Mais Carmen quoi, alors?“ Sie wirft ihm nochmals einen Blick aus ihren stahlgrauen Augen zu, du wirst das bereuen. Sie schreibt ihren Nachnamen dazu. „Zufrieden?“ Er runzelt die Stirn und formt mit seinem Lippen den Namen. Pause. Dann sagt er den Namen laut. Er sieht sie an, sie sieht mit ihren grauen Augen in den Schotter, der so grau ist wie der Himmel über dem grauen Genfer See, und plötzlich wird mir klar, wie ermüdend das ganze Leben doch ist.