Damen, die ich kannte (VI) – Susan Sanders
Susan Sanders rollende Augen prallen wie Billardkugeln an dem schwarzen Brillengestell von Dior ab. Sie schiebt den Dimmer der indirekten Beleuchtung hoch „Ich kann nichts sehen, wenn es so dunkel ist.“ Ein heiseres Lachen. „Ich würde lieber erblinden, als mir schlechte Kunst anzusehen.“ Martin Sanders öffnet die Tür zur Hausbar, in der ein riesiges chinesisches Ölgemälde hängt: barbusige Frauen, Flaggen, Schafe. „Ist das nicht großartig, es ist von diesem chinesischen Künstler aus der Plum Blossom Gallery. Wir müssen das diskret hängen, wegen der Orthodoxen.“ Sie malt mit dem Zeigefinger kleine Kringel neben ihr Ohr. „Immanuel, unser Jüngster, wird doch jetzt Rabbi. Wenn die zu Besuch kommen, aus Tel Aviv.“ Sie zeigt auf die Blätterteig-Snacks. „Nicht schlecht, was? Die sind glatt-koscher!“
„Wir haben Christian mal eine Cindy Sherman geschenkt, weißt du noch? Martin! Die Cindy Sherman, die so aussieht wie eine Latino-Putzfrau? Und Christian dachte, das ist so hässlich, und hat sie in die Garage gehängt. Erinnerst du dich, Martin?“ Martin kommt herein mit einer großen schwarzen Leinenbox, zeitgenössische Fotografie. „Susan, warum ist es hier so hell?“ „Ich kann nichts sehen, wenn es so dunkel ist. „Was willst du dir denn ansehen, du weißt doch, wie es hier aussieht.“ Es sieht aus wie in einem Schweizer Chalet. Durch die bäuerlich geschnitzten Fensterrahmen aber keine Schweizer Matten, sondern: der Hudson River. Eine Wohnung am Sutton Place. Susans heiseres Plappern wie das warme Knistern eines Kamins.
Martin dimmt das Licht erneut herunter. Alle ziehen weiße Baumwollhandschuhe an, die Leinenbox wird ausgepackt. Innen klebt eine Liste: Tilmanns, Eggleston, Becher, Mapplethorpe, Höfer, von allem was. Wir raten, welches Foto von wem ist. „Wo ist denn der Gursky?“ „Der war schon reserviert. Ich habe zu dem Galeristen gesagt, willst du Kunst verkaufen oder willst du davon reden, Kunst zu verkaufen…“ Beide im Chor: „Weil ich habe mein Scheckbuch jetzt dabei und mein Füller ist jetzt auf!“ Die Fotos werden vorsichtig wieder zurück in dien Karton gelegt. Susan dimmt das Licht etwas heller und singt in leisem Mezzosopran den Chorus aus Barbra Streisands Yentl: „Papa, can you see me? Papa can you find me in the night?“ „Susan, warum ist es hier so hell?“ Susan, jetzt allegro, mezzo forte: „The night ist so much darker; The wind is so much colder; the world I see so much bigger. Now that I’m alone.“ Molto forte: „Papa, please forgive me!“
Wir nehmen wieder Platz im Chalet und wenden uns unseren Cocktails zu. Susan beugt sich vertraulich zu einem der jüngeren männlichen Gäste, sotto voce: „Bei der Tohora, der rituaellen Totenwaschung, werden die Spiegel verhängt, aus Respekt vor den Verstorbenen. Wir Frauen von der Hevra Kaddisha – wir verkehren aber nicht privat miteinander – treffen uns immer nur zum Totenwaschen. Wir legen die Tücher so um den Körper, dass man immer nur ganz kleine Portionen des Körpers renigt, nie liegt der ganze Körper nackt vor einem.“ Sie nimmt ihre Brille ab, putzt sie ganz beiläufig und sieht ihrem Gegenüber tief in die Augen. Ihr Zuhörer wird rot. Ein bisschen wie Benjamin Braddock in The Gaduate, als Mrs. Robinson ihn fragt: „Do you want me to switch off the light?“ Wir gehen. Im Foyer, diffus angestrahlt: Buddhas Kopf: „Ratet mal, aus was der gemacht ist.“ „Plexiglas? Sandstein? Ton?“ „Nein. Aus den Telefonbüchern von New York City!“ Susan Sanders blättert das Lächeln Buddhas auf, doch seine Augen bleiben geschlossen.