Notorisch unnahbar

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Porträt
zuerst erschienen am 29. März 2015 in Welt am Sonntag
Kim Gordon hat Musikgeschichte geschrieben. 30 Jahre lang galten sie und ihr Mann als das Vorzeigepaar des intelligenten Rock'n'Roll. Die Ehe nahm ein bitteres Ende. Jetzt hat sie ihr Leben aufgeschrieben - und einen Bestseller gelandet

„Kim Gordon lehnt sich nicht an. Sie sitzt kerzengerade in der halbrunden Sitzecke einer New Yorker Hotellobby und nimmt einen Schluck von ihrem kalt gepressten Entgiftungsgetränk. Die Pommes-Frites-farbenen Haare umspielen ihre klaren Züge, als hätten die letzten 30 Jahre nicht stattgefunden. Beinahe jedenfalls. Gordon zählt zweifellos zu den einflussreichsten Musikerinnen ihrer Generation. Über drei Jahrzehnte lotete ihre Band Sonic Youth die Schnittmenge zwischen Pop, Punk und Avantgarde aus, indem sie Krach und Konzeptkunst mit rebellischem Charme und unwiderstehlichen Melodien verknüpfte. Die Bassistin war Vorbild für Legionen von jungen Frauen, ob sie nun selbst Musik machen sollten oder sich anderweitig gegen lahme Rollenklischees wehrten. Ihre Autobiografie „Girl in A Band“ wird Anfang April auf Deutsch erscheinen. In den USA hat es das Buch auf Platz zwei der „New York Times“-Bestsellerliste geschafft.

„Ich habe schon immer geschrieben. Schreiben hilft mir beim Denken. Ich kann keinen vernünftigen Gedanken fassen, wenn ich ihn nicht vorher aufschreibe“, sagt sie. Im gedämpften Licht wirken ihre Augen klein und dunkel. Die Lider, wie zu Schießscharten verengt, lassen nur so viel Licht rein wie absolut nötig. Es müssen sich zwei ganz kleine Spion-Kameras dahinter verbergen, die das Gegenüber beobachten, die wiederum Kim Gordon beobachten, wie sie beobachtet wird. Sie spioniert, und diese Perspektive prägte ihre Position als „Girl“ in der Band Sonic Youth.

Man möchte ein Post-it über diese Beobachtungsschleife kleben, so wie das jetzt alle mit der Kamera ihres Laptops machen, seit sie „Citizenfour“ gesehen haben. Kim Gordon hält alles im Stahl-Griff. Genau so hat sie auch ihre Biografie formuliert: distanziert, wachsam. „Ich wollte ein neues Kapitel aufschlagen. Wenn dir etwas Traumatisches passiert, fragst du dich natürlich, wie das alles passieren konnte und wie du genau da gelandet bist, wo du gerade bist.“

Das Trauma ist die Trennung von Bandkollegen und Ehemann Thurston Moore, mit dem sie 27 Jahre verheiratet war. Die beiden waren Vorzeigepaar einer besonders fortschrittlichen Form des Rock’n’Roll. Sie schleiften Gitarren über den Boden, rammten Nägel zwischen die Saiten und misshandelten die Verstärker so lange, bis die Frequenzen wie Urschreie einer unentdeckten Spezies klangen. Sonic Youth warfen mit derselben Energie Klangfarben um sich, wie Jackson Pollock Lack auf seine Leinwände katapultierte. Action-Painting für die Ohren.

Das Buch beginnt mit dem letzten Konzert von Sonic Youth bei einem Festival in der Nähe von São Paulo und untermauert Gordons Doppelrolle als Insiderin und Außenseiterin in einer von Männern und ihren Ritualen dominierten Welt. Noch-Ehemann Thurston Moore und Lee Ranaldo marschieren, mit Gitarren und Rockstar-Gesten bewaffnet, auf die Bühne, Steve Shelley nimmt auf dem Hochsitz hinter dem Schlagzeug Platz. Als Letzte tritt Kim Gordon auf, Xanax in der Blutbahn, ihr Bass hängt wie ein Joch von ihrem Hals. Einen Monat zuvor haben sie und Moore ihre Trennung bekannt gegeben.

Es war kein „bewusstes Auskuppeln“, wie Gwyneth Paltrow die Trennung von Rockstar Chris Martin in ihrem weichgewaschenen Jargon bezeichnete, als ließe sich der Schmerz einer Scheidung mit der richtigen Duftkerze behandeln. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Kim Gordon hasst die Neue. Noch immer. Wer für Katharsis-Literatur empfänglich ist, kommt in „Girl in A Band“ trotzdem nur begrenzt auf seine Kosten. „An diesem Abend sahen Thurston und ich uns kein einziges Mal an, und wenn ein Song ausklang, drehte ich mich weg vom Publikum, damit niemand mein Gesicht sehen konnte. Doch das nutzte wenig, denn alles, was ich tat, wurde auf die zwölf Meter hohen Videoleinwände übertragen.“ Auf einmal liegt sie selbst unter dem Mikroskop: „Ich glaube, ich habe mich noch nie im Leben so einsam gefühlt.“ Kim Gordon wird Mensch.

Der Titel ihrer Autobiografie ist programmatisch: Das andere Geschlecht ist im Leben Gordons ein zentrales Thema, und als einzige Frau in der Band hält sie Sonic Youth für das perfekte Objekt einer Langzeitstudie. Männerfreundschaften funktionieren für sie nur im Dreieck: „Wenn zwei Männer allein miteinander sind, haben sie sich oft wenig zu sagen. Sie finden eine gewisse Nähe, indem sie sich auf eine dritte Sache konzentrieren: Musik, Videospiele, Golf, Frauen.“ Gordon will Teil dieser Dynamik sein. Weder Riot Grrrl noch Barbie-Puppe, steht sie bis heute ziemlich allein da als gleichberechtigte Frau, die mit dem Ehemann erfolgreiche, aber nur bedingt lukrative Rockmusik macht.

Ihre notorische Unnahbarkeit ist dabei weder Pose noch künstlerisches Kalkül. Sie hat früh begonnen, die Fassade zu pflegen. Das hat sie ihrem älteren Bruder Keller zu verdanken: „Er ist immer noch brillant, manipulativ, sadistisch, arrogant und beinahe unerträglich wortgewandt.“ Weil in jeder Familie nur Platz für ein durchgedrehtes Kind ist, zieht Kim sich zurück und sucht Halt in der Normalität. Der ständige Terror des Bruders gräbt sich tief in ihre Seele ein. Einmal droht er: „Ich werde all deinen Freunden erzählen, dass du geheult hast.“ Worte, die sie nie vergisst. Kellers paranoide Schizophrenie wird erst diagnostiziert, als er längst von zu Hause ausgezogen ist.

Die Gordons leben in einem Canyon bei Los Angeles, eine „Akademikerfamilie, keine Showbiz-Familie“. Trotz des fiesen Bruders wirkt Gordons Kindheit eher beschaulich. Auf dem Plattenspieler der Eltern liegen John Coltrane, Joni Mitchell, Billie Holiday. Ihr Vater, Soziologe, zieht wegen seiner Lehraufträge mit der Familie für ein Jahr nach Hongkong und später nach Hawaii. Das sonnige Kalifornien der 60er- und 70er-Jahre beschreibt sie als dunklen Ort mit künstlichen Palmen und einem Disney-Himmel; L.A. als Stadt ohne Gewissen, die Zeit und Raum zu einem Nirgendwo aus Plastik annulliert. Idealer Lebensraum für Filmmogule, Weltuntergangs-Gurus, Hippies, Drogenjünger und Massenmörder. 1969 liegen die Schluchten der 16-jährigen Kim Gordon im Schatten von Charles Manson und seiner blutrünstigen Mischpoke. „Viele waren auf der Suche nach Freiheit und religiösen Utopien - je mehr, je weiter man Richtung untergehende Sonne flüchtet, die auch ein Symbol des Todes ist. Keiner hier mag alte Dinge, es gibt keine sichtbaren Anzeichen des Todes, aber du findest Phänomene wie die Mansons. Diese Dunkelheit.“

Gordon flüchtet in die Kunst und in die Musik. Als Teenager hat sie ein Verhältnis mit dem später zum Star-Filmkomponisten avancierten Danny Elfman. Sie studiert Kunst, experimentiert mit Film, Performance, Malerei. Der Einfluss der Konzeptkünstlerinnen Jenny Holzer und Barbara Kruger sensibilisiert sie für Sexismus in den Medien und das Phänomen des Popstars als Ware. Sie merkt: Nur auf dem Papier, in der Galerie und auf der Bühne fallen ihre Hemmungen: „Das waren die Orte, an denen ich Sexualität und Wut zeigen konnte - und meine Gleichgültigkeit gegenüber dem, was andere Leute denken.“

Als ein Autounfall ihr 10.000 Dollar Schmerzensgeld beschert, zieht Gordon nach New York. Sie schläft bei der Künstlerin Cindy Sherman auf dem Boden, arbeitet mit der Freundin des Regisseurs Jim Jarmusch im Kopierladen, als Rezeptionistin in der Galerie von Larry Gagosian. Sie hat kein Geld für die U-Bahn, eine Bekannte überlässt ihr eine alte Bassgitarre.

Bald lernt sie den fünf Jahre jüngeren Thurston Moore kennen: Schlaksig, fast zwei Meter groß, der ideale Ersatzbruder. Gordons blondes Haar im ambivalenten Kurzhaarschnitt ist an der Ostküste zu einem schmutzigem Braun verkümmert. Moore begleitet Gordon in ihre Wohnung, erkennt den Bass, der dort an der Wand lehnt, denn er hat ihn selbst schon einmal gespielt. Die beiden verlieben sich und gründen eine Band. Sonic Youth‘ experimenteller Sound besetzt eine Nische zwischen Post-Punk und Art-Noise. Konsequenterweise treten sie anfangs öfter in Galerien als in Konzertsälen auf. Sonic Youth machen die Grenzen zwischen Punk und Rock, Kunst und Performance fließend. Die Verbindung zwischen Gordon und Moore erscheint unantastbar. Auf Moores Wunsch heiraten die beiden.

Der Filmemacher Dave Markey dreht die Musikdoku „1991: The Year Punk Broke“, mit auf Tour ist die damals noch unbekannte Grunge-Band Nirvana. Man sieht Kurt Cobain, drei Jahre vor seinem Suizid, wie er mit Gordon herumalbert. Klein, fast zerbrechlich trägt Cobain seine fusselige Seele nach außen wie ein umgedrehtes Sweatshirt. Kurt mag Kim. Kim mag Kurt. Wenn sie gemeinsam vor der Super-8-Linse herumalbern, sprühen unschuldige Funken. Ehemann Moore ist so sehr damit beschäftigt, cooles Zeugs ins Mikro zu plappern, dass er vom stillen Feuerwerk nichts mitbekommt. Im Buch spielt Gordon ihre Begegnung mit Cobain herunter: „Sobald wir zwei zusammen waren, fühlte ich mich wie eine große Schwester, fast schon mütterlich.“ Wer den Film gesehen hat, weiß, dass sie lügt.

Auftritt Courtney Love, das exakte Gegenteil von Gordon; freizügig, provokant, laut, narzisstisch. Pathologisch ehrgeizig und eine geniale Strategin, instrumentalisiert sie Gordon als Schlüssel zu Cobain und heuert sie als Produzentin für die erste Platte ihrer Band Hole an. „Irgendwann während der Aufnahmen von ,Pretty on the Inside‘ erzählte Courtney, sie fände Kurt Cobain scharf. Ich zuckte innerlich zusammen und hoffte, dass die beiden sich nie begegnen würden.“ Zu spät. Love nimmt Cobain ins Fadenkreuz und schießt sich mit der Effizienz eines Scharfschützen in sein Herz. Als Quittung ist ihr ganzes Leben auf den Tag im April 1994 reduziert, an dem ihr Mann sich das Leben nimmt.

Wenn man der Biografie Glauben schenken kann, ist Kurt in drei Jahrzehnten der Einzige, der ein Knistern bei Gordon auslöst. Hat sie vor lauter Männer-Analyse den Bezug zu sich selbst verloren? „Eigentlich habe ich mich nie besonders weiblich gefühlt. Es sei denn, ich trage High Heels, aber dann fühle ich mich eher wie ein Transvestit.“ Der Tomboy-Style der französischen Sängerin Françoise Hardy bleibt ihr Kompass. Erst der Plattenvertrag mit dem Label Geffen fordert sie in einer zentraleren Bühnenrolle: „Wenn man sich sexy anzog, konnte man dissonante Musik leichter verkaufen.“

1994 kommt Tochter Coco Hayley Gordon Moore zur Welt, und das Paar beschließt, das gentrifizierte Soho zu verlassen. Sie ziehen ins dreieinhalb Autostunden von New York entfernte Northampton im Bundesstaat Massachusetts. Das Leben auf der Überholspur wird nun mit Kindersitz und angezogener Handbremse gefahren. Trotz des Familienlebens in der Provinz ist ständig was los, es wird getourt, ausgestellt, gedreht, performt, promoted, designt. Sonic Youth bringen allein 17 Studio-Alben heraus, sie arbeiten mit einer langen Reihe von Kreativen zusammen, darunter Gerhard Richter, Chloë Sevigny und Marc Jacobs. Kim Gordon entwickelt selbst zur Marke. Sie spielt sie eine Nebenrolle in Gus Van Sants „Last Days“, einer Meditation über die letzten Tage von Kurt Cobain. Bezeichnenderweise beschreibt sie den Gang über den roten Teppich in Cannes als Höhepunkt ihrer Karriere.

Anlässlich einer Tribute-Show für Kurt Cobain in der Rock’n’Roll Hall of Fame singt Gordon „Aneurysm“, einen Song von Nirvana. Der fünfminütige Auftritt kann nur als späte Liebeserklärung, Geständnis und Exorzismus gelesen werden. Gordon rutscht aus, windet und biegt sich durch den Text, die Adern im Hals dem Bersten nahe: „Love you so much, it makes me sick, ah - ha, come on over and shoot the shit, ah-ha“. Das Mikro ist so krass übersteuert, dass ihr Gesang wie ein Hilferuf aus dem Fritzl-Bunker klingt. Was, wenn sie mit Cobain zusammengekommen wäre? Wäre er noch am Leben? Hätte sich Courtney an Thurston die Zähne ausgebissen?

Mitte der Nullerjahre tritt Kim Gordon auf die Mine, die ihr perfekt außergewöhnliches Leben in Stücke reißt. „Ein Mann mit Midlifecrisis, eine andere Frau, ein Doppelleben.“ Sie stolpert über eine unzweideutige Textmessage der Kunstbuch-Lektorin Eva Prinz; sie bleibt im Buch namenlos. Es folgt eine Zeit, die von der giftigen Mixtur aus Eifersuchtsanfällen und Überwachungsmethoden beherrscht ist - die elendige Palette der Ehebruch-Beweisführung. Gordon macht Schluss. Moore schwört Prinz ab. Paartherapie. Es vergehen Monate, vielleicht Jahre. Moore kommt nicht von Prinz los. Gordon lockert den Griff. Dann lässt sie los. Freier Fall. The End.

„Dieses Buch ist das Gewöhnlichste, was ich je gemacht habe.“ Längst gibt es neue Projekte wie die Band Body/Head mit ihrem alten Bekannten Bill Nace. Das Gespräch kommt auf neue Männer in ihrem Leben, von denen hier aber nichts weiter verraten werden soll. Sie wird Northampton verlassen, ihre Tochter besucht das College. Ihr altes New York erkennt sie nicht wieder, es sei eine „Stadt auf Steroiden“. Jetzt erhellen sich ihre blauen Augen. „Ich glaube, ich werde zurück nach L.A. ziehen.“ Vielleicht wird sie wieder surfen.