Das Gift der Gabe
Wer alte Bücher sammelt, findet Widmungen darin, und manchmal sind sie der Grund, ein Buch zu kaufen, denn es gibt Widmungen, die den Wert eines Exemplares ungemein steigern, das Interesse am Inhalt entfesseln können. Wer besitzt schon eine Widmung von Gerd Kippenberger, den Zechendirektor aus Essen und Vater des großen Künstlers Martin Kippenberger, der seine autobiographischen Texte im Selbstverlag drucken ließ. „Liebes Fräulein Kannengießer“, schrieb er 1956 mit königsblauer Tinte und aufgeräumter Handschrift in das grüne Bändlein „Losgelassen“, „zwischen S. 78 und 96 finden Sie u.a. einige Blitzlichter unserer Bu.H.V.-Exkursionen nach Skandinavien und Spanien. Herzl. Weihnachtsgruß und ein gutes neues Jahr wünscht Ihnen Ihr Kippenberger.“ Ist das nicht der vollkommene Wahnsinn? Und irgendwann beschliesst man, sich bei den antiquarischen Internethändlern grundsätzlich diejenigen Exemplare zu bestellen, die mit der Vorwarnung „Widmung im Vorsatz“ angeboten werden.
Die Widmung wurde zwar lang vor der sms erfunden, hat doch einiges mit ihr gemeinsam: Ihre Botschaft will auf ein bis drei Sätze ein wenig emotional, ein wenig lapidar sein, und ist in der Wirkung oft ernüchternd. Vielleicht liegt es daran, dass die Widmung immer zu einem Geschenk gehört, und Schenken unter Erwachsenen leicht sehr kompliziert, demütigend, schrecklich sein kann. Einen besonders tiefen Stich bekam Bundeskanzlersohn Lars Brandt zu spüren, nachdem er seinem Vater Willy zu dessen Geburtstag am 18.Dezember ein Buch von Bertolt Brecht schenkte. Nur sechs Tage später, Heiligabend, erhielt er das Buch unter dem Tannenbaum liegend zurück. „Ungeachtet meiner Widmung darin (die ihm vielleicht nicht auffiel, weil er das Buch gar nicht erst öffnete?)“, beschrieb Lars Brandt diesen demütigenden Moment in seinem Buch „Andenken“ und überlegte, ob sein Vater nicht eigentlich „den Schmu spürte, der hinter einem solchen Geschenk von mir gesteckt hatte, das doch nur so tat, als sei es mehr als eine hohle Phrase“.
Die Widmung allein ist selten in der Lage, von den Verstrickungen dahinter zu erzählen, doch manchmal macht sie neugierig und lieferte sie Hinweise auf eine Geschichte. Wie in auch diesem Fall: Das Buch „Die Wärme der Abneigung“ des niederländischen Künstlers Armando kostete in einem Berlin-Charlottenburger Antiquariat inklusive Versand knapp fünf Euro. Die Widmung darin lautete, geschrieben mit schwarzem Kugelschreiber in gut lesbarer, angehaltener Schrift:
21-1-88
Meinem
schwierigen
Freund und
Zeitgenossen M. Schling
zur
Erinnerung
an seinen
geplagten Galeristen!
M.J. Wewerka
Das Verhältnis von Künstler und Galerist unterliegt naturgemäß mancher Prüfung, doch die eigentliche Frage, die diese Widmung aufwirft, lautet: Wieso hat M. Schling, der Beschenkte, das Geschenk abgestossen, wieso landete es auf dem zweiten Markt? Ist jener M. Schling verstorben oder hat er sich mit seinem „geplagten Galeristen“ verkracht, was geschah auf dem weiten Feld zwischen Wärme und Abneigung? Ein Anruf bei Herrn Wewerka, der nach wie vor in Berlin seinem Beruf als Galerist nachgeht, soll Aufklärung bringen. „Ah, jetzt erinnere ich mich an das Geschenk“, sagt Wewerka, nachdem ihm die Widmung dreiundzwanzig Jahre nach ihrer Niederschrift vorgelesen wird. „Das hatte natürlich eine Bedeutung, das ich das dem Maler Schling geschenkt habe. Der war eklig, der kann das gut, obwohl er mein Freund ist.“
Er wisse nicht, wieso das Buch in das Antiquariat gelangt sei. Er verspricht, den Sachverhalt zu klären, er würde Schling bald wiedersehen, er miete Büroräume in dessen Atelier, und würde sich dann melden. Bis dahin überbrücken wir die Zeit mit einer Anekdote über George Bernhard Shaw, den grossen irisch-britischen Dramatiker, der in einem Antiquariat eines seiner Bücher entdeckte, und darin seine eigene handschriftliche Widmung an einen lieben Freund erkannte. Er kaufte das Exemplar für einen geringen Betrag, schrieb eine erneute Widmung hinein und übergab das Buch dem lieben Freund zum zweiten Mal. Peinlich, peinlich, aber so sind sie gestrickt, die Freuden eines Gentleman.
Wewerka meldet sich zurück. Die Sache sei harmlos, versichert er, Schling sei damals für einige Jahre nach Chile gegangen und habe vorher seinen Hausstand verkleinert und kistenweise Bücher abgestossen. Die Auflösung des Rätsels ist alles andere als sensationell, aber immerhin ließ sich das Schicksal des Buches (habent sua fata libelli – Bücher haben ihre Schicksale) verfolgen. In Zukunft wird das kaum noch möglich sein, denn eine neue Perfidie erfreut sich zunehmender Verbreitung: die Widmung nicht mehr einzuschreiben, sondern auf einer Postkarte beizugeben. Wieso bloß? Natürlich um dem Beschenkten die Möglichkeit zu geben, das Buch wie einen Wanderpokal weiter zu reichen oder im Internet als „unbenutzt/ungelesen“ zu verkaufen. Barbarisch, oder? Das Geschenk als Provisorium, so könnte man natürlich auch argumentieren, sei eine begrüßenswerte Entwicklung, ein sympathisch nüchterner Umgang mit dem Geschenk in der Wegwerfgesellschaft. Wer zuhause einen Stapel uneingelöster Geschenkgutscheine liegen hat, kann das durchaus so sehen.
Wenigstens unter den feinen Herzögen und Herzöginnen ist es eine schöne Sitte geblieben, sich gegenseitig den Roman „Die hässliche Herzogin“ zu schenken. Aber auch Grafen und Freiherren belieben, ihren pickeligen Töchtern vor dem Debütantinnenball ein Exemplar mit ein paar aufmunternden Worten zu verehren. Wo immer es Zugang zu Schloss-Bibliotheken aus Privatbesitz gibt, sollte man nicht zögern, nach dem Historienschinken von Lion Feuchtwanger zu fahnden, der von jener entstellten Herzogin Margarete Maultasch erzählt, der es trotz einer erheblichen Gesichtsentstellung nach Liebe, Macht und Anerkennung verlangt. All diesen Widmungen darin ist zu entnehmen, dass junge Blaublütige mit Humor vor jenen Spotterfahrungen abgehärtet werden, die ein Adeliger in demokratischen Gesellschaften ertragen lernen muss.
Darüber hinaus ist das Muster, den wörtlichen Buchtitel als zentralen Auswahlgrund für das Geschenk zu nehmen, und den Akt des Schenkens mit einem lauten, ironischen Ton zu versehen, auch unter Bürgerlichen verbreitet. Das ist auch insofern praktisch, weil durch die handschriftliche Sentenz nur noch kurz nachgetreten werden muss. Gerade in den letzten Jahren erschienen einige Titel, die quasi nichts anderes als gallige Grußkarten waren, was auch ihren kommerziellen Erfolg abschließend erklärt: „Du musst dein Leben ändern“ von Peter Sloterdijk („Dem frisch Geschiedenen zum Neuanfang!“), „Das Methusalem-Komplott“ von Frank Schirrmacher („Zum 40. Geburtstag alles Gute für die Gesundheit!“) oder „Leichenblässe“ von Verwesungskrimiautor Simon Beckett („Viel Spaß an der Nordsee“).
Schriftsteller sind die ernsthaftesten Widmungsverfasser. Von Thomas Mann ist der rätselhafte Satz „Ich dichte jetzt hauptsächlich Widmungen“ überliefert. 1936 schrieb er dies an seinen Verleger, sieben Jahre nachdem er den Literaturnobelpreis erhielt, kurz bevor er im Schweizer Exil die tschechische Staatsangehörigkeit empfing und als er seinen dritter Joseph-Roman veröffentlichte. Man muss ihn sich als einen Werbetreibenden in eigener Sache vorstellen, der seinen Kollegen und Freunden die schwer verkäuflichen Joseph-Romane ans Herz legt. Immerhin konnte er sich die Widmungen in Ruhe am Schreibtisch überlegen. Heute signiert ein Autor seine Bücher unmittelbar nach der Lesung, und schuld daran ist der Büchertisch. Denn der Büchertisch markiert die Grenze zwischen literarischem und profanem Raum, zwischen Gespräch und Schweigen. Mit dem Kauf des Buches erwirbt man das Recht, in den literarischen Raum zurückzukehren, an den Autor heranzutreten. Der Autor nimmt das Buch entgegen, in einer Mischung aus Dankbarkeit und peinlicher Berührung. Dass ein wildfremder Mensch tatsächlich Geld für das Buch ausgibt, wo schon die engsten Familienangehörigen und Freunde es nur geschenkt haben wollen, gehört wohl zu den emotional herausforderndsten Erfahrungen seines Berufes. Devot fragt der Autor was der reinschreiben soll, bzw. er fragt knapp: „Für wen?“ Der Käufer buchstabiert einen Namen. Der Autor ergänzt vielleicht noch um Ort und Datum, und nur denjenigen, denen am drängendsten an den Fragen der Gegenwartsliteratur gelegen ist, hinterlässt er die Telefon- und Hotelzimmernummer. Selten kommt es in diesem Setting zu niveauvollen Stegreifen. „Was soll ich reinschreiben?“ fragte Rainald Goetz beim Signieren seines Fotobandes „elfter september 2010“ einmal. Auf die Bitte, er möge bitte schreiben, was er eigentlich gegen dicke Frauen habe, oder wahlweise, was ihm zu Natascha Kampusch einfiele, antwortete er: „Das kann ich nicht!“
Mehr Mühe verwenden Autoren, wenn es um Widmungsexemplare an befreundete Kollegen geht, doch auch da sind Gemeinheiten nicht unbekannt. Thomas Mann konnte es sich nicht verkneifen, seinen Sohn Klaus an die Rangunterschiede zu erinnern: „Meinem bedeutenden Kollegen – sein vielversprechender Vater“. Normalerweise ergießt man sich in Nettigkeiten und Komplimenten. Wenn man sich ansieht, was Autoren ihren Lektoren einschreiben, zumal in Bücher, denen man gemeinsam auf die Welt verhalf, fällt auf, dass es oft um Äußerlichkeiten geht: „Du bist für mich nicht nur die beste Lektorin der Welt, sondern auch die schönste. Außerdem hat die Arbeit mit Dir sehr viel Spaß gemacht“ schrieb beispielsweise Moritz Rinke seiner verdienstvollen Rowohlt-Lektorin ein (sie möge verzeihen, dass man sich bei ihrer letzten Party intensiv mit dem Buchregal beschäftigte). Wer Rinkes Ode für eigene Zwecke verwenden möchte, braucht das Wort „Lektorin“ nur durch „Mama“ oder „Kollegin Wurstfachverkäuferin“ ersetzen. Soweit zur handschriftlichen Widmung.
Die gedruckte Widmung ist ein anderer Fall, ihre Geschichte geht 2700 Jahre zurück, denn die alten Griechen beliebten ihren Sponsoren sprachkünstlerische Werke zu widmen, nicht zuletzt war es auch ein Instrument zur Sicherung der Urheberschaft. Von Mozart gibt es eine als Arie komponierte Widmung, zum Anlass einer lästigen Benefizveranstaltung, wahnsinnig schrill und hoch, und so voll ätzender Untertänigkeit angelegt, dass sie eigentlich tief beleidigen sollte: „Nehmt meinen Dank, ihr holden Gönner! So feurig, als mein Herz ihn spricht, euch laut zu sagen, können Männer, ich, nur ein Weib, vermag es nicht.“
Mittlerweile hat die Widmungsforschung herausgefunden (besonders hervor tat sich die österreichische Zeitschrift „Sichtungen“ mit einem Themenschwerpunkt „Zum Phänomen der Widmung“, 2006, leider vergriffen), dass ein Großteil der Romane auf unseren Bestsellerlisten geheimnisvollen Initialwesen gewidmet sind (für B.H.), die fürs Publikum aber ohne Belang sind. Das war nicht immer so. Als der britische Schriftsteller und Geheimagent T.H. Lawrence, der „Lawrence von Arabien“, 1926 seinen Roman „Die sieben Säulen der Weisheit“ mit dem Vorsatz „To S.A.“ versah, beschäftigte dies seine Zeitgenossen so sehr, dass sie darin den stichhaltigsten Beleg einer etwaigen homosexuellen Neigung Lawrence´ zu einem gewissen Selim Ahmed erkannten und sich das Maul zerrissen.
In der Belletristik völlig aus der Mode geraten ist mittlerweile die Widmung an die eigene Ehefrau, die alles erduldet, liest, korrigiert und abtippt. Diese graue Märtyrerin der Hochkultur ist nämlich in den wissenschaftlichen Bereich abgewandert und ziert dort fast jede „in mühevoller Kleinarbeit“ gefertigte Promotion, wie schon der Essay „Die Frau im Vorwort“ des Juristen Maximillian Herberger aufgezeigte.
Abschließend ergeht hier die Aufforderung, trotz allem an der Widmungen festzuhalten, und sich auch weiterhin Bücher zu schenken. Manche Leute schreiben nämlich richtig gute Widmungen, sie nutzen Zitate, erforschen ihre Gefühle, sie zeichnen, stempeln, reimen und können auf kleinstem Raum wahnsinnig kreativ sein. All diese Helden des Paratextes konnten hier leider nicht berücksichtigt werden, denn ihr Ruf erreichte uns nur vom Hörensagen. Only you!