Der George-Michael-Komplex

von 
Hommage
zuerst erschienen 2006 in Frankfurter Rundschau
Es ist nicht einfach, ein George-Michael-Fan zu sein. Eine kritische Hommage von Sarah Khan

Als George Michael vor fünfzehn Jahren durch Deutschland tourte, erschien zufällig zur gleichen Zeit der amerikanische Roman Ich nun wieder von Jay McInerney, in dem die Heldin Alison spitz bemerkt, als einmal das Stichwort George Michael fällt, „Ich traue keinem Mann, dessen Nachname wie ein Vorname klingt.“

Richtig, George Michael ist, bei all der Liebe, die ein Fan wie ich in mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren für ihn aufgebrachte, nicht immer zu trauen gewesen. Er, der mit der englischen Popwelle der 1980er Jahre in die Öffentlichkeit kam, dann obsessiv an seinem Geschmack und seinen Songs feilte, bis die Musik so poliert und präzisiert war, dass sie selten funktionierte; und der mittlerweile sein öffentliches Leben zwischen den Toiletten und Gebüschen der Boulevardpresse verbringt, war nie ein einfaches Fanobjekt. Und ob er diese dicht terminierte Tournee, die am 14.Oktober in Stuttgart beginnen soll, nach fünfzehn Jahren Zäsur wirklich durchführen kann, werden wir sehen. Vor wenigen Tagen zog man ihn im komatösen Zustand aus dem Straßenverkehr.

So lange schon singt dieser Sohn eines Londoner Restaurantbesitzers mit griechisch-zypriotischer Herkunft für uns dicken Mädchen, schwulen Jungs, einsamen Bartendern und 80er bis 90er-Jahre-Zombies, dass er für die Generation derer, die jetzt zwischen fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt sind, einer der wenigen wirklich lebensbegleitenden Sänger ist. Für uns ist er The Voice. Einen andere haben wir nicht, und mit ihm sind wir mehr als verwöhnt.

Er gilt als der drittgrößte Popstar der Achtziger, hinter Madonna und Michael Jackson, oder Prince. Dass er anders war als diese amerikanischen Tänzer-Sänger, die er als Ego-getrieben wahrnahm, hat er am charmantesten in seinem Song Star People thematisiert.

Dass er nicht aus Erfolgssucht heraus funktioniert, erkennt man an seiner mühevollen Suche nach dem geschmackvoll gesetzten Lied oder der sauber abrollenden Discohymne nach eigenen, nunmehr altmodischen Bedingungen. Viele Jahre wurde er nicht fündig, veröffentlichte Duette – etwa mit Aretha Franklin, Mary J. Blige oder Whitney Houston – oder präsentierte Cover-Versionen. Der gezähmte Dreitagebart oder das Jazzbar-Interiour-Design sind dabei Nebenprodukte; Unterstreichungen seiner Person. Immer im Gegensatz zu den bunten Kostümierungen oder wechselhaften Rollenspiele der „größeren“ KollegInnen.

Nie holt er sich angesagte Produzenten zur Seite, die ihm den Sound der Zeit erklären und zuliefern könnten, wie es andere Popstars tun, die bei den aktuellen Teenagermassen noch was gelten wollen. Die missglückten Discosongs Freak oder Shoot the Dog tragen dieser Bürde des Authentischen Rechnung. Aber da ist immer die unverkennbare, allerschönste Stimme, die ein bisschen wie eine verzweifelte, noch nicht gebrochene Frau aus dem Roman Das Tal der Puppen von Jacqueline Susan ist (eine Autorin, die ja nun ebenfalls einen Nachnamen wie einen Vornamen hat). Eine Stimme, die beim Weinen neue Töne ausprobiert und sich mit eisigem Weißwein und einer kleinen Valium beruhigt. Inmitten geschmackvollster Möblierung.

Aber das Geschmackvolle ist ein beharrlich wartendes Fettnäpfchen, in das man Jahre später fällt. Man denke nur an das Cover der Maxi-Single I want your sex: Der Faltenwurf von dunkler Satinbettwäsche. So ist vielleicht zu verstehen, dass sich George Michael letztes Jahr auf der Berlinale, bei der Präsentation seines autobiographischen Filmes A different story, bei seinen Fans für seinen Look in den 80er Jahren entschuldigte. Überflüssig! Natürlich verzeihen wir dir deinen Look, Georgie-Boy. Haben wir damals nicht alle aussehen wollen wie die Jenna Wade aus der Fernsehserie Dallas, verkörpert von Priscilla Presley? Wir müssen uns bei Dir entschuldigen, denn wir kaufen nicht mehr deine neuen CDs, nur noch die Best-of-Compilations. Aber wir kommen zum Konzert und schlucken schwer, wenn wir die Ballade Jesus to a child hören, deine Totenmesse, fast so, als hätten wir selbst, nicht Du, einen Geliebten an Aids verloren.

Doch eine Sache ist nicht leicht zu verzeihen, besonders für die dicken Mädchen unter all deinen Fans. Jahrelang für einen Mann zu schwärmen, der sich speziell dafür anbietet, dann als schwul herausstellt, ist nicht leicht zu verkraften. Warum hast du diese Hetero-Nummer so lange mitgemacht? Hätten wir dich sonst nicht angehört?

Immerhin vollführtest du 1996, zwei Jahre bevor die Polizei von Los Angeles dich auf einer öffentlichen Toilette durch einen blöden Trick entlarvte, mit Deinem Album Older das Coming Out. Musikalisch. Die Texte waren unmissverständlich. Und die Songs richtig toll. Wir sind alle älter geworden. Wir verstanden.

Aber warum waren in deinen Videos – in der langen Phase nach Wham! und vor dem Meilenstein Older – immer so viele dieser steifgliedrigen Supermodels zu sehen? Glaubtest Du, das wollen Heteros sehen? Wer erzählte dir diesen Unsinn? Dieser nichtsnutzige Andrew Ridgeley? Früher, als George Michael noch nicht so sehr am Geschmackvollen interessiert war, und mit seinem Hetero-Schulfreund Andrew Ridgeley die Band Wham! gründete und Popgeschichte schrieb, hörte sich das noch so an: „Wake me up before you go-go“. Immer spaßig, und musikalisch bei schwarzen Soulbands orientiert. Der blutjunge George hatte in dieser eheähnlichen Verbindung die Aufgabe, das Geld zu verdienen, und Andrew, es zu verjubeln. Kein Wunder, dass die Songs der späten Wham!-Phase Titel hatten wie You can have my credit card, baby oder Everything she wants, in denen besungen wird, wie der eine sich abrackert, und die andere immer nur nimmt.

Die Anekdote über die Entstehung des Advents-Klassikers Last Christmas erzählt alles: Wham! im Haus von Georges Eltern, er schreibt das Lied, und Andrew lümmelt auf dem Sofa, schaut sich ein Fußballspiel an. Ridgeley wurde 1986 schließlich direkt vom Sofa ins absolute Aus gekickt. Und in vielen seiner folgenden Videos sitzt George Michael allein anzusehen auf einer stilsicheren, aber unbequemen Chrom-Leder-Sitzgelegenheit und grübelt. Was soll ich tun? Wer bin ich? schien er sich zu fragen, und spielte ein verlogenes Spiel weiter, das scheinbar „Zwänge der Musikindustrie“ hieß. Seine Musik dieser Phase – das Album Faith insbesondere – fanden eigentlich nur die Amerikaner toll.

Mein Dank geht dann doch an denjenigen verdeckten Ermittler der Polizei von Los Angeles, der George Michael auf dem Klo seinen Schwanz zeigte, woraufhin er ihm seinen zeigte. Die 910 $ Strafe dafür waren kein Dollar zuviel, denn endlich tanzte mein Held wieder. Mit dem Video zu Outside konnte Michael die Toiletten-Episode vom Peinlichen ins Triumphale wenden. Er war endlich rausgekommen, und als Popstar quicklebendig. Plötzlich liebten alle den neuen George, und sogar die Diskurs-Heten von Spex ließen es nicht nehmen und setzte ihn 1999 mit den Worten „Sünder, Sänger, Superstar“ aufs Cover. Fehlte nur, dass sie diesen Aufkleber dazu druckten: Jochen Distelmeyers Advisory: Exquisit Singing!

Aber so einfach ist es nie gewesen. George-Michael-Fans sind keine Trittbrettfahrer der Gender-Rezeption, die ein überfälliges Coming-out pathetisch feiern, ohne die qualvolle Vorgeschichte durchlitten zu haben. Und sie erwarten immer noch was von ihrem Sänger. Sie beweisen Treue einem gegenüber, der ständig von der Untreue singt. Deshalb schreien wir, mit den ausgestreckten Armen der ganz großen Oper, den Schmerzensschrei aus dem teuflischen Careless Whisper, Dir entgegen, falls du wirklich bitte zu uns nach Deutschland kommst. Lieber, guter George Michael: Pleeeease Stay!

Sarah Khan, geb. 1971, ist Schriftstellerin und seit ihrem 13.Lebensjahr George-Michael-Fan.